Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat mit Urteil vom 30. April 2009 (BVerwG 1 C 3.08) entschieden, dass die Ausländerbehörde einer türkischen Staatsangehörigen die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Nachzug zu ihrem Ehemann zu Recht verweigert hat, weil ihr Lebensunterhalt in Deutschland nicht gesichert ist.
Der Entscheidung lag der Fall einer 53-jährigen türkischen Staatsangehörigen zugrunde, deren Ehemann - ebenso wie die sechs gemeinsamen Kinder - in Deutschland lebt. Der Ehemann war 1990 nach Deutschland eingereist, hatte sich nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens von der Klägerin scheiden lassen und eine deutsche Staatsangehörige geheiratet. In der Folgezeit waren seine Kinder zu ihm nach Deutschland gezogen. 1997 wurde seine Ehe mit der Deutschen geschieden, 1998 heiratete er erneut seine frühere Ehefrau - die Klägerin. Diese war bereits 1995 in das Bundesgebiet eingereist. Nach erfolglosem Abschluss ihres Asylverfahrens begab sie sich im Februar 2004 wieder in die Türkei und kehrte im September 2004 mit einem für drei Monate gültigen Visum zum Ehegattennachzug nach Deutschland zurück. Seit ihrer Einreise verfügen sie und ihr Ehemann über kein hinreichendes Erwerbseinkommen mehr. Die Ausländerbehörde lehnte daraufhin den Antrag der Klägerin auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab.
Der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat entschieden, dass diese Ablehnung rechtmäßig ist. Bei der erstmaligen Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug (§ 30 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz) - um die es hier geht - besteht für die Ausländerbehörde kein Ermessen, wenn es am Erfordernis des gesicherten Lebensunterhalts fehlt. Eine Abweichung von dieser regelmäßig zu beachtenden Voraussetzung für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 Aufenthaltsgesetz) ist im konkreten Fall auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Schutzes von Ehe und Familie geboten. Die von der Vorinstanz aufgeworfene Frage, ob die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu den Voraussetzungen eines Ausnahmefalles von der Regelausweisung wegen des Schutzes von Ehe, Familie und Privatleben (Art. 6 Grundgesetz, Art. 8 Europäische Menschenrechtskonvention) auch auf die Regelerteilungsvoraussetzungen einer Aufenthaltserlaubnis übertragbar ist, hat das Bundesverwaltungsgericht verneint. Unterschiede ergeben sich zum einen aus der nicht vergleichbaren Struktur der Vorschriften über die Begründung und Beendigung des Aufenthalts. Ferner ist von Bedeutung, dass der Nachzugswillige bei der erstmaligen Beantragung einer Aufenthaltserlaubnis regelmäßig noch kein vergleichbares Vertrauen in die Fortsetzung seiner ehelichen Lebensgemeinschaft in Deutschland entwickeln konnte wie ein Ausländer, der schon geraume Zeit rechtmäßig in Deutschland gelebt hat und dessen Aufenthalt nachträglich beendet werden soll.
Anmerkung
Es wird interessant sein, wie der Senat dieses Ergebnis in Einklang mit den Vorgaben der Familienzusammenführungsrichtlinie gebracht hat. Die Richtlinie verlangt grundsätzlich die Lebensunterhaltssicherung. Denn der Formulierung in Art. 7 Abs. 1 Buchstabe c RL 2003/86/EG: "die ohne Inanspruchnahme der Sozialhilfeleistungen des betreffenden Mitgliedstaates für seinen eigenen Lebensunterhalt und den seiner Familienangehörigen ausreicht" lässt darauf schließen, dass eine Zuwanderung in die Sozialsysteme verhindert werden soll.
Die Systematik der Richtlinie geht aber nicht von einer Regelsperre bei einem drohenden Sozialleistungsbezug aus. Fehlen die erforderlichen Mittel des Zusammenführenden, um unabhängig von Sozialleistungen leben zu können, so führt dies nicht zu einer typisierend festgelegten "festen" Nachzugssperre. Denn Art. 17 RL 2003/86/EG fordert in allen Fällen der Ablehnung eines Antrags auf Familiennachzug eine Einzelfallabwägung.
Artikel 17
Im Fall der Ablehnung eines Antrags, dem Entzug oder der Nichtverlängerung des Aufenthaltstitels sowie der Rückführung des Zusammenführenden oder seiner Familienangehörigen berücksichtigen die Mitgliedstaaten in gebührender Weise die Art und die Stärke der familiären Bindungen der betreffenden Person und die Dauer ihres Aufenthalts in dem Mitgliedstaat sowie das Vorliegen familiärer, kultureller oder sozialer Bindungen zu ihrem Herkunftsland.
Durch Art. 17 RL 2003/86/EG werden die Vorgaben des Art. 8 EMRK in das Gemeinschaftsrecht übernommen. Die Anlehnung an die Vorgaben der EMRK ergibt sich aus dem Kommissionsentwurf (KOM (1999) 638 endgültig). Daher zwingt das Gemeinschaftsrecht zu einer geänderten Systematik bei § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG: Es ist nicht erst eine Atypik erforderlich, um Ermessen ausüben zu können, sondern bei jeder Ablehnung wegen Sozialhilfebezugs ist unmittelbar eine an Art. 17 RL 2003/86/EG erforderliche Abwägung vorzunehmen, um Art. 8 EMRK angemessen Rechnung tragen zu können.
Dr. Klaus Dienelt