Kinder türkischer Staatsangehöriger unter 16 Jahren dürfen visumfrei in das Bundesgebiet einreisen

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Das VG Bremen hat mit Urteil vom 29.09.2014 (4 K 1738/12) entschieden, dass ein türkisches Kind eines türkischen Arbeitnehmers visumfrei einreisen darf, da nach § 2 Abs. 2 DVAuslG 1965 die Einreise und der Aufenthalt erlaubnisfrei gewesen ist, wenn das Kind einen Reiseausweis besaß.

Das Gericht geht davon aus, dass der Kläger vom Zeitpunkt seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland am 28.03.2011 an bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres (17.03.2014) keiner Aufenthaltserlaubnis bedurfte. Dies schließt die Kammer aus der Stand-Still-Klausel des Art. 13 ARB Nr. 1/80 EWG/Türkei. Hiernach dürfen die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und die Türkei für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen der Bedingungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen.

Das Gericht führt hierzu aus:

„Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 10.07.2014 - C-138/13 - in der Rechtssache Dogan gegen die Bundesrepublik Deutschland entschieden, dass Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen in Bezug auf die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit dahingehend auszulegen sei, dass diese Stillhalteklausel auch für nachzugswillige Familienangehörige eines bereits im Inland niedergelassenen türkischen Selbstständigen gelte. Ausdrücklich hebt der EuGH hervor, die Klägerin wolle nicht einreisen, um dort vom freien Dienstleistungsverkehr oder der Niederlassungsfreiheit Gebrauch zu machen, sondern um zu ihrem Ehemann zu ziehen und mit ihm ein Familienleben zu führen. Die Situation des Ehemannes, der Geschäftsführer einer GmbH sei, falle unter die Niederlassungsfreiheit. Eine die Voraussetzungen für eine erstmalige Aufnahme der Ehefrau verschärfende Regelung stelle eine „neue Beschränkung" der Ausübung der Niederlassungsfreiheit iSv. Art. 41 Abs. 1 ZP dar. Eine solche Beschränkung sei verboten, wenn sie nicht durch einen zwingenden .Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt und geeignet sei, die Erreichung des legitimen Ziels zu erreichen, und nicht über das zu dessen Erreichung Erforderliche hinausgehe.
Diese neue Rechtsprechung lässt sich nach Auffassung der Kammer auf das Verständnis der Stand-Still-Klausel des Art. 13 ARB Nr. 1/80 EWG/Türkei übertragen. Sie führt dazu, dass im Fall des Klägers, der den Zuzug zu seinem in Deutschland als Arbeitnehmer lebenden Vater begehrte, die Einreise- und Aufenthaltsvoraussetzungen für unter 16jährige Kinder aus der Türkei zugrunde zu legen sind, die nach dem AuslG 1965 und der dazu ergangenen Durchführungsverordnung galten. Nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 AuslG 1965 bedurften Ausländer, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, keiner Aufenthaltserlaubnis für die Einreise und den Aufenthalt. Zwar bedurften nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 DVAuslG 1965 vom 10.09.1965 Staatsangehörige der Türkei, die Inhaber von Nationalpässen waren, keiner Aufenthaltserlaubnis, wenn sie sich nicht länger als drei Monate im Geltungsbereich des AuslG aufhalten und keine Erwerbstätigkeit ausüben wollten. Diese Regelung stand jedoch neben derjenigen in § 2 Abs. 2 Nr. 1 AuslG 1965 und beseitigte diese Spezialregelung für unter 16-jährige nicht. Allerdings sah § 3 Abs. 1 Satz 1 AuslG 1965 vor, dass sich Ausländer, die in den Geltungsbereich des Gesetzes einreisten und sich darin aufhielten, durch einen Pass ausweisen mussten. Der Kläger war im Passbesitz, sodass auf die Visumnotwendigkeit verzichtet werden musste. Das Visumverlangen wäre eine verbotene Beschränkung, die nicht durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt wäre. Sie wäre nicht im Rechtssinn geeignet, das legitime Ziel (Familienzusammenführung) zu erreichen."

Mainz, 30.10.2014