BGH: Zur Anhörung im Haftverfahren

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In seinen Entscheidungen vom 17.06.2010 ging der BGH auf die Rechtsfolgen des Unterlassens der Erstanhörung des Betroffenen, des Lebenspartners und des minderjährigen Kindes (BGH - V ZB 9/19 und 127/10 -) sowie auf die Beauftragung durch einen Richter im Beschwerdeverfahren ein.

Zu §§ 420, 68 Abs. 3, AufenthG § 62 Abs. 2 FamFG:

  1. Die persönliche Anhörung des Betroffenen nach § 420 Abs. 1 FamFG muss vor der Anordnung der Sicherungshaft erfolgen. Ein Verstoß gegen dieses Gebot ist nicht heilbar.
  2. Die von dem Beschwerdegericht nach § 68 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 420 Abs. 1 FamFG durchzuführende Anhörung des Betroffenen kann unter den Voraussetzungen des § 375 Abs. 1a ZPO auch durch ein Mitglied des Beschwerdegerichts als beauftragten Richter erfolgen.
  3. Die Sicherungshaft gegen eine Familie mit minderjährigen Kindern darf nur angeordnet werden, wenn die Abschiebung mit größtmöglicher Beschleunigung betrieben wird (vgl. auch Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115/EG vom 16. Dezember 2008, ABl. L 348/98).

Die Entscheidung befasst sich auch mit der Frage der Aufenthaltstitelpflicht bei Spätaussiedlern:

Die Betroffene war nach § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG vollziehbar ausreisepflichtig, weil sie unerlaubt eingereist ist. Sie führte keinen gültigen Pass bei sich und hatte auch nicht den nach § 14 Abs. 1 AufenthG erforderlichen Aufenthaltstitel. Dieser ergab sich nicht daraus, dass sie mit V. H. um Aufnahme als Spätaussiedler nachsuchen wollte. Spätaussiedler müssen die Aufnahme in das Bundesgebiet nach § 26 BVFG grundsätzlich von ihrem Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten aus betreiben und dürfen erst einreisen, wenn ihnen ein Aufnahmebescheid nach § 27 BVFG erteilt worden ist. Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn der Betroffene erwiesenermaßen die Anforderungen des § 4 BVFG erfüllt. Dann nämlich ist er nach § 4 Abs. 3 Satz 1 BVFG Deutscher und nach Art. 11 GG berechtigt, auch ohne Aufnahmebescheid in das Bundesgebiet einzureisen (BVerwGE 122, 313, 316 f.). Ihm ist der Aufnahmebescheid dann nach § 27 Abs. 2 BVFG nachträglich zu erteilen. Liegen die Voraussetzungen des § 4 BVFG aber nicht erweislich vor, ist der Aufnahmebewerber nicht berechtigt, ohne Aufnahmebescheid in das Bundesgebiet einzureisen und dort zu bleiben, bis ihm eine Bescheinigung nach § 15 BVFG erteilt ist (OVG Münster, Beschl. v. 21. Februar 2007, 2 A 4862/05, juris Rdn. 7). Dieser zweite Fall lag hier vor. Die Betroffene hat behauptet, V. H. sei Deutscher. Nachweise darüber lagen und liegen nicht vor. In einer solchen Lage muss der Haftrichter von dem Grundsatz des § 26 BVFG ausgehen, wonach die Einreise nur erlaubt ist, wenn ein Aufnahmebescheid entweder nach § 27 Abs. 1 BVFG vor der Einreise oder nach § 27 Abs. 2 BVFG vor der Festnahme erteilt ist. Daran fehlt es hier.

Zu der Entscheidung in der Gesamtkommentierung:

icon Die Anhörung im Haftverfahren (783.32 kB 2010-07-25 14:13:19)

Aktualisierte Fassung der Kommentierung zum FamFG:

icon Das neue FamFG und dessen rechtliche Auswirkungen (473.57 kB 2010-07-25 13:38:01)