Ausweisung wegen Zugehörigkeit zur „Tablighi Jamaat" aufgehoben

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Der 1. Revisionssenat des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig hat am 25.10.2011 (1 C 13.10) ein Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs bestätigt, mit dem die Ausweisung eines Ausländers aufgehoben wurde, die auf dessen Zugehörigkeit zu der islamischen Vereinigung "Tablighi Jamaat" gestützt worden ist.

Der Entscheidung lag der Fall eines aus Bosnien-Herzegowina stammenden Klägers zugrunde, der 1991 nach Deutschland eingereist und zuletzt im Besitz einer Niederlassungserlaubnis war. Mit Bescheid vom 15. August 2005 wurde er aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen. Der u.a. auf den Ausweisungstatbestand des § 54 Nr. 5 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) gestützte Bescheid wurde damit begründet, dass der Kläger der islamischen Vereinigung "Tablighi Jamaat" ("Gemeinschaft der Verkündigung und Mission") angehöre und dies eine Vereinigung sei, die den Terrorismus unterstütze. Nach einem erfolglos gebliebenen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes reiste der Kläger 2006 freiwillig nach Bosnien aus. Seine Klage gegen die Ausweisung wurde vom Verwaltungsgericht abgewiesen, hatte aber beim Verwaltungsgerichtshof Erfolg. Nach dessen Feststellungen wurde "Tablighi Jamaat" im Jahr 1926 im damaligen Britisch-Indien als islamische Erweckungs- und Missionierungsbewegung gegründet und hat weltweit 10 bis 12 Mio. Anhänger. Sie vertrete eine wörtliche Auslegung des Koran und der Sunna und stelle die Verhaltensweisen der "Islamischen Urgemeinde" als mustergültig und richtungsweisend dar. Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz werfe der Vereinigung vor, sie bereite den Nährboden für den gewaltbereiten Extremismus. Aus ihren Reihen seien zahlreiche militante Terroristen hervorgegangen. Allerdings sei "Tablighi Jamaat" nicht in der Liste der von der Europäischen Union als terroristisch eingestuften Vereinigungen aufgeführt. Der Bundesnachrichtendienst komme zu dem Ergebnis, dass die offenen Strukturen von Angehörigen militanter Gruppierungen - etwa zur Durchführung von Reisen - missbraucht worden seien. Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs sei die Lehre der "Tablighi Jamaat" jedoch auf Gewaltlosigkeit ausgerichtet, ein Missbrauch ihrer Strukturen bedeute nicht, dass sie den Terrorismus unterstütze. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Ausweisung des Klägers daher mangels Vorliegens eines Ausweisungstatbestandes aufgehoben.

Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Entscheidung im Ergebnis bestätigt und die dagegen gerichtete Revision des Freistaats Bayern zurückgewiesen. Nach der Entscheidung des Senats sind bei dem auf das Terrorismusbekämpfungsgesetz 2002 zurückgehenden, inzwischen allerdings noch veränderten Ausweisungstatbestand des § 54 Nr. 5 AufenthG die beiden Unterstützungsbegriffe der Norm zu unterscheiden. Das Erfordernis, dass es sich um eine Vereinigung handelt, die den Terrorismus unterstützt, muss dabei zur vollen Überzeugung des Gerichts feststehen. Für die erforderliche Zugehörigkeit oder Unterstützung einer solchen Vereinigung durch den Ausländer genügt es dagegen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung auf das Vorliegen solcher Umstände rechtfertigen. Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs sind die Zwecke oder die Tätigkeit der "Tablighi Jamaat" aber nicht darauf ausgerichtet, terroristische Aktivitäten zu unterstützen. Vielmehr lässt sich danach nur feststellen, dass ihre Strukturen gelegentlich von einzelnen Personen für derartige Aktivitäten missbraucht werden. Die Einschätzung des Verwaltungsgerichtshofs, dass es sich bei der "Tablighi Jamaat" deshalb nicht um eine Vereinigung handelt, die den Terrorismus im Sinne von § 54 Nr. 5 AufenthG unterstützt, ist deshalb revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Da dem Kläger auch ein persönliches Verhalten, das auf eine Unterstützung terroristischer Aktivitäten oder auf die Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gerichtet ist, nicht vorgeworfen werden konnte, hat der Verwaltungsgerichtshof die Ausweisung zu Recht aufgehoben.

Presseerklärung des BVerwG (BVerwG 1 C 13.10 - Urteil vom 25. Oktober 2011)