Unverhältnismäßigkeit einer Wohnsitzauflage für jüdische Zuwanderer

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Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat an 15. Januar 2013 entschieden (1 C 7.12), dass jüdischen Zuwanderern aus der ehemaligen Sowjetunion zwar auferlegt werden kann, ihren Wohnsitz in einem bestimmten Bundesland zu nehmen; diese Auflage muss aber im Einzelfall verhältnismäßig sein.

Die Kläger, ein älteres Ehepaar aus der Ukraine, kamen Ende 1999 im Wege des Aufnahmeverfahrens als jüdische Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland und beziehen seitdem Sozialleistungen. Sie erhielten nach der Einreise eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, die inzwischen als humanitäre Niederlassungserlaubnis nach § 23 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) fortgilt. Die Wohnsitznahme wurde von der beklagten Ausländerbehörde zunächst auf den Landkreis Wittenberg beschränkt. Wegen des Bezugs von Sozialleistungen hält die Ausländerbehörde weiterhin an einer Wohnsitzbeschränkung fest und erweiterte diese 2006 lediglich auf das Land Sachsen-Anhalt. Hiergegen erhoben die Kläger Klage, weil sie nach Baden-Württemberg zu einer ihrer Töchter umziehen möchten. Ihre Klagen hatten in den Vorinstanzen Erfolg. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass die Kläger aus Art. 3 Abs. 1 GG einen Anspruch auf Gleichbehandlung mit anerkannten Flüchtlingen hätten. Bei dieser Personengruppe sind Wohnsitzauflagen nach der Genfer Flüchtlingskonvention generell unzulässig.

Der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat sich dieser Auffassung nicht angeschlossen, die Revision des Beklagten aber aus anderen Gründen zurückgewiesen. Die Kläger sind weder Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, noch haben sie - jedenfalls seit Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes - die Rechtsstellung eines Kontingentflüchtlings. Sie haben insoweit auch keinen Anspruch auf Gleichbehandlung mit anerkannten Flüchtlingen. Denn diese genießen aufgrund völkerrechtlicher Verpflichtung die Rechte aus der Genfer Flüchtlingskonvention, sie werden aber nur vorübergehend aufgenommen, solange sie wegen ihres Verfolgungsschicksals internationalen Schutzes bedürfen. Jüdischen Zuwanderern aus der ehemaligen Sowjetunion wurde hingegen mit der Aufnahme ein dauerhaftes, nicht von einem Verfolgungsschicksal abhängiges Aufenthaltsrecht in Deutschland eingeräumt. Von daher sind sie eher mit der Gruppe der Spätaussiedler zu vergleichen, die allerdings die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen.

Humanitäre Niederlassungserlaubnisse, wie sie jüdischen Zuwanderern erteilt werden, können mit einer Wohnsitzauflage versehen werden (§ 23 Abs. 2 Satz 4 AufenthG). Bei der Ausübung ihres Ermessens dürfen die Ausländerbehörden auf die einschlägigen Verwaltungsvorschriften zurückgreifen, die zur angemessenen Lastenverteilung zwischen den Bundesländern Wohnsitzauflagen vorsehen, solange Sozialleistungen bezogen werden. Die Verwaltungsvorschriften entheben die zuständige Ausländerbehörde aber nicht der Prüfung, ob eine Wohnsitzauflage im konkreten Einzelfall auch verhältnismäßig ist. Dabei kommt den Interessen des Betroffenen umso größeres Gewicht zu, je länger die Beschränkung andauert. Vorliegend ist der Aufenthalt der Kläger - im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz - bereits seit über 12 Jahren auf den Landkreis Wittenberg bzw. das Land Sachsen-Anhalt beschränkt. Zudem sind die Kläger altersbedingt nicht mehr in der Lage, ihren Lebensunterhalt dauerhaft aus eigenen Kräften zu sichern und es bestehen familiäre Anknüpfungspunkte außerhalb des Landes Sachsen-Anhalt. In diesem Fall überwiegt deshalb das persönliche Interesse der Kläger, ihren Lebensabend in der Nähe ihrer Kinder zu verbringen.

BVerwG 1 C 7.12 - Urteil vom 15. Januar 2013

Quelle: Presseerklärung des BVerwG