BVerfG rügt Abschiebungspraxis in Niedersachsen

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Das Bundesverfassungsgericht rügt mit Beschluss vom 27. Februar 2009 – 2 BvR 538/07- die (Niedersächsische) Abschiebungshaftpraxis. Die Entscheidung des Verfassungsgericht betrifft mittelbar die Frage des sog. „Prüfungsspielraums des Haftrichters“ in Abschiebungshaftsachen.

Folgende Leitsätze sind erkennbar:

1. Das Gebot effektiven Rechtschutzes findet seine Ausprägung darin, dass Behörden dann, wenn im Eilverfahren Rechtsbehelfe mit dem Ziel zumindest vorläufiger Aussetzung der Vollstreckung eingelegt worden sind, Verwaltungszwang grundsätzlich erst anwenden, wenn sie dem Verwaltungsgericht ihre Vollstreckungsabsicht mitgeteilt und ihm Gelegenheit zur Entscheidung, zumindest zu einer Zwischenentscheidung, gegeben haben.

2. Ist Abschiebungshaft für einen Ausländer beantragt, der zur Verhinderung der Abschiebung einstweiligen Rechtschutz beim Verwaltungsgericht beantragt hat, setzt eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Anwendung des § 62 Abs. 2 S. 4 AufenthG voraus, dass der Haftrichter den Stand und den voraussichtlichen Fortgang des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens aufklärt und bei seiner Entscheidung berücksichtigt.

3. Haftgerichte haben den Sachverhalt unter Beiziehung der Ausländerakte ordnungsgemäß zu ermitteln.

 

Dem Beschluss des Bundesverfassungsgericht lag folgender Sachverhalt zu Grunde:

Der Betroffene, Vater eines deutschen Kindes, war im Besitz einer entsprechenden Aufenthaltserlaubnis. Seinen rechtzeitig gestellten Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis lehnte die Ausländerbehörde ab, da es angeblich an einer persönlicher Verbundenheit zwischen ihm und seinem Kind fehle. Hiergegen erhob der Betroffene Widerspruch und beantragte zugleich beim Verwaltungsgericht, ihm einstweiligen Rechtsschutz zu gewähren. Die Ausländerbehörde teilte dem Verwaltungsgericht mit, dass konkrete Abschiebungsmaßnahmen bzw. entsprechende Vorbereitungen hierfür noch nicht getroffenen worden seinen und ein Abschiebungstermin noch nicht festgesetzt worden sei. Der Betroffene erhielt eine sog. „Grenzübertrittsbescheinigung“; die darin angegebene Frist zum Verlassen des Bundesgebiets wurde einmal verlängert. Eine weitere Verlängerung lehnte die Ausländerbehörde ab. Statt dessen schrieb sie ihn zur Fahndung aus, aufgrund dessen der Betroffene im September 2006 festgenommen wurde. Im Rahmen des Abschiebungshaftverfahrens teilte der Betroffene gegenüber dem Haftrichter des Amtsgerichts Neustadt a. Rbge mit, dass er in Deutschland mit einer Deutschen ein Kind habe und die „Sache zurzeit beim Verwaltungsgericht“ anhängig sei. Ohne dem Vortrag weiter nachzugehen ordnete das Amtsgericht Haft an. Die hiergegen eingelegte Beschwerde begründete der Betroffene u. a. damit, dass er wegen des noch anhängigen verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nicht abgeschoben werden und deshalb auch nicht in Abschiebungshaft genommen werden dürfe. Ohne erneute Anhörung des Betroffenen und ohne weitere Ermittlungen zum Stand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens wies das Landgericht Hannover die Beschwerde zurück. Einen Tag später wurde der Betroffene aus der Abschiebungshaft heraus entlassen, nachdem das Verwaltungsgericht der Ausländerbehörde mitgeteilt hatte, dass zu den Abschiebungsmaßnahmen, von denen die Ausländerbehörde bis zur Entscheidung im Eilverfahren absehen wolle, auch abschiebungshaftrechtliche Maßnahmen gehören dürften.

Das Oberlandesgericht Celle wies den Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft zurück und führte aus, dass unerheblich sei, ob dem Betroffenen eine Aufenthaltserlaubnis wegen seines Kindes erteilt werden müsse, da dies eine verwaltungsrechtliche Vorfrage und durch die Haftgerichte nicht zu prüfen sei. Dass der Betroffene einen Antrag auf vorläufigen Rechtschutz beim Verwaltungsgericht gestellt habe, stelle die Rechtmäßigkeit seiner Haftanordnung nicht in Frage. Eine Anhörung im Beschwerdeverfahren vor dem Landgericht schließlich sei entbehrlich gewesen.

Ein Jahr später ordnete das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ablehnenden Bescheid an.  

Auf die Verfassungsbeschwerde gegen die haftanordnenden Entscheidungen hat das Bundesverfassungsgericht nun festgestellt, dass die Inhaftierung ab der Entscheidung des Landgerichts per se rechtswidrig gewesen sei, da der Betroffene vom Landgericht habe gehört werden müssen. Mit deutlichen Worten („greifbare Fehleinschätzungen des Landgericht“; „kaum nachvollziehbar...“) kritisiert das Bundesverfassungsgericht die Verfahrensweise des Landgerichts, ohne erneute Anhörung die Beschwerde zurückzuweisen. In diesem Zusammenhang weist das Bundesverfassungsgericht nochmals darauf hin, dass das Landgericht den Sachverhalt nicht unter Beiziehung der Ausländerakte ordnungsgemäß ermittelt habe.

Im Übrigen (d. h. bezüglich des Zeitraums der Haftanordnung bis zum Erlass der landgerichtlichen Entscheidung) sieht das Bundesverfassungsgericht weiteren Aufklärungsbedarf und hat die Sache insofern an das Landgericht Hannover zurückverwiesen. Das Landgericht müsse den Stand und den voraussichtlichen Fortgang des verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens aufklären und bei seiner Haftentscheidung berücksichtigen, so das Bundesverfassungsgericht.

 
Peter Fahlbusch
Rechtsanwalt
 
Lerche | Schröder | Fahlbusch
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Die Entscheidung findet sich unter Rechtsprechung BGH