Erneut hat der Bundesgerichtshof per einstweiliger Anordnung die Aussetzung des Vollzugs in einem vom Jesuiten-Flüchtlingsdienst Deutschland unterstützten Eilverfahren verfügt (BGH, B. v. 7.3.2012, Az. V ZB 41/12). Dabei hat er zugleich die Bedeutung der EU-Rückführungsrichtlinie für das deutsche Recht und den strengen Maßstab für eine Inhaftierung von Kindern und Jugendlichen unterstrichen.
Der Betroffene, ein minderjähriger Somalier, sollte im Rahmen von Dublin II nach Ungarn zurücküberstellt werden. Zur Sicherung der Zurückschiebung ordnete das Amtsgericht Rosenheim Haft an. Der Betroffene wurde in der Jugendabteilung der JVA München-Stadelheim gemeinsam mit Untersuchungshäftlingen untergebracht. Eine andere geeignete Einrichtung - so die zuständige Ausländerbehörde - gebe es, soweit bekannt, nicht. Das Landgericht Traunstein verkürzte die Haftdauer zwar um einige Tage, erhielt die Freiheitsentziehung aber aufrecht.
Der BGH erinnert zunächst an die gesteigerten Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit einer Inhaftierung von Minderjährigen. Er weist darauf hin, dass nach dem neuen § 62a Abs. 1 AufenthG bei Unterbringung in einer JVA Abschiebungsgefangene jeglichen Alters getrennt von Strafgefangenen unterzubringen sind. Schließlich unterstreicht er, dass nach § 62a Abs. 3 AufenthG i. V. m. Art. 17 der Rückführungsrichtlinie die besonderen Belange von Minderjährigen zu berücksichtigen sind, was die Beschränkung der Haft auf den äußersten Fall und die kürzestmögliche Dauer ebenso umfasst wie geeignete Freizeit- und ggf. Bildungsangebote und die Unterbringung in einer Einrichtung, die ihre altersgemäßen Bedürfnisse berücksichtigen kann.
Die Ausführung der Ausländerbehörde, ihr sei keine andere geeignete Einrichtung zur Aufnahme von Jugendlichen als die JVA München-Stadelheim bekannt, weist der BGH kurz und bündig mit der Begründung zurück, damit sei weder etwas gesagt zur notwendigen Trennung von Strafgefangenen noch zur Frage, ob die JVA die altersgemäßen Bedürfnisse des Jugendlichen angemessen berücksichtige.
Der Beschluss fügt sich ein in eine Reihe von Entscheidungen, die den Vollzug von Abschiebungshaft in deutschen Justizvollzugsanstalten rügen. So hatte das LG Dresden die gemeinsame Unterbringung mit Strafgefangenen in einer Zelle moniert (B. v. 17.5.2011, Az. 2 T 372/11), das LG Leipzig hatte die gemeinsame Unterbringung auch mit Untersuchungshäftlingen in einer Zelle für unzulässig erklärt (B. v. 20.9.2011, Az. 07 T 104/11). Der BGH erklärt nun implizit, dass die Ausländerbehörde die Darlegungslast dafür trifft, dass eine getrennte Unterbringung von Strafgefangenen verwirklicht ist und im Fall von Minderjährigen die weiteren Anforderungen nach § 62a Abs. 3 AufenthG i. V. m. Art. 17 RL 2008/115/EG erfüllt sind. Zugleich bekräftigt er, dass eine Inhaftierung von Minderjährigen nur unter sehr engen Voraussetzungen zulässig sein kann.
Siehe hierzu im Onlinekommentar:
OK-MNet-AufenthG zu § 62a
Zur grundsätzlichen Frage, ob unter der Geltung der Rückführungsrichtlinie Abschiebungshaft in Deutschland überhaupt noch in JVAs vollzogen werden darf, äußert sich der BGH nicht. Der Sachverhalt bot dafür wegen des offenkundigen Verstoßes bereits gegen § 62a Abs. 1 AufenthG keinen Anlass. Hierzu hatte die EU-Kommission allerdings in einem Schreiben vom 11.5.2011 an den Jesuiten-Flüchtlingsdienst Europa bereits mitgeteilt, dass nach ihrer Auffassung der Wortlaut der Richtlinie einem Vollzug in gewöhnlichen Haftanstalten entgegenstehe, wenn es in einem Mitgliedstaat spezielle Abschiebungshafteinrichtungen gebe. Solche sind in Deutschland an mehreren Orten vorhanden.
Ebenfalls offen bleibt die Frage, ob eine Inhaftierung von unbegleiteten Minderjährigen nach Rücknahme des Vorbehalts gegen die UN-Kinderrechtskonvention überhaupt noch verhältnismäßig sein kann. Dies ist durch das Deutsche Institut für Menschenrechte verneint worden (s. dazu H. Cremer, "Abschiebungshaft und Menschenrechte", Berlin 2011, S. 7 ff.).
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