EuGH: Anforderungen an eine nationale Befugnisnorm zur Identitätskontrolle nach Abschaffung der Kontrollen an den Binnengrenzen

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Mit Urteil vom 22.06.2010 erging die Entscheidung des EuGH in der Rechtssaache "Melki" und "Abdeli" (C-188/10 und C-189/10).

  1. Zur Frage der Europarechtswidrigkeit eines nationalen Gesetzes, das durch justizielle Verfahrensregeln letztlich die Möglichkeit des Vorabentscheidungsersuchens nach Art. 267 AEUV beschneidet.
  2. Zur Frage der Anforderungen an eine nationale Befugnisnorm, die Identitätskontrollen nach Abschaffung der Kontrollen an den Binnengrenzen im Rahmen der Verordnung (EG) Nr. 562/2006 (Art. 20 und 21) im Gebiet zwischen der Landgrenze von Frankreich zu den Schengenstaaten diesseits der Grenze im Abstand von 20 km zu ihr gezogenen Linie erlaubt.

Der EuGH stärkte erwartungsgemäß das Vorabentscheidungsverfahren und hielt entgegenstehendes nationales Verfahrensrecht dann für europarechtswidrig, wenn die nationalen Gerichte kein unbeschränktes Recht zur Vorlage an den Gerichtshof haben, wenn sie der Auffassung sind, dass ein bei ihnen anhängiges Verfahren Fragen der Auslegung oder der Gültigkeit der unionsrechtlichen Bestimmungen aufwirft, über die diese Gerichte im konkreten Fall entscheiden müssen. Einem Gericht, das nicht in letzter Instanz entscheidet, muss es nämlich freistehen, dem Gerichtshof die Fragen vorzulegen, bei denen es Zweifel hat, insbesondere dann, wenn es der An-sicht ist, dass es aufgrund der rechtlichen Beurteilung des übergeordneten Gerichts zu einem unionsrechtswidrigen Urteil gelangen könnte.

Der Gerichtshof erklärte die verdachtsunabhängigen Kontrollen nicht grundsätzlich für unvereinbar mit dem Unionsrecht.
Zu den Anforderungen gehört allerdings, dass - die Kontrollen nicht an den Grenzen, sondern im Hoheitsgebiet stattfinden und
- die Kontrolle unabhängig vom Überschreiten der Grenze durch die kontrollierte
  Person stattfindet.

Im Sinne der Rechtsklarheit muss eine solche nationale Befugnisnorm allerdings folgende Kriterien erfüllen: - sie (dass heißt: die Regelung selbst) muss den erforderlichen Rahmen
  vorgeben, um insbesondere das Ermessen zu lenken, über das die Behörden
  bei der tatsächlichen Handhabung der Befugnis verfügen. Über diese ermessenslenkende Klarstellung verfügen die Befugnisnormen der Länder und des Bundes in Deutschland derzeit nicht. Daher sind diese Normen nicht europarechtskonform ausgestaltet.
Erforderlich ist somit diese Befugnisnormen durch Gesetz zu ergänzen, z.B. in dem konkret auf die Vorgaben des Art. 21 a SGK Bezug genommen wird. Eine nähere Ausgestaltung durch Rechtsverordnung oder lediglich im Erlasswege wird nicht empfohlen.

 

Zur Kommentierung und zum Urteil im Volltext:

icon EuGH Rs. C-188/10 und C-189/10 - Melki & Abdeli - Urteil vom 22.06.2010 (420.86 kB 2010-08-06 11:05:42)