BVerwG: Keine Aufenthaltserlaubnis nach offensichtlich unbegründetem Asylantrag

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Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig (BVerwG 1 C 37.07) hat mit Urteil vom 16.12.2008 entschieden, dass die an die offensichtliche Unbegründetheit eines vorangegangenen Asylantrags anknüpfende gesetzliche Sperre für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis durch die Rücknahme des Asylantrags nicht entfällt und durch einen Ermessensanspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nicht überwunden werden kann. Nach § 10 Abs. 3 Satz 2 des Aufenthaltsgesetzes - AufenthG - darf dem Ausländer vor der Ausreise kein Aufenthaltstitel wie z.B. eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, sofern sein Asylantrag u.a. infolge Täuschung oder gröblicher Verletzung von Mitwirkungspflichten als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden ist. Diese Regelung kommt nach Satz 3 der Vorschrift nicht zur Anwendung, wenn ein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels besteht.

Die Kläger, eine armenische Familie, kamen 2003 nach Deutschland und begehrten Asyl. Diese Anträge wurden im Juli 2003 vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als offensichtlich unbegründet abgelehnt, weil die Angaben der Kläger zum Reiseweg nicht nachvollziehbar seien und sie sich ihrer Personaldokumente entledigt hätten. Dagegen erhob die Familie Klage, sie nahm jedoch im April 2006 ihre Asylanträge zurück. Bereits im Februar 2005 beantragten sie bei der Ausländerbehörde die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen aus humanitären Gründen, weil die Mutter an einer posttraumatischen Belastungsstörung leide und deshalb nicht reisefähig sei. Die Klage blieb vor dem Verwaltungsgericht erfolglos. Das Oberverwaltungsgericht hat der Berufung der Kläger stattgegeben und die Ausländerbehörde verpflichtet, ihnen Aufenthaltserlaubnisse aus humanitären Gründen zu erteilen. Die Regelung des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG stehe dem nicht entgegen, denn nach Rücknahme der Asylanträge sei die eingetretene Sperrwirkung wieder entfallen.

Der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Berufung der Kläger zurückgewiesen. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass die Sperrwirkung des am 1. Januar 2005 in Kraft getretenen § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG auch zum damaligen Zeitpunkt noch nicht bestandskräftig abgeschlossene Asylverfahren erfasst. Die Sperrwirkung entfällt nicht durch nachträgliche Rücknahme des Asylantrags. Andernfalls könnte die Vorschrift ihren Zweck, den Missbrauch im Asylverfahren zu sanktionieren, nicht erreichen. Für eine Ausnahme nach Satz 3 genügt nicht, dass dem Ausländer im Ermessenswege eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden kann, selbst wenn im Einzelfall das behördliche Ermessen zugunsten des Ausländers reduziert ist. Ergibt sich das Aufenthaltsrecht dagegen unmittelbar aus dem Gesetz, rechtfertigt dies eine Durchbrechung der Sperrwirkung. Ob hierunter auch Regelansprüche oder Sollvorschriften fallen, war hier nicht zu entscheiden. Denn die Kläger erfüllen nicht die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen der Sicherung des Lebensunterhalts sowie der Einreise mit dem erforderlichen Visum. Ob davon abgesehen werden kann, steht im Ermessen des Beklagten, so dass hier keinesfalls von einem gesetzlichen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ausgegangen werden kann.

Anmerkung

Mit dieser Entscheidung zieht das Bundesverwaltungsgericht vorläufig einen Schlussstrich unter die streitige Frage, wie das Merkmal „Anspruch" in § 10 Abs. 3 AufenthG im Verhältnis zu „gesetzlichen Anspruch" in den §§ 10 Abs. 1, 16 Abs. 2 AufenthG auszulegen ist. Der differenzierte Sprachgebrauch ist letztlich ein Versehen des Gesetzgebers, dem der Unterschied beider Begrifflichkeiten bei Abfassung des Gesetzes nicht bekannt gewesen ist.

Mit dieser Bewertung dürfte der Senat recht behalten. Besonders deutlich wird dies bei § 35 Abs. 3 AufenthG. Hier verwendet das Gesetzt das Tatbestandsmerkmal „Anspruch" erkennbar in einem Kontext, in dem es nur um einen gesetzlichen Anspruch gehen kann. Dies hat auch der Gesetzgeber gesehen, wie den Materialien zu § 35 AufenthG zu entnehmen ist.

Konsequenz der Auslegung durch den 1. Senat ist eine sehr weitgehende Sperrwirkung, die auch nicht durch Rücknahme der Asylanträge umgangen werden kann. Gerade hier wird sich in der Praxis die Bedeutung der Familienzusammenführungsrichtlinie (RL 2003/86/EG) zeigen, die eine derartige Sperrwirkung nicht zulässt und damit im Wege richtlinienkonformer Auslegung – oder dem Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts, wenn die Regelung nicht auslegungsfähig sein sollte – Nachzugsfälle von dem Ausschlusstatbestand befreit (hierzu Dienelt, ebook zur FamilienzusammenführungsRL auf dieser Hompage). Im zur Entscheidung anstehenden Fall kam die Richtlinie aber nicht zur Anwendung, da es erkennbar an einer Familienzusammenführung zu einem Ausländer mit Aufenthaltstitel fehlte.

Quelle Pressemitteilung Nr. 87/2008