EuGH: Regelung über Auslands-BAföG in Deutschland europarechtswidrig?

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Der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofes, Damaso Colomer, hat am 20. März 2007 in der verbundenen Rechtssache C-11/06 und C-12/06 mitgeteilt, dass die Anforderungen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) die Freizügigkeit von Studenten in unzulässiger Weise beschränkten und damit europarechtswidrig seien.
Es geht um die Frage, ob Deutschland seinen Staatsangehörigen für ein Vollstudium im Ausland Ausbildungsförderung nach dem BAföG gewähren muss. Nach dem geltenden Recht wird ein solches Vollstudium nur dann gefördert, wenn ein Student zu diesem Zweck täglich zwischen seinem ständigen Wohnsitz in Deutschland und der ausländischen Ausbildungsstätte pendelt. Wer kein Grenzgänger ist, kann für ein Auslandsstudium nur dann BAföG erhalten, wenn es sich dabei um die Fortsetzung  des mindestens einjährigen Besuchs einer deutschen Hochschule handelt..

 

Sacherhalt

Frau Morgan, eine deutsche Staatsbürgerin, besuchte das Gymnasium in Deutschland und zog nach bestandener Abiturprüfung nach Großbritannien, wo sie ein Jahr als Kindermädchen arbeitete, bevor sie ein Hochschulstudium aufnahm, für das sie bei den deutschen Behörden eine Beihilfe (Ausbildungsförderung) beantragte. Diese Beihilfe wurde ihr verweigert, weil die nationale Regelung  deren Gewährung davon abhängig macht, dass die Ausbildung die Fortsetzung eines mindestens einjährigen Besuchs einer deutschen Ausbildungsstätte darstellt.

Frau Bucher, ebenfalls deutsche Staatsangehörige, wohnte bei ihren Eltern in Bonn, bis sie sich dafür entschied, nach Düren, einer deutschen Stadt nahe der Grenze zu den Niederlanden, umzuziehen, und ein Studium in der niederländischen Stadt Heerlen aufzunehmen. Frau Bucher beantragte eine Beihilfe in Form von Ausbildungsförderung bei den zuständigen Behörden in Düren; diese Beihilfe wurde ihr versagt, weil sie keinen „ständigen“ Wohnsitz an einem grenznahen Ort habe, wie dies die deutsche Regelung verlange.

Das Verwaltungsgericht Aachen, bei dem beide Bürgerinnen Klage erhoben, ersucht den Gerichtshof um Stellungnahme zur Freizügigkeit der europäischen Studenten und zu Beihilfen für eine Ausbildung in anderen Staaten.

Begründung der Schlussanträge

In den heute vorgetragenen Schlussanträgen führt Generalanwalt Ruiz Jarabo aus, dass die deutschen Bestimmungen die Freizügigkeit der Studenten beeinträchtigen, da sie sie davon abhalten, von dieser Freiheit Gebrauch zu machen, und Kriterien aufstellen, die im Hinblick auf die verfolgten Ziele nicht verhältnismäßig sind. Zunächst erinnert der Generalanwalt daran, dass der Gerichtshof die Voraussetzungen für den Zugang zur Berufsausbildung in den Anwendungsbereich des Vertrags einbezogen hat und dass diese das Hochschul  und das Universitätsstudium umfasst. Der Zugang umfasst nicht nur die Aufnahme, sondern auch die Fortsetzung der Ausbildung. In diesem Sinne verfügt ein Mitgliedstaat über ein weites Ermessen bei der Gewährung von Beihilfen für eine Ausbildung im Ausland und der Bestimmung der Voraussetzungen dafür, muss dabei jedoch das Gemeinschaftsrecht beachten und seine Grundsätze, wie die Freizügigkeit, wahren. Zu der Beihilfevoraussetzung, dass die Ausbildung die Fortsetzung einer ein Jahr an einer in einer deutschen Ausbildungsstätte absolvierten Ausbildung darstellt, führt der Generalanwalt aus, dass diese Voraussetzung davon abhält, sich für eine Vollausbildung an Universitäten anderer Mitgliedstaaten einzuschreiben, da dies den Verzicht auf finanzielle Vorteile beinhaltet, die denjenigen gewährt werden, die unter gleichen Voraussetzungen im Herkunftsstaat bleiben. Er sieht darin eine Beschränkung der Freizügigkeit von Studenten vor.

Nach Ansicht des Generalanwalts Ruiz Jarabo kann das Erfordernis einer tatsächlichen Verbundenheit des Betroffenen mit seinem Herkunftsort das Hindernis für die Finanzierung der Ausbildung in anderen Staaten der Union rechtfertigen. Die Verbindung des Einzelnen mit dem Staat mittels des Beginns der Ausbildung zu verlangen, steht jedoch weder in geeigneter Weise für den wirklichen und effektiven Grad an Integration, noch vermag sie ihn zu stärken. Andererseits erklärt die Rechtfertigung mit der Knappheit der öffentlichen Mittel nicht das Erfordernis, dass mit der Ausbildung im Ausland eine mindestens einjährige Ausbildung im Inland fortgesetzt werden muss.

In Bezug auf die Vereinbarkeit der Freizügigkeit mit der Verweigerung von Beihilfen für Auszubildende, die Grenzpendler sind, weil es sich bei ihrem Aufenthaltsort nicht um den ständigen Wohnsitz handelt und er nur zum Zweck der Ausbildung gewählt worden ist, führt der Generalanwalt aus, dass dieses Erfordernis die Freizügigkeit zu Lasten derjenigen beeinträchtigt, die in grenznahe Ortschaften ziehen, um regelmäßiger am Unterricht im Nachbarland teilnehmen zu können. Der Generalanwalt äußert Verständnis dafür, dass regionalpolitische Erwägungen Ausgleichsmaßnahmen für die Nachteile ratsam machen, die den Bürgern entstehen, die in geringer Entfernung zu einem anderen Staat leben und erfahren, wie die Grenzen ihre Möglichkeiten der Wahl einer in der Nähe ihres Wohnsitzes gelegenen Ausbildungsstätte verzerren. Allerdings lehnt er im Fall von Frau Bucher das Erfordernis, dass ihr Wohnsitz „ständig“ sein muss, ab. Er hält die Anknüpfung an den Wohnsitz für ausreichend, da der ständige Wohnsitz des Betroffenen sowohl zu Beginn der Ausbildung als auch während der Vorlesungszeit in Deutschland liegen muss.
In beiden Fällen beschränkt nach Ansicht des Generalanwalts die Gewichtung der Beihilfen anhand der Studienleistungen die Freizügigkeit weniger.

HINWEIS: Die Ansicht des Generalanwalts ist für den Gerichtshof nicht bindend. Aufgabe des Generalanwalts ist es, dem Gerichtshof in völliger Unabhängigkeit einen Entscheidungsvorschlag für die betreffende Rechtssache zu unterbreiten. Die Richter des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften treten nunmehr in die Beratung ein. Das Urteil wird zu einem späteren Zeitpunkt verkündet.

Link zu den Schlussanträgen

http://curia.europa.eu/jurisp/cgi-bin/form.pl?lang=DE&Submit=Rechercher$docrequire=alldocs&numaff=C-11/06