Der 1. Senat hat mit Urteil vom 9. Juni 2009 (BVerwG 1 C 11.08) neue Prüfungsmaßstäbe im Befristungsverfahren entwickelt und den Begriff der besonderen Härte näher konkretisiert.
Prüfungsumfang im Befristungsverfahren nach § 7 Abs. 2 AufenthG
Der 1. Senat nimmt im Rahmen der Prüfung des Befristungsverfahrens nach § 7 Abs. 2 AufenthG eine wichtige Einschränkung vor: Der Verkürzung der Geltungsdauer einer zum Zweck des Ehegattennachzugs erteilten Aufenthaltserlaubnis soll es nicht entgegen stehen, dass ein Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis zu einem anderen Zweck besteht. In diesem Fall soll zugleich mit der Verkürzungsverfügung über die Erteilung der anderen Aufenthaltserlaubnis zu entscheiden sein. Für den konkreten Fall bedeutet dies Folgendes: An der bisher für erforderlich gehaltenen Prüfung, ob dem Ausländer trotz Wegfall der ehelichen Lebensgemeinschaft ein Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis als eigenständiges Aufenthaltsrecht nach § 31 AufenthG zusteht, wird nach Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes am 1. Januar 2005 nicht mehr festgehalten.
Zur Begründung wird ausgeführt:
„Zwar hat sich der Wortlaut der Vorschrift selbst nicht verändert, aus der neuen gesetzlichen Ausgestaltung des Aufenthaltstitels „Aufenthaltserlaubnis“ folgt jedoch, dass die Verkürzung der Geltungsdauer der zu einem bestimmten Zweck erteilten Aufenthaltserlaubnis bei Bestehen eines anderweitigen Anspruchs auf eine Aufenthaltserlaubnis nicht zwangsläufig rechtswidrig ist. Denn die Aufenthaltserlaubnis wird nach § 7 Abs. 1 Satz 2 AufenthG - anders als die frühere Aufenthaltserlaubnis nach § 15 AuslG - für einen bestimmten Aufenthaltszweck erteilt. An diesen knüpft das Gesetz unterschiedliche Rechtsfolgen, etwa hinsichtlich der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder der Verfestigung des Aufenthalts (sog. Trennungsprinzip vgl. Urteil des Senats vom 4. September 2007 - BVerwG 1 C 43.06 - BVerwGE 129, 226 - <Leitsatz 3 und Rn. 26>).
Damit handelt es sich bei den unterschiedlichen Arten von Aufenthaltserlaubnissen um jeweils eigenständige Regelungsgegenstände. Folgerichtig ist die für die einzelne Aufenthaltserlaubnis maßgebliche Rechtsgrundlage bei der Erteilung kenntlich zu machen und im Ausländerzentralregister zu registrieren (§ 3 AZR-Gesetz i.V.m. Anlage zur AZRG-DV). Dies gilt nicht nur für die in Kapitel 2 Abschnitt 3 bis 7 des Aufenthaltsgesetzes in den Überschriften aufgeführten Aufenthaltszwecke, sondern auch für die hier streitige eigenständige Aufenthaltserlaubnis des Ehegatten nach § 31 AufenthG im Verhältnis zur akzessorischen Aufenthaltserlaubnis des Ehegatten nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 oder § 30 AufenthG, weil auch insoweit z.B. unterschiedliche Verlängerungsbedingungen gelten.
Vor diesem gesetzlichen Hintergrund ist die Frage, ob der Kläger trotz Beendigung der ehelichen Lebensgemeinschaft einen Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis nach § 31 AufenthG oder auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus sonstigen Gründen hat, nicht inzident im Rahmen der Entscheidung über die Verkürzung der Frist für die bisherige, akzessorische Aufenthaltserlaubnis nach § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG zu prüfen, sondern ist als Gegenstand eines gleichzeitig zu bescheidenden Begehrens auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 31 AufenthG oder Neuerteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus anderen Gründen anzusehen, das hilfsweise für den Fall geltend gemacht wird, dass sich die Verkürzung der Geltungsdauer der bisherigen Aufenthaltserlaubnis als rechtmäßig erweist. Der entsprechende Antrag wird regelmäßig - wie auch im Falle des Klägers - in dem Vorbringen im Rahmen der Anhörung zu der beabsichtigten Fristverkürzung nach § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG gesehen werden können. Dieses (Hilfs-)Begehren ist nicht anders zu beurteilen als ein Begehren auf Verlängerung oder Neuerteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach Ablauf der regulären (nicht verkürzten) Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis (vgl. unten zu 2.)."
Diese Begründung scheint auf dem ersten Blick eine konsequente Fortführung des Trennungsprinzips zu sein. Dennoch ergeben sich Fragen: Wurde der Streitgegenstand bzw. Verfahrensgegenstand bei Klage auf Erteilung bzw. Verlängerung eines Aufenthaltstitels zunächst nach dem Lebenssachverhalt (Aufenthalt aus humanitären Zwecken oder zum Zwecke des familiären Zusammenlebens) bestimmt und nicht an den einzelnen Aufenthaltstiteln festgemacht, so soll dies bei der Befristung, dem Spiegelbild der Erteilung, nicht mehr gelten. Beantragt ein Ausländer die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis wegen des Bestehens einer ehelichen Lebensgemeinschaft, so umfasst dieser Antrag auch das eigenständige Aufenthaltsrecht nach § 31 AufenthG, sofern die Behörde oder das Gericht zur Auffassung gelangen sollte, dass die Lebensgemeinschaft nicht mehr besteht. Warum verändert sich der Streitgegenstand im Befristungsverfahren gegenüber dem Erteilungs- bzw. Verlängerungsverfahren?
Auch die Praktikabilität dieses Ansatzes sei kritisch gewürdigt: Wenn zugleich mit der Befristung ein Aufenthaltstitel für einen anderen Aufenthaltszweck ausgestellt werden müsste, so fragt sich, ob dies sinnhaft ist. Räumen die Titel die gleichen Rechte auf dem Arbeitsmarkt ein, so ist nicht verständlich, warum die Behörde tätig werden sollte. Die Titelumstellung könnte im Verlängerungsverfahren erfolgen. Aber auch dann, wenn der alte Titel weitergehende Rechte auf dem Arbeitsmarkt vermitteln würde, so hätte der Suspensiveffekt des Widerspruchs oder der Klage zur Folge, dass diese Rechte nach § 84 Abs. 2 AufenthG solange bestehen, solange der eingelegte Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung hat.
Auch in Bezug auf heranwachsende Rechtspositionen führt die neue Rechtsprechung zu einer Verschärfung. Musste bei einer Befristung auch berücksichtigt werden, dass der Ausländer in wenigen Tagen eine eigenständige Rechtsposition aus Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erwerben würde, so kann diese Anwartschaft nunmehr nicht mehr berücksichtigt werden, da die Rechtsstellung nur im eigenständigen Aufenthaltserteilungsverfahren zu prüfen ist. Hier ist es aber unerheblich, dass in wenigen Tagen eine assoziationsrechtliche Position anwächst. Damit wird der Sinn der Ermessensentscheidung, sicherzustellen, dass sich der Aufenthalt eines Ausländer nicht verfestigt, obwohl absehbar ist, dass der Aufenthaltstitel bei Auslaufen der Aufenthaltserlaubnis nicht mehr verlängert werden kann, verlassen.
Für die Ermessensentscheidung im Rahmen von § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG bedeutet dies, dass damit nur noch das Interesse des Ausländers, bis zum Ablauf der ursprünglichen Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis in Deutschland zu bleiben, und das öffentliche Interesse an der Beendigung eines materiell rechtswidrig gewordenen Aufenthalts gegeneinander abzuwägen ist. Das Interesse des Klägers an einem Verbleib in Deutschland über die reguläre ursprüngliche Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis hinaus ist - wie auch in den regulären Verlängerungsfällen - im Rahmen der Prüfung eines anschließenden Aufenthaltsrechts zu berücksichtigen.
Anforderungen an die besondere Härte beim eigenständigen Aufenthaltsrecht nach § 31 Abs. 2 AufenthG
Uneingeschränkt ist dem Senat bei der Auslegung der besonderen Härte zu folgen. Eine besondere Härte in Gestalt einer erheblichen Beeinträchtigung schutzwürdiger Belange wegen der aus der Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft erwachsenden Rückkehrverpflichtung (§ 31 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AufenthG) kann sich nur aus solchen Beeinträchtigungen ergeben, die mit der Ehe oder ihrer Auflösung in Zusammenhang stehen.
Zum Verhältnis der besonderen Härte zu Verfolgungsgefahren, die das Bundesamt zu prüfen hat, stellt das Gericht Folgendes klar:
„Auf die Frage, ob ein solcher Anspruch, wie das Berufungsgericht meint, unabhängig vom Fehlen einer besonderen Härte auch deshalb ausgeschlossen wäre, weil die vom Kläger geltend gemachte Gefahr eine allein vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu prüfende Verfolgungsgefahr im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG darstellt und die Ausländerbehörde ohne eine verbindliche Anerkennungsentscheidung des Bundesamts nicht vom Vorliegen einer solchen Verfolgung ausgehen durfte, kommt es deshalb nicht an. Die Frage könnte sich allenfalls dann stellen, wenn der ausländische Ehegatte mit der Ehe im Zusammenhang stehende Beeinträchtigungen im Sinne von § 31 Abs. 2 Satz 2 AufenthG geltend macht, die zugleich Verfolgungsgefahren im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG darstellen. Wie in derartigen Fällen die Zuständigkeit der Ausländerbehörde und die des Bundesamts voneinander abzugrenzen ist, braucht der Senat vorliegend nicht zu entscheiden. Es spricht allerdings viel dafür, dass erhebliche Beeinträchtigungen schutzwürdiger Belange des Ehegatten im Sinne der 1. Alternative von § 31 Abs. 2 Satz 2 AufenthG, die voraussetzungsgemäß mit der Ehe oder deren Auflösung zusammenhängen müssen, von der Ausländerbehörde - gegebenenfalls unter Zuhilfenahme der Sachkunde des Bundesamts hinsichtlich der Verhältnisse im Herkunftsland - selbstständig geprüft werden können, weil sie, auch wenn sie erheblich sein müssen, nicht notwendig die Schwelle einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung im Sinne des Flüchtlingsrechts bzw. eines asylerheblichen Eingriffs im Sinne von Art. 1 6a Abs. 1 GG erreichen müssen. Dann würde sich mangels Identität des Prüfungsgegenstandes auch nicht die Frage einer Vorgreiflichkeit der Entscheidung des Bundesamts über die Asyl- oder Flüchtlingsanerkennung stellen."