Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 24.07.2014 - 19 B 13.1293 -.
Tenor
I. Die Berufung wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet. IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger, ein am ... geborener chinesischer Staatsangehöriger, wurde mit Verfügung der Beklagten vom 20. November 2008 unbefristet aus dem Geltungsbereich des Aufenthaltsgesetzes ausgewiesen. Zur Begründung verwies die Beklagte auf eine Verurteilung des Klägers mit rechtskräftigem Strafbefehl des Amtsgerichts Nürnberg vom 16. Mai 2008 wegen unerlaubten Aufenthalts. In der Verfügung wird ausgeführt, dass der Kläger nicht im Besitz einer „Daueraufenthaltserlaubnis- EG – Italienisch: soggiornante di lungo periodo - CE“ sei bzw. dies bislang nicht geltend gemacht oder mit Nachweisen belegt habe.
Unter dem 9. Februar 2009 ergänzte die Beklagte die Ausweisungsverfügung um eine Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung.
Rechtsmittel wurden nicht erhoben.
Mit Bescheid vom 4. März 2011 befristete die Beklagte die Wirkung der am 20. November 2008 erlassenen Ausweisung nachträglich bis 31. August 2011.
Am 24. Mai 2011 wurde der Kläger durch das Hauptzollamt Nürnberg im Rahmen einer Aktion zur Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung in der Gaststätte O... in Nürnberg aufgegriffen, als er im Gastraum die Tische vorbereitete. Ermittlungen ergaben, dass der Kläger der Schwiegervater des Gaststätteninhabers ist. Er legte u.a. eine bis 27. September 2006 gültige, vom italienischen Innenministerium ausgestellte „carta di soggiorno per stranieri“ vor. Bei seiner Vernehmung durch das Hauptzollamt Nürnberg am 24. Mai 2011 erklärte er u.a., er habe seinen Anteil am Restaurant O... Anfang 2010 verkauft. Er sei zusammen mit seiner Frau und seinem Sohn am Samstag, 21. Mai 2011, mit dem Zug nach Deutschland eingereist. Eine Tochter sei die Ehefrau des Inhabers der Gaststätte. Sie seien nach Deutschland gekommen, um die Tochter und den Enkel zu besuchen. Er habe noch eine italienische Aufenthaltskarte in Papierform. Eine Karte im Kartenformat habe er im November 2010 beantragt, aber noch nicht bekommen. Er habe in dem Restaurant nicht gearbeitet, er habe nur die Tische aufgeräumt, er sei aus Instinkt geflüchtet, er gehe wieder nach Italien.
Unter dem 27. Juni 2011 erklärte der damalige Vertreter des Klägers gegenüber dem Amtsgericht Nürnberg in der gegen den Kläger anhängigen Strafsache wegen unerlaubter Einreise nach Ausweisung in Tateinheit mit unerlaubtem Aufenthalt nach Ausweisung (Az. 44 Ds 453 Js 41519/11), sein Mandant habe grundsätzlich gewusst, dass er das Bundesgebiet noch nicht habe betreten dürfen. Hintergrund der Wiedereinreise sei ein familiärer Zwist gewesen; der Kläger habe Differenzen ausräumen und die familiäre Harmonie wiederherstellen wollen. Deshalb habe er sich entschieden, mit seiner Ehefrau nach Deutschland zu kommen, um dort für einige Tage zu verweilen. Er werde sich im Übrigen geständig einlassen.
In der öffentlichen Sitzung des Amtsgerichts (Strafgericht) Nürnberg vom 1. August 2011 erklärte der Klägervertreter für den Kläger u.a., es habe damals familiäre Probleme gegeben, es habe geheißen, dass die Schwiegereltern sich nicht mehr um das Kind kümmern könnten. Der Kläger und seine Ehefrau seien beide eingereist, weil sie den Streit schlichten wollten. Der Kläger erklärte, das stimme. Er habe auch gewusst, dass seine Ausweisung bis August 2011 befristet gewesen sei.
Mit seit 9. August 2011 rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts Nürnberg (Az. 44 Ds 453 Js 41519/11) vom 1. August 2011 wurde der Kläger zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten wegen unerlaubter Einreise nach Ausweisung in Tateinheit mit unerlaubtem Aufenthalt nach Ausweisung verurteilt. Die Ehefrau des Angeklagten wurde wegen desselben Straftatbestands zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt. Dem Urteil ist zu entnehmen, dass der Sachverhalt aufgrund der Geständnisse der Angeklagten in der Hauptverhandlung feststehe.
Nach der Strafverbüßung im Herbst 2011 reiste der Kläger nach Italien zurück.
Mit Verfügung vom 24. November 2011 wies die Beklagte den Kläger aus dem Geltungsbereich des Aufenthaltsgesetzes aus. Zur Begründung wurde auf den durch die Verurteilung des Amtsgerichts Nürnberg vom 1. August 2011 erfüllten Regelausweisungstatbestand des § 54 Nr. 1 AufenthG verwiesen. Besonderer Ausweisungsschutz gemäß § 56 AufenthG bestehe nicht. Eine hilfsweise vorzunehmende Interessenabwägung gehe zu Lasten des Klägers.
Der Bescheid wurde dem damaligen Vertreter des Klägers am 24. November 2011 zugestellt. Mit Schreiben vom 14. Dezember 2011, eingegangen bei der Beklagten am 15. Dezember 2011, wiesen die nunmehrigen Vertreter des Klägers darauf hin, dass dieser Inhaber einer am 26. Oktober 2010 ausgestellten italienischen langfristigen Aufenthaltserlaubnis (permesso di soggiorno lungo periodo - CE) sei. Vorgelegt wurde zwei Kopien.
Mit beim Verwaltungsgericht am 21. Dezember 2011 eingegangenen Schriftsatz ließ der Kläger gegen den Bescheid der Beklagten vom 24. November 2011 Anfechtungsklage erheben.
Der Kläger sei bei seiner Einreise nach Deutschland im Mai 2011 in Italien im Besitz der Rechtsstellung eines soggiornante di lungo periodo - CE gewesen und habe deshalb einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in Deutschland nach § 38a Abs. 1 AufenthG gehabt. Diesem Anspruch stehe die damals geltende Einreisesperre nicht entgegen. Die Beklagte hätte bei der Ausübung ihres Ausweisungsermessens von einer Ausweisung des Klägers absehen müssen.
Mit Urteil vom 5. April 2012 wies das Verwaltungsgericht im Verfahren AN 5 K 11.02431 die Klage ab. Sie sei unbegründet. Der Kläger habe aufgrund der strafgerichtlichen Verurteilung einen Regelausweisungsgrund erfüllt. Der Besitz der „soggiornante di lungo periodo - CE“ führe nicht zu einem besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a AufenthG. Dagegen sprächen die besonderen Umstände des Einzelfalls. Der Kläger habe fortgesetzt nationale Einreisevorschriften ignoriert.
Der Kläger hat gegen das Urteil rechtzeitig Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt (19 ZB 12.1156). Mit Beschluss vom 17. Juni 2013 hat der Senat die Berufung zugelassen. Auf die Gründe wird Bezug genommen.
Der Kläger beantragte zunächst, das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 5. April 2012 sowie den Bescheid der Beklagten vom 24. November 2011 aufzuheben.
Die dem Kläger in Italien erteilte Daueraufenthaltserlaubnis - EG führe dazu, dass die Rechtmäßigkeit seiner Ausweisung allein an den Vorgaben des Art. 17 der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 (Daueraufenthaltsrichtlinie) zu messen sei. Aufgrund des europarechtlichen Anwendungsvorrangs dieser Vorschrift habe die Ausweisung deshalb nicht auf Grundlage der §§ 54, 56 AufenthG erfolgen können. Dem Kläger sei in Italien die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Daueraufenthaltsrichtlinie eingeräumt. Damit habe er in Deutschland einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 38a Abs. 1 AufenthG. Eine Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die öffentliche Sicherheit im Sinne des Art. 17 der Daueraufenthaltsrichtlinie stelle der Kläger nicht dar. Auch sei im Hinblick auf den Anspruch des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 38a AufenthG dessen strafrechtliche Verurteilung durch das Amtsgericht vom 1. August 2011 zu Unrecht erfolgt. Hilfsweise bestehe bei Anwendung der §§ 54, 56 AufenthG wegen der europarechtlichen Daueraufenthaltserlaubnis ein Ausnahmefall. Das Ermessen der Beklagten sei dahingehend auf Null reduziert, dass eine Ausweisung des Klägers ausscheide.
Mit Schriftsatz vom 9. Oktober 2013, eingegangen beim Verwaltungsgerichtshof am selben Tage, hob die Beklagte den Bescheid vom 24. November 2011 auf. Die Sperrwirkungen der Ausweisung seien nunmehr auf den Jetzt-Zeitpunkt zu befristen. Die mit der Ausweisung verfolgten ordnungsrechtlichen Ziele seien im Hinblick auf einen nahezu zweijährigen Auslandsaufenthalt des Klägers erreicht.
Der Kläger beantragt
nunmehr festzustellen, dass der Bescheid der Beklagten vom 24. November 2011 rechtswidrig war.
Der Kläger habe ein berechtigtes Interesse an der Feststellung, da er einen beim Amtsgericht Fürth anhängigen Wiederaufnahmeantrag gegen das Strafurteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 1. August 2011 gestellt habe. Das dortige Verfahren sei vom Amtsgericht mit Beschluss vom 10. August 2012 in Analogie zu § 154d StPO bis zum rechtskräftigen Abschluss des vorliegenden verwaltungsgerichtlichen Verfahrens vorläufig eingestellt worden. Die Rechtmäßigkeit der Einreise des Klägers nach Deutschland im Mai 2011 sei hier als vorgreifliche Rechtsfrage zu prüfen.
Die Beklagte beantragt
die Zurückweisung der Berufung.
Die Feststellungsklage sei schon unzulässig. Es fehle an einem Fortsetzungsfeststellungsinteresse. Das Strafurteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 1. August 2011 sei rechtskräftig, zudem zutreffend. Die Fortsetzungsfeststellungsklage sei aber auch unbegründet. Art. 14 ff. der Daueraufenthaltsrichtlinie seien hier nicht anwendbar, weil sich der Kläger nicht länger als für einen dreimonatigen Zeitraum im Bundesgebiet habe aufhalten wollen. Auf Aufenthalte zu kürzeren Aufenthaltszwecken als drei Monate sei die genannte Richtlinie nicht anwendbar. Es sei eindeutig, dass der Kläger nur zu einem kürzerem Aufenthaltszweck ins Bundesgebiet eingereist sei. Mit dem Recht zum Kurzaufenthalt von in einem anderen Mitgliedsstaat privilegierten Drittstaatsangehörigen beschäftige sich das Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ). Art. 21 SDÜ ermögliche in solchen Fällen Drittausländern nur dann die visumfreie Einreise in das Hoheitsgebiet anderer Drittstaaten, wenn sie nicht – wie vorliegend der Kläger – auf der nationalen Ausschreibungsliste des betroffenen Mitgliedsstaates stünden. Die Wirkungen der Ausweisung vom 20. November 2008 seien auch nicht durch die Ausstellung der Daueraufenthaltserlaubnis - EG vom 26. Oktober 2010 ohne Weiteres entfallen. Der Verwaltungsakt vom 20. November 2008 sei bestandskräftig geworden. Die Sperrwirkung der Ausweisungsverfügung habe daher dem Kläger uneingeschränkt entgegen gehalten werden können. Nur hilfsweise sei zudem auszuführen, dass für den Kläger der Versagungsgrund des Art. 17 der Daueraufenthaltsrichtlinie vorgelegen hätte.
Der Kläger ließ erwidern, die geänderte Klage sei zulässig. Das Amtsgericht Fürth habe in seinem Beschluss vom 10. August 2012, mit welchem das dortige Wiederaufnahmeverfahren vorläufig eingestellt wurde, eine Präjudizialität der Entscheidung im vorliegenden Verfahren für das Wiederaufnahmeverfahren offensichtlich bejaht. Die Klage sei auch begründet. Der Kläger habe nach seiner Einreise am 21. Mai 2011 das Recht gehabt, sich innerhalb von drei Monaten zu entscheiden, ob er dort einen mehr als dreimonatigen Aufenthalt anstrebe oder nicht. Die von der Beklagten vorgenommene Auslegung der Voraussetzungen des Art. 14 Abs. 1 der Daueraufenthaltsrichtlinie sei unzulässig. Unabhängig davon habe sich der Kläger bei seiner Einreise nach Deutschland im Mai 2011 durchaus einen Aufenthalt in Deutschland von mehr als dreimonatiger Dauer vorbehalten. Er habe die grundsätzliche Absicht gehabt, ein Restaurant zu eröffnen. Von seinen abweichenden Einlassungen im strafgerichtlichen Verfahren habe er sich eine Verbesserung seiner strafrechtlichen und aufenthaltsrechtlichen Position versprochen. Sie könnten hier nicht herangezogen werden. Die Anwendbarkeit der Art. 14 ff. der Daueraufenthaltsrichtlinie sei gegeben. Die Voraussetzungen des Art. 17 der Daueraufenthaltsrichtlinie lägen nicht vor.
Die Beklagte erwiderte u.a., der Kläger habe eindeutig gegenüber der Ausländerbehörde und gegenüber dem Strafgericht erklärt, er sei wegen familiärer Probleme eingereist, um einen Streit zu schlichten. Er habe nur einige Tage in Deutschland bleiben wollen. Daran müsse sich der Kläger festhalten lassen.
Der Kläger erwiderte u.a., er habe zu keinem Zeitpunkt erklärt, seine Einreise im Mai 2011 sei ausschließlich zum Zweck eines kurzfristigen touristischen Aufenthalts erfolgt. Er habe immer noch die Absicht, gastronomisch in der Bundesrepublik Deutschland tätig zu werden. Er habe im Jahr 2012 einen Mietvertrag über ein Gastronomieobjekt in Duisburg abgeschlossen. Bei der Einreise im Mai 2011 habe der Kläger insoweit die Lage sondiert.
Der Kläger und die Beklagte haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Zur Ergänzung wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, §§ 125 Abs. 1, 101 Abs. 2 VwGO, bleibt ohne Erfolg. Denn die Fortsetzungsfeststellungsklage ist zwar zulässig
(1.). Sie ist jedoch nicht begründet
(2.).
1. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist zulässig. Insbesondere ist ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse des Klägers gegeben.
Die ursprünglich erhobene Anfechtungsklage konnte zulässigerweise in eine Fortsetzungsfeststellungsklage umgestellt werden, nachdem die Beklagte die Ausweisungsverfügung vom 24. November 2011 im Berufungsverfahren aufgehoben hatte. Auch besteht ein Feststellungsinteresse (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO) für die umgestellte Klage:
Zulässig ist eine statthafte Fortsetzungsfeststellungsklage dann, wenn ein Kläger ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des erledigten Verwaltungsaktes hat. Ein solches Interesse kann rechtlicher, wirtschaftlicher oder auch ideeller Natur sein. Entscheidend ist, dass die gerichtliche Entscheidung geeignet ist, die Position des Kläger in einem der genannten Bereiche zu verbessern; er muss mit der Entscheidung „etwas anfangen“ können (BVerwG, U.v. 16.5.2013 – 8 C 35/12 m.w.N., OVG NRW, U.v. 28.1.2005 – 21 A 4463/02 – jeweils juris). Dies ist hier der Fall. Denn der im hiesigen Verfahren möglichen Feststellung der Rechtswidrigkeit der Ausweisung kommt Bedeutung für das vom Kläger eingeleitete Wiederaufnahmeverfahren gegen das Strafurteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 1. August 2011 zu:
Der Kläger hat gegen das genannte Strafurteil des Amtsgerichts Nürnberg ein Wiederaufnahmeverfahren mit der Begründung beantragt, es werde mit der Vorlage der ihm erteilten italienischen Daueraufenthaltserlaubnis, welcher die Wirkungen der Art. 14 ff. der Daueraufenthaltsrichtlinie zukämen, ein neues Beweismittel beigebracht, welches seine Freisprechung zu begründen geeignet sei, § 359 Nr. 5 StPO. Das Amtsgericht Fürth hat daraufhin das Wiederaufnahmeverfahren in analoger Anwendung des § 154d StPO bis zum rechtskräftigen Abschluss des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens vorläufig eingestellt. Damit hat das Amtsgericht zum Ausdruck gebracht, dass es der hiesigen Entscheidung der Verwaltungsgerichte Bedeutung für den Fortgang des Wiederaufnahmeverfahrens beimisst. Zwar besteht keine Bindung der Strafgerichte an verwaltungsgerichtliche Entscheidungen (Kopp/Schenke, VwGO, 17. Aufl. 2011, § 113 Rn. 139, § 121 Rn. 12 jeweils m.w.N.). Allerdings hat das Amtsgericht der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung über die Ausweisung durch seinen Aussetzungsbeschluss eine präjudizielle Wirkung für das Wiederaufnahmeverfahren zuerkannt, weil eine wegen einer Daueraufenthaltserlaubnis für Italien rechtmäßige Einreise in die Bundesrepublik Deutschland und ein hier rechtmäßiger Aufenthalt (seit Mai 2011) die Position des Klägers im Wiederaufnahmeverfahren in rechtlicher Hinsicht verbessern und ggf. sein Ziel der Freisprechung befördern könnte. Deshalb ist ein Feststellungsinteresse gegeben.
2. Allerdings ist die zulässige Fortsetzungsfeststellungsklage nicht begründet. Die Ausweisungsverfügung der Beklagten vom 24. November 2011 war rechtmäßig. Denn unter Zugrundelegung des entscheidungserheblichen Zeitpunktes des Bescheidserlasses
(a) war der damalige Aufenthalt des Klägers nicht nach Art. 21 Abs. 1 des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ) erlaubnisfrei
(b). Der Kläger konnte sich bei seiner Einreise und seinem Aufenthalt im Bundesgebiet ab Mai 2011 auch nicht auf Art. 14 ff. der Daueraufenthaltsrichtlinie berufen
(c). Auch aus §§ 54 ff. AufenthG ergeben sich keine sonstigen Gründe für eine Rechtswidrigkeit des Bescheids
(d):
a) Mit dem Antrag auf Feststellung, dass der Bescheid vom 24. November 2011 rechtswidrig war, wird die Feststellung begehrt, dass der Bescheid damals nicht hätte erlassen werden dürfen. Maßgeblich ist damit die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung (24. November 2011). Kein Streit besteht naturgemäß zwischen den Beteiligten darüber, dass im Zeitpunkt der Aufhebung des Bescheids (9. Oktober 2013) die Aufhebungsvoraussetzungen vorgelegen haben. Die Frage, ob der Verwaltungsakt zwar nicht bei seinem Erlass, aber zu einem Zeitpunkt vor der Aufhebung durch die Beklagte bereits rechtswidrig war, stellt sich nicht, weil die Feststellung der Rechtswidrigkeit als solche beantragt und kein entsprechend differenzierter Feststellungsantrag gestellt worden ist. Im Falle einer Beantwortung dieser Frage wäre im Übrigen auch das Verhalten des Klägers zu berücksichtigen gewesen, insbesondere sein unbekannter Aufenthalt im Jahr 2012 und zu Beginn des Jahres 2013.
b) Der Kläger dringt nicht mit dem sinngemäß vorgeschlagenen Einwand durch, er sei nach § 15 AufenthV, Art. 21 Abs. 1 SDÜ in der Fassung der Verordnung (EU) 265/2010 (SDÜ n.F.) zu einem visumfreien Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt gewesen und daher zu Unrecht wegen unerlaubter Einreise und unerlaubtem Aufenthalt ausgewiesen worden. Zwar sind Inhaber eines Aufenthaltstitels eines Schengen-Vertragsstaats (der Kläger hat allerdings im Frühjahr 2011 nur den Besitz eines bis 27.9.2006 gültigen italienischen Aufenthaltstitels nachgewiesen) nach Art. 21 Abs. 1 SDÜ n.F. zu visumfreien, maximal dreimonatigen Aufenthalten in Zeiträumen von jeweils sechs Monaten in anderen Schengenstaaten befugt. Auch der Umstand, dass sich der Kläger möglicherweise länger im Bundesgebiet aufgehalten hat, stünde vorliegend eine Anwendung der Vorschrift des Art. 21 Abs. 1 SDÜ n.F. nicht entgegen, denn er hat sich nach seiner Einreise am 21. Mai 2011 nur wenige Tage lang freiwillig im Bundesgebiet aufgehalten; der Aufenthalt ab seiner Inhaftierung Ende Mai 2011 war nicht freiwillig und daher bei der Berechnung des Drei-Monats-Zeitraums nicht zu berücksichtigen. Der Kläger kann sich aber deshalb nicht auf § 15 AufenthV, Art. 21 Abs. 1 SDÜ n.F. berufen, weil er wegen der bestandskräftigen Ausweisungsverfügung vom 20. November 2008 nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten durfte (§ 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG); dem Bescheid vom 4. März 2011 zufolge hat die Ausweisungswirkung erst mit Ablauf des 31. August 2011 geendet.
c) Die Vorschrift des Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 (Daueraufenthaltsrichtlinie) ist ebenfalls nicht geeignet, die Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung vom 24. November 2011 in Zweifel zu ziehen. Sie trifft keine Regelung über die Rechtmäßigkeit eines Kurzaufenthalts in anderen Mitgliedsstaaten (Dienelt in Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl. 2011, AufenthG, § 38a Rn. 16, Marx in GK, Mai 2013, Aufenthaltsgesetz, § 38a Rn. 11, Dollinger in Kluth/Heusch, Beck`scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Stand 1.7.2012, AufenthG, § 38a Rn. 5, Kluth/Hundt/Maaßen, Zuwanderungsrecht, 2008, Rn. 891, vgl. auch BT-Drs. 669/09 zu § 38a AufenthG Nr. 38a 1.
2). Die Daueraufenthaltsrichtlinie wurde mehrere Jahre nach dem Schengener Abkommen erlassen und konnte deshalb die Regelung des Art. 21 Abs. 1 SDÜ voraussetzen, der zufolge Inhaber eines Aufenthaltstitels eines Schengen-Vertragsstaats (das langfristige Aufenthaltsrecht-EU ist ein solcher Titel) zu visumfreien Kurzaufenthalten in anderen Schengenstaaten befugt sind. Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie stellt daher insoweit keine Rechtsgrundlage dar, sondern lediglich einen Hinweis auf eine solche außerhalb der Daueraufenthaltsrichtlinie.
Auch dem Regelungskomplex der Art. 14 ff. der Daueraufenthaltsrichtlinie ist nichts für ein einen Aufenthaltsanspruch des Klägers im Frühjahr 2011 zu entnehmen. Die hier geregelten Voraussetzungen für einen Aufenthalt im anderen Mitgliedsstaat von mehr als drei Monaten können zwar auch schon vor dem Ablauf dieser drei Monate nachgewiesen werden (vgl. Art. 15 Abs. 1 der Daueraufenthaltsrichtlinie, wonach der langfristig Aufenthaltsberechtigte die Erlaubnis für einen längeren Aufenthalt im anderen Mitgliedsstaat „unverzüglich, spätestens jedoch drei Monate nach seiner Einreise“ beantragt und die Mitgliedsstaaten sogar einen Antrag vom Hoheitsgebiet des ersten Mitgliedsstaats aus akzeptieren können). Der Kläger hat diesen Nachweis aber weder im Zusammenhang mit seiner Einreise noch später erbracht. Dies kann ihm zwar nicht hinsichtlich derjenigen Voraussetzungen vorgehalten werden, die im Wesentlichen nur in Freiheit geschaffen werden können (insbesondere die Beschaffung fester und regelmäßiger Einkünfte im Sinne des Art. 15 Abs. 2 lit. A der Richtlinie, d.h. in der Regel eines Arbeitsplatzes), denn der Kläger ist ab dem 24. Mai 2011 inhaftiert gewesen. Der Umstand jedoch, dass er die für eine Anwendung der Art. 14 ff. der Daueraufenthaltsrichtlinie zentrale Voraussetzung, die in einem anderen Mitgliedsstaat erworbene Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten, nicht belegt hat, fällt in seine Verantwortung. Die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten wird grundsätzlich durch die Bescheinigung nach Art. 8 Abs. 3 der Daueraufenthaltsrichtlinie belegt, wobei die zentrale Bedeutung zu beachten ist, die das Unionsrecht ihrer Gestaltung und Fälschungssicherheit beimisst; sie kann aber auch durch eine schriftliche Bestätigung der Behörden des Mitgliedsstaates, in dem das Recht zum Daueraufenthalt-EG entstanden sein soll, gegebenenfalls auch dessen Auslandsvertretung in Deutschland, geführt werden, wobei es einer sorgfältigen Vergewisserung durch die Ausländerbehörde bedarf, dass die Rechtsstellung als langfristig Aufenthaltsberechtigter auch tatsächlich verliehen worden ist (vgl. den Senatsbeschluss vom 15.11.2012 – 19 CS 12.1851 – juris). Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger die Übersendung des Originals einer ihm ausgestellten Bescheinigung über die langfristige Aufenthaltsberechtigung-EU an die Ausländerbehörde nicht aus der Haft heraus hätte veranlassen können. Das gleiche gilt für eine entsprechende schriftliche Bestätigung der italienischen Behörden im Original. Den Verwaltungsakten und dem Vorbringen des Klägers ist – was im Zulassungsbeschluss vom 17. Juni 2013 (19 ZB 12.1156) unberücksichtigt geblieben ist – nicht zu entnehmen, dass der Kläger zu irgendeinem Zeitpunkt seines Aufenthalts im Bundesgebiet im Jahr 2011 eine langfristige Aufenthaltsberechtigung-EU auch nur angedeutet hätte.
d) Sonstige Gründe, aus denen der Ausweisungsbescheid vom 24. November 2011 hätte rechtswidrig sind können, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Der Kläger erfüllt durch die der Verurteilung des Amtsgerichts Nürnberg vom 1. August 2011 zugrunde liegende Straftat den Regelausweisungsgrund nach § 54 Nr. 1 AufenthG. Nicht zu beanstanden ist auch die von der Beklagten in ihrem Bescheid hilfsweise vorgenommene Interessenabwägung.
3.) Ohne dass es für die Entscheidung noch darauf ankommt, bemerkt der Senat, dass ein Antrag auf Erteilung des verlängerbaren Aufenthaltstitels nach Art. 19 Abs. 2 der Daueraufenthaltsrichtlinie (§ 38a AufenthG), die der Kläger jetzt einreicht, wohl nicht im Hinblick auf Gründe der öffentlichen Ordnung und öffentlichen Sicherheit im Sinne des Art. 17 der Richtlinie abgelehnt werden könnte (zu diesem Ablehnungsgrund vgl. den Senatsbeschluss vom 11.2.2013 – 19 AS 12.2476 – juris). Aus der Aufhebung der Ausweisung durch Bescheid vom 9. Oktober 2013 ergibt sich, dass die Beklagte diese Sichtweise teilt.
Die Erteilung eines solchen Aufenthaltstitels setzt allerdings voraus, dass ein hinreichender Beleg für das langfristige Aufenthaltsrecht-EU vorliegt; die eingereichten Kopien einer italienischen Bescheinigung des langfristigen Aufenthaltsrecht-EU stellen einen solchen Beleg nicht dar (vgl. oben). Im Übrigen ist nicht ganz klar, ob eine solche Bescheinigung zu Recht erteilt worden wäre. Den vorgelegten Kopien zufolge haben die italienischen Behörden diese Bescheinigung am 26. Oktober 2010 ausgestellt. Nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie erteilen die Mitgliedsstaaten Drittstaatsangehörigen, die sich unmittelbar vor der Stellung des entsprechenden Antrags fünf Jahre lang ununterbrochen rechtmäßig in ihrem Hoheitsgebiet aufgehalten haben, die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten. Nach Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie unterbrechen Zeiten, in denen sich der Drittstaatsangehörige nicht im Hoheitsgebiet des Mitgliedsstaats aufgehalten hat, die Dauer des Zeitraums gemäß Abs. 1 nicht und fließen in die Berechnung dieses Aufenthalts ein, wenn sie sechs aufeinander folgende Monate nicht überschreiten und innerhalb dieses Zeitraums gemäß Abs. 1 insgesamt zehn Monate nicht überschreiten. Der Inhalt der Ausländerakte deutet aber darauf hin, dass sich der Kläger vom Jahr 2007 bis zum Anfang des Jahres 2009 ununterbrochen oder ganz überwiegend im Bundesgebiet aufgehalten hat.
Ebenso wenig kommt es für die Entscheidung noch darauf an, ob der Kläger sich bei seiner Einreise im Mai 2011 nur kurzfristig, also nicht länger als drei Monate, im Bundesgebiet aufhalten wollte und sich auch deshalb nicht auf Art. 14 ff. der Daueraufenthaltsrichtlinie berufen kann.
Die Berufung des Klägers war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen. Beschluss Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 5.000,00 € festgesetzt (§ 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 8.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013).
Quelle: juris