BGH zur Amtsermittlungspflicht im Haftverfahren (Dublin II)

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Der Beschluss vom 03.02.2011 - V ZB 12/10 - befasste sich mit der Amtsermittlungspflicht zur der Aufklärung des aktuellen Standes im verwaltungsgerichtlichen Verfahren und der Anhörung in der Beschwerdeinstanz zur Altersfeststellung.

Der afghanische Staatsangehöriger reiste Ende 2009 ohne gültige Einreisepapiere aus den Niederlanden in die Bundesrepublik ein und wurde im Bahnhof Bad Bentheim von Beamten der Bundespolizei festgenommen. Der Betroffene hatte bereits in Griechenland einen Asylantrag gestellt, später auch in Ungarn sowie in Österreich. Es wurde seine Zurückschiebung nach Griechenland verfügt und durch Haft für die Dauer von längstens 90 Tagen gesichert. Nach dem Beschluss war der Betroffene damals 17 Jahre alt.
Im Dezember 2009 stellte er beim BAMF einen Asylantrag und beantragte einstweiligen Rechtsschutz gegen die Zurückschiebung nach Griechenland bei dem Verwaltungsgericht.

Aus der Onlinekommentierung zu der Problematik:

  • Das Beschwerdegericht darf bei der nach § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG erforderlichen Prognose, ob eine Abschiebung in den kommenden drei Monaten in Bezug auf mögliche Abschiebungshindernisse verwehrt ist, nicht nur auf die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte  verweisen. Zwar ist die Entscheidung, ob die Abschiebung zu Recht betrieben wird, den Verwaltungsgerichten vorbehalten. Die Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen den Verwaltungs- und den Zivilgerichten darf sich aber nicht zu Lasten des Betroffenen auswirken und einen effektiven Rechtsschutz verhindern. Ist über die Fortdauer der Abschiebungshaft eines Ausländers zu entscheiden, der vor Erlass der Beschwerdeentscheidung zur Verhinderung der Abschiebung einstweiligen Rechtsschutz bei den Verwaltungsgerichten beantragt hat, setzt eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Anwendung des § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG voraus, dass der Haftrichter den Stand und voraussichtlichen Fortgang des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens aufklärt und bei seiner Entscheidung berücksichtigt (BVerfG NJW 2009, 2659, 2660; Senat, B. v. 25.02. 2010 – V ZB 172/09 –, B. v. 03.02.2011 – V ZB 12/10 –, bei Winkelmann, Migrationsrecht.net, Portal Haftrecht).

OK-MNet-§ 62 AufenthG, Rn. 110

  • Die Anhörung ist auch nicht etwa deshalb entbehrlich, weil nicht vorgetragen wird, wieso die mündliche Anhörung des Betroffenen zu einer anderen Entscheidung führen könnte (BVerfG, B. v. 07.09.2006 – 2 BvR 129/04 –). Das Beschwerdegericht hat den Betroffenen nach Art. 103 Abs. 1 GG, §§ 68 Abs. 3 Satz 1, 420 Abs. 1 Satz 1 FamFG anzuhören. Zwar kann nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG im Beschwerdeverfahren von der Anhörung abgesehen werden, wenn diese bereits im ersten Rechtszug durchgeführt wurde und von einer erneuten Anhörung keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind. Aber an der zuletzt genannten Voraussetzung fehlt es, wenn das Beschwerdevorbringen eine weitere Sachaufklärung erwarten lässt (BGH, B. v. 11.05.1995 – V ZB 13/95 –, bei Winkelmann, Migrationsrecht.net, Portal Haftrecht). So kann die Anhörung insbesondere dann nicht in der Beschwerdeinstanz unterlassen werden, wenn das mutmaßliche Alter vom Amtsgericht ohne weitere Feststellungen aus dem behördenseitigen Haftantrag übernommen wird. Der Fehler bei der Haftanordnung ist durch die im Beschwerdeverfahren getroffenen Feststellungen zu dem Alter des Betroffenen nicht geheilt worden. Hierzu war nämlich die persönliche Anhörung des Betroffenen unverzichtbar. Dies gilt auch dann, wenn das Beschwerdegericht davon keine zusätzlichen Erkenntnisse erwartet (BGH, B. v. 03.02.2011 – V ZB 12/10 –; BGH, B. v. 16.09.2010 – V ZB 120/10 –, bei Winkelmann, Migrationsrecht.net, Portal Haftrecht).

OK-MNet-§ 62 AufenthG, Rn. 174

Zu der Entscheidung im Volltext:

icon Die Anhörung im Haftverfahren (856.65 kB 2011-03-27 21:04:35)