BVerwG schränkt Spracherfordernis beim Ehegattennachzug zu Deutschen ein

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Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat am 4. September 2012 (BVerwG 10 C 12.12) entschieden, dass das gesetzliche Erfordernis des Nachweises deutscher Sprachkenntnisse beim Nachzug ausländischer Ehegatten zu Deutschen nur eingeschränkt gilt. Anders als beim Nachzug zu ausländischen Staatsangehörigen muss hier das Visum zum Ehegattennachzug schon dann erteilt werden, wenn Bemühungen zum Erwerb einfacher Sprachkenntnisse im Einzelfall nicht möglich, nicht zumutbar oder nicht innerhalb eines Jahres erfolgreich sind.

Die Klägerin ist eine afghanische Staatsangehörige. Sie heiratete einen Landsmann, der 1999 nach Deutschland eingereist war und mittlerweile neben der afghanischen auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Im Mai 2008 beantragte sie bei der Deutschen Botschaft in Kabul die Erteilung eines Visums zum Familiennachzug zu ihrem Ehemann. Den Antrag lehnte die Botschaft ab, da die Klägerin, die vorträgt, Analphabetin zu sein, keine ausreichenden deutschen Sprachkenntnisse nachgewiesen habe. Das Verwaltungsgericht hat ihre Klage abgewiesen. Es hält die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach das Spracherfordernis beim Nachzug zu einem ausländischen Ehepartner mit dem Grundgesetz vereinbar ist1), für übertragbar auf den Ehegattennachzug zu einem Deutschen. Es sei nicht erkennbar, warum es dem eingebürgerten Ehemann unzumutbar sein sollte, vorübergehend zur Führung der Ehe nach Afghanistan zurückzukehren.

Der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat die Entscheidung des Verwaltungsgerichts auf die Sprungrevision der Klägerin aufgehoben. Nach dem Aufenthaltsgesetz ist beim Ehegattennachzug zu einem Deutschen das für den Nachzug zu einem ausländischen Ehegatten geltende Spracherfordernis lediglich entsprechend anzuwenden (§ 28 Abs. 1 Satz 5 AufenthG i.V.m. § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG). Allerdings setzt auch ein Anspruch auf Nachzug zu einem deutschen Ehepartner nach dem Willen des Gesetzgebers grundsätzlich voraus, dass der nachziehende Ehegatte bereits vor der Einreise über einfache Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt. Dies dient vor allem der Integration, aber auch der Verhinderung von Zwangsehen und ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG verpflichtet aber zu einem schonenden Ausgleich dieser öffentlichen Interessen mit dem privaten Interesse der Betroffenen an einem ehelichen und familiären Zusammenleben im Bundesgebiet.

Bei dieser Interessenabwägung fällt ins Gewicht, dass von einem Deutschen grundsätzlich nicht verlangt werden darf, die Ehe im Ausland zu führen. Vielmehr gewährt ihm - anders als einem Ausländer - das Grundrecht des Art. 11 GG das Recht zum Aufenthalt in Deutschland. Eine verfassungskonforme Anwendung der gesetzlichen Regeln zum Spracherfordernis ist daher geboten. Ihre lediglich "entsprechende" Anwendung, die § 28 Abs. 1 Satz 5 AufenthG vorsieht, gebietet daher, dass von dem ausländischen Ehepartner nur zumutbare Bemühungen zum Spracherwerb verlangt werden dürfen, die den zeitlichen Rahmen von einem Jahr nicht überschreiten. Sind entsprechende Bemühungen im Herkunftsstaat zumutbarerweise nicht möglich oder führen sie innerhalb eines Jahres nicht zum Erfolg, ist dem ausländischen Ehegatten ein Einreisevisum zu erteilen. Die erforderlichen Sprachkenntnisse müssen dann allerdings nach der Einreise in Deutschland erworben werden, um eine Aufenthaltserlaubnis als Ehegatte zu erhalten. Unerheblich ist, dass der Ehemann der Klägerin neben der deutschen auch die afghanische Staatsangehörigkeit besitzt.

Das Urteil des Verwaltungsgerichts enthält keine ausreichenden tatsächlichen Feststellungen zu der Frage, ob der Klägerin das Erlernen der deutschen Sprache unter Berücksichtigung ihrer konkreten Lebensverhältnisse in Afghanistan in zumutbarer Weise innerhalb eines Jahres möglich war. Der Senat hat den Rechtsstreit daher zur weiteren Aufklärung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.

1) Urteil vom 30. März 2010 - BVerwG 1 C 8.09 - vgl. hierzu Pressemitteilung des BVerwG Nr. 19/2010.

Quelle: Presseerklärung des BVerwG