BVerfG verhandelt über Verfassungsbeschwerden gegen das Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Lissabon

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Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts verhandelt am Dienstag, den 10. Februar 2009 und am Mittwoch, den 11. Februar 2009, jeweils um 10.00 Uhr, im Sitzungssaal des Bundesverfassungsgerichts, Schloßbezirk 3, 76131 Karlsruhe über Verfassungsbeschwerden (2 BvR 1010/08, 2 BvR 1022/08, 2 BvR 1259/08, 2 BvE 2/08 und 2 BvE 5/08) gegen das deutsche Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Lissabon vom 13. Dezember 2007, das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes sowie das Gesetz über die Ausweitung und Stärkung der Rechte des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union und über Anträge im Organstreitverfahren gegen diese Gesetze. Die Beschwerdeführer und die Antragsteller im Organstreitverfahren wenden sich gegen die Ratifikation des Vertrags von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft.

 

Der Vertrag von Lissabon erweitert - wie seine Vorgänger die Einheitliche Europäische Akte, die Verträge von Maastricht, Amsterdam und Nizza - u.a. die Zuständigkeiten der Europäischen Union, dehnt die Möglichkeiten aus, im Rat mit qualifizierter Mehrheit abzustimmen, verstärkt die Beteiligung des Europäischen Parlaments im Rechtsetzungsverfahren und löst die bisherige Säulenstruktur auf. Gleichzeitig wird der Europäischen Union eine eigene Rechtspersönlichkeit verliehen. Außerdem übernimmt das Vertragswerk Regelungen des gescheiterten Vertrags über eine Verfassung für Europa, wobei er allerdings ausdrücklich auf das Verfassungskonzept und eine entsprechende Bezeichnung verzichtet. Daneben sieht er eine Reihe von Reformen der Institutionen und Verfahren der Europäischen Union vor.

Das Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Lissabon und die entsprechenden Begleitgesetze durchliefen im Oktober 2008 erfolgreich das deutsche Gesetzgebungsverfahren. Völkerrechtlich ist der Vertrag bisher noch nicht wirksam, weil dies neben der Ratifikation durch alle Mitgliedstaaten der EU im Einklang mit ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften, die Hinterlegung aller 27 Ratifikationsurkunden der Mitgliedstaaten in Rom/Italien voraussetzt. Der Bundespräsident hat, nachdem die Antragsteller und Beschwerdeführer den Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Bundesverfassungsgericht beantragt hatten, die deutsche Ratifikationsurkunde bisher nicht ausgefertigt. Zur Zeit haben 23 der 27 Mitgliedstaaten ihre Ratifikationsurkunden in Rom hinterlegt. Es fehlen die Urkunden von Irland, Polen, der Tschechischen Republik und die der Bundesrepublik Deutschland.

Der Beschwerdeführer im Verfahren 2 BvR 1010/08 (Gauweiler), der gleichzeitig Antragsteller im Organstreitverfahren 2 BvE 2/08 ist, macht mit seiner Verfassungsbeschwerde geltend, dass das Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Lissabon das Demokratieprinzip, den Grundsatz der souveränen Staatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland und das Prinzip der Gewaltenteilung verletze. Insbesondere rügt er, dass die Ausweitung der Zuständigkeiten der EU und die Möglichkeit verbleibende Kompetenzlücken entweder durch eine expansive Rechtsprechung des EuGH oder durch die Anwendung der sog. Flexibilitätsklausel selbst zu schließen, zu einer Kompetenz-Kompetenz der EU führen. Außerdem fehle dem Europäischen Rat die demokratische Legitimität, weil mangelnde Transparenz des Entscheidungsverfahrens und eine zu lange Kette von Vermittlungsschritten der Ableitung der Legitimität von den Mitgliedsstaaten entgegenstünden. Mit der Erweiterung der Kompetenzen für innere Sicherheit und Strafverfolgung dringe die EU verfassungswidrig in Kerngebiete der Staatlichkeit vor. Auch sei nicht mit dem Grundgesetz zu vereinbaren, dass die EU zu einem Völkerrechtssubjekt werde und über einen außenpolitischen Apparat sowie über weitreichende außenpolitische Kompetenzen verfüge. Damit werde sie zu einem eigenen Staat, was mit dem gleichzeitigen Verlust der souveränen Staatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland verbunden sei. Ebenso sei durch den Vertrag das Gewaltenteilungsprinzip verletzt, weil die Bundesregierung über die europäische Ebene vor allem im Rat schwerpunktmäßig Rechtssetzungsfunktion übernehmen könne und damit als Teil des Rates höherrangiges Recht setze, dass das vom Bundestag erlassene Recht verdränge. Der Beschwerdeführer meint, dass die Rechtsverbindlichkeit der Grundrechtscharta im Vertrag von Lissabon auch sein aus dem Grundgesetz resultierendes Freiheits-, Gleichheits- und Justizgrundrecht beeinträchtige, weil insbesondere die Menschenwürde im Rahmen der EU nicht strikt zu beachten, sondern der Abwägung mit anderen Rechtsgütern unterworfen werde. Die Bestimmungen der Begleitgesetze zum Vertrag von Lissabon seien ebenfalls nicht mit dem Demokratieprinzip des Grundgesetzes vereinbar.

Mit seinen Antrag im Organstreitverfahren (2 BvE 2/08) als Mitglied des Deutschen Bundestages macht er ebenfalls eine Verletzung des Demokratieprinzips, sowie darüber hinaus eine Verkürzung der Mitwirkungsrechte als Abgeordneter des Deutschen Bundestages geltend. Gleichzeitig rügt er, dass die Kompetenzen des Bundestages durch die Übertragung von Hoheitsrechten auf die EU ausgehöhlt werden.

Der Beschwerdeführer im Verfahren 2 BvR 1022/08 (Buchner) macht insbesondere geltend, dass die Übertragung von zahlreichen Zuständigkeiten auf die EU, einem "Ausverkauf ureigenster staatlicher Befugnisse" gleichkomme. Dies manifestiere sich insbesondere in der Auflösung der Säulenstruktur und der Schaffung einer einheitlichen Rechtspersönlichkeit der EU, wodurch sämtliches europäisches Recht supranationalen Charakter erhalte. Außerdem sei das Rechtsstaatsprinzip verletzt, da der Vertrag von Lissabon keine Grundsrechtsklage vor dem EuGH vorsehe.

Die von 53 Mitgliedern des Deutschen Bundestages ausdrücklich - ebenso wie vom Beschwerdeführer im Verfahren 2 BvR 1010/08 - als Bürger der Bundesrepublik Deutschland erhobene Verfassungsbeschwerde (2 BvR 1259/08), begründen sie u.a. damit, dass die Menschenwürde nach dem Vertrag von Lissabon zu einem abwägbaren Rechtsgut werde.

Die Bundestagsfraktion "Die Linke" beantragt im Organstreitverfahren 2 BvE 5/08, die Feststellung, dass das Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Lissabon den Deutschen Bundestag in seinen grundrechtlich geschützten Rechten als gesetzgebendes Organ verletze. Durch Übertragung von Kompetenzen verliere der Deutsche Bundestag u.a. die Entscheidungsbefugnisse über den Einsatz der deutschen Streitkräfte für den Bereich europäischer Krisenintervention. Außerdem sei es mit dem Grundgesetz nicht vereinbar, dass der Vertrag militärische Kampfeinsätze außerhalb der Union zur "Konfliktverhütung" und zur "Bekämpfung des Terrorismus" zulasse.