BVerwG: Verspätete Verlängerungsanträge haben keine Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 4 AufenthG

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Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 22.06.2011 - BVerwG 1 C 5.10 - entschieden, dass ein verspäteter Verlängerungsantrag keine Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 4 AufenthG auslösen kann. Vor dem Hintergrund der in § 51 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG angeordneten Rechtsfolge, wonach eine Aufenthaltserlaubnis mit Ablauf ihrer Geltungsdauer erlischt, soll die Verlängerung einen wirksamen Aufenthaltstitel und demzufolge einen grundsätzlich vor Ablauf der Aufenthaltserlaubnis gestellten Antrag voraussetzen.

Das BVerwG knüpft an die alte Rechtsprechung an, wonach es der Systematik des Aufenthaltsgesetzes widerspräche, eine bereits abgelaufene Aufenthaltserlaubnis mit Rückwirkung vor den Zeitpunkt der Antragstellung zu verlängern. Die alte Regelung des § 58 AufenthG, die ausdrücklich von einer Verlängerung eines verspätetet gestellten Antrags sprach, wird hierbei nicht in Blick genommen. 

Die Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis für die Vergangenheit kommt demnach nur für Zeiten nach der rechtzeitigen Antragstellung bei der Ausländerbehörde in Betracht. 

Der Senat führt in der Entscheidung aus:

"15 Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 81 Abs. 4 AufenthG. Danach gilt, wenn der Ausländer die Verlängerung seines Aufenthaltstitels oder die Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels beantragt, der bisherige Aufenthaltstitel vom Zeitpunkt seines Ablaufs bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als fortbestehend. Der Auffassung, dass die sog. Fiktionswirkung in allen Fällen einer verspäteten Antragstellung (Hofmann, in: Hofmann/Hoffmann, Ausländerrecht - Handkommentar, 1. Aufl. 2008, AufenthG § 81 Rn. 29 ff.) oder zumindest dann greift, wenn noch ein innerer Zusammenhang zwischen dem Ablauf der Geltungsdauer des Titels und dem Antrag besteht (OVG Münster, Beschluss vom 23. März 2006 - 18 B 120/06 - InfAuslR 2006, 448; OVG Bautzen, Beschluss vom 30. November 2009 - 3 B 174/08 - juris Rn. 3; VGH München, Beschluss vom 28. September 2009 - 19 CS 09.1610 - juris Rn. 4; Dienelt, InfAuslR 2005, 136; Benassi, InfAuslR 2006, 178 ; Hailbronner, Ausländerrecht, A 1 § 81 AufenthG - Stand: Februar 2010 - Rn. 40: „leichte Verspätung"), folgt der Senat nicht.

16 Die Materialien zur Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift, die während des Gesetzgebungsverfahrens verändert worden ist (Gesetzentwurf der Bundesregierung BTDrucks 15/420 S. 30 und 96, Beschlussempfehlung und Bericht des Bundestagsinnenausschusses BTDrucks 15/955 S. 30, Empfehlungen der Ausschüsse des Bundesrates BRDrucks 22/1/03 S. 71, Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses BTDrucks 15/3479 S. 11), liefern dafür keinen eindeutigen Befund (so zutreffend Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, II-§ 81 - Stand: Oktober 2010 - Rn. 41 ff.). Vielmehr lässt die amtliche Begründung des Richtlinienumsetzungsgesetzes vom 19. August 2007 (BTDrucks 16/5065 S. 184 zu § 58 AufenthG) erkennen, dass auch der Gesetzgeber davon ausgeht, verspätet gestellte Verlängerungsanträge lösten keine Fiktionswirkung aus. Abgesehen davon, dass die Gegenauffassung die klare datumsmäßige Fixierung der Geltungsdauer von Aufenthaltstiteln durch wertende Kriterien wie „zeitlicher Zusammenhang" oder „leichte Verspätung" aufweicht und auf diese Weise zu einem erheblichen Verlust an Rechtssicherheit führen würde, sprechen Sinn und Zweck des § 81 Abs. 4 AufenthG gegen sie. Die Fiktionswirkung schützt den Ausländer davor, dass sich die bloße Dauer des Verwaltungsverfahrens materiell zu seinen Lasten auswirkt. Deshalb soll er durch eine verspätete Entscheidung über seinen Antrag nicht schlechter, aber auch nicht besser gestellt werden, als wenn die Behörde sofort entschieden hätte. Die Fiktion nach § 81 Abs. 4 AufenthG hat besitzstandswahrende, nicht aber rechtsbegründende Wirkung (Urteil vom 30. März 2010 - BVerwG 1 C 6.09 - BVerwGE 136, 211 Rn. 21 = Buchholz 402.242 § 26 AufenthG Nr. 5); Zeiträume vor der Antragstellung bei der Ausländerbehörde erfasst sie demzufolge nicht."

Mit dieser Entscheidung schafft das BVerwG eine Reihe von erheblichen Problemen und Unsicherheiten. Steht damit doch fest, dass ein Ausländer nach Ablauf seines Titels und einem verspäteten Antrag nicht mehr arbeiten darf, da die Berechtigung zur Ausübung der Beschäftigung bis zu Entscheidung der Ausländerbehörde mangels Titels nicht mehr zulässig ist. Eine Rechtsfolge, die politisch keinesfalls gewollt war. Die arbeitsmarktrechtlichen Konsequenzen werden in der Entscheidung nicht einmal angedeutet. Außerdem sind die vermeintlichen Unsicherheiten, die die Einbeziehung verspäteter Anträge mit sich bringen soll, nicht überzeugend. Denn es darf nicht verkannt werden, dass dieses Abgrenzungsproblem ohnehin im § 81 Abs. 4 AufenhG angelegt ist. Denn ausschließlich an dem Wort „Verlängerung" wird der Ausschluss verspäteter Verlängerungsanträge festgemacht. Das sich aus dem Wortlaut „Verlängerung" ergebende Auslegungsproblem, lässt sich auf die Fallgruppe der Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels  nicht übertragen. Die Einbeziehung verspäteter Anträge auf Verlängerung eines Aufehätte damit nicht zu neuen Abgrenzungsproblemen geführt.

Nunmehr vermag nur noch der Gesetzgeber eine Neuregelung vorzunehmen, um die arbeitsmarktrechtlichen Konsequenzen zu vermeiden.