Mit Beschluss vom 09.02.2012 (Az.: 2 BvR 1064/10) rügt das BVerfG die Rechtsprechungspraxis der ordertlichen Gerichtsbarkeit in Hannover.
Unverzichtbare Voraussetzung eines rechtsstaatlichen Verfahrens ist es, dass Haftentscheidungen auf zureichender richterlicher Aufklärung beruhen und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben, die der Bedeutung der Freiheitsgarantie entspricht. Dies gilt auch für einstweilige Haftanordnungen.
Zum wiederholten Male und mit scharfen Worten rügt das Bundesverfassungsgericht die Abschiebungshaftpraxis in Niedersachsen und verhilft der Verfassungsbeschwerde des Betroffenen zum Erfolg.
Zur Entscheidung:
Die Anordnung von Abschiebungshaft setzt nach den gesetzlichen Vorgaben u.a. voraus, dass der Betroffene überhaupt verpflichtet ist, die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen, d.h. ausreisepflichtig ist.
Im Verfahren, das jetzt vom BVerfG entschieden wurde, hatte die Ausländerbehörde im Haftantrag vorgetragen, dass der Asylantrag des Betroffenen abgelehnt worden und dieser Bescheid dem Betroffenen auch zugestellt worden sei. Entsprechende Nachweise zur Zustellung wurden nicht vorgelegt.
Das Amtsgericht Hannover ordnete ohne weitere Prüfung die Inhaftierung des Betroffenen im Wege der einstweiligen Anordnung an.
Im Haftbeschwerdeverfahren führten die Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen u.a. aus, dass nicht ersichtlich sei, dass der Betroffene zum Zeitpunkt der Haftanordnung ausreisepflichtig (gewesen) sei; insbes. sei eine ordnungsgemäße Zustellung des Asylablehnungsbescheids nicht erkennbar.
Das Landgericht Hannover wies diese Bedenken zurück, ohne die Sache weiter aufzuklären.
Gegen die Entscheidungen des Amts- und Landgerichts wurde Verfassungsbeschwerde erhoben.
Im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht hatte sich das Land Niedersachsen dahingehend geäußert, dass Grundrechte des Betroffenen nicht verletzt worden seien. In einem Eilverfahren könnten sich die Haftgerichte nur auf die von der Ausländerbehörde glaubhaft gemachten Umstände stützen.
Das Bundesverfassungsgericht sieht die Sache im Beschluss vom 9.2.2012 entschieden anders: Unverzichtbare Voraussetzung eines rechtsstaatlichen Verfahrens sei es, dass Haftentscheidungen auf zureichender richterlicher Aufklärung beruhen und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben, die der Bedeutung der Freiheitsgarantie entspricht, so das Gericht. Dies gelte auch für einstweilige Haftanordnungen. Wörtlich heißt es in der Entscheidung u.a.:
"Das Amtsgericht ist damit nicht im Ansatz seiner verfassungsmäßigen Verpflichtung nachgekommen, eigenverantwortlich zu prüfen, ob eine Ausreisepflicht des Beschwerdeführers bestand"
sowie
"Auch der Beschluss des Landgerichts genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine eigenverantwortliche richterliche Sachprüfung nicht."
Dem ist wenig hinzuzufügen: Innerhalb der letzten 5 Jahre hat das Bundesverfassungsgericht insgesamt 10 mal Verfassungsbeschwerden des Unterzeichners in Abschiebungshaftverfahren gegen das Land Niedersachsen zum Erfolg verholfen. Die Verfahrensstatistik des Unterzeichners über von ihm seit Jahren betriebene hunderte von Haftverfahren zeigt, dass bei 40 % aller Abschiebungshaftgefangenen Haft zu Unrecht angeordnet und/oder vollstreckt wurde. Durchschnittlich befindet sich jeder Abschiebungshaftgefangene rund 27 Tage zu Unrecht in Haft. Aufgelaufen sind hier tausende von rechtswidrigen Hafttagen.
In der Antwort der Niedersächsischen Landesregierung auf eine kleine Anfrage der GRÜNEN vom 19.5.2009 zur Abschiebungshaftpraxis in Niedersachsen hieß es u.a.:
"Die im Vorspann der Anfrage enthaltenen Unterstellungen einer unzureichenden und rechtsstaatswidrigen Praxis bei der richterlichen Anordnung von Abschiebungshaft werden zurückgewiesen"
sowie
"Die Erfahrungen haben gezeigt, dass die Ausländerbehörden die Rechtslage vor der Beantragung der Abschiebungshaft umfassend geprüft und die Anträge rechtlich sehr gut begründen...".
Diese Ausführungen waren schon damals falsch und sind es noch heute, wie die Entscheidung des BVerfG erneut deutlich macht. Die Abschiebungshaftpraxis in Niedersachsen ist weiterhin desaströs.
Für Rückfragen stehe ich unter der u.g. Adresse zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Peter Fahlbusch
Rechtsanwalt
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Zum Entscheidung im Volltext:
BVerfG - 2 BvR 1064/10 - Beschluss vom 09.02.2012 (108.04 kB 2012-03-10 22:13:13)
Im Onlinekommentar: