EuGH stellt Verstoß der österreichischen Regelungen über den Hochschulzugang gegen Gemeinschaftsrecht fest
(Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache C-147/03, Kommission ./. Österreich)
STRAßBURG - Am 7. Juli 2005 hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH, externer Link) über eine Klage der Europäischen Kommission gegen den Mitgliedstaat Österreich entschieden. Es ging in dem Rechtsstreit um die Vereinbarkeit einer österreichischen Regelung über den Zugang zu Universitäten mit dem Recht der Europäischen Gemeinschaften, insbesondere der Grundfreiheit der Freizügigkeit, hier derjenigen der Studierenden.
Die Regelung bewirkt nach Auffassung des Gerichtshofes eine mittelbare Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit, indem sie den Zugang von Studenten, die ihren Sekundarschulabschluss in einem anderen Mitgliedstaat erworben haben, von der Erfüllung nicht nur der österreichischen allgemeinen Zulassungsvoraussetzungen, sondern auch der Voraussetzungen einer unmittelbaren Zulassung zur gewünschten Studienrichtung in diesem anderen Staat abhängig macht.
Der EuGH hat entschieden, dass die österreichische Regelung über den Zugang zum Hochschul- und Universitätsstudium gegen das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit und die Bestimmungen des EG-Vertrags über die berufliche Bildung verstoße. Österreich habe nicht die erforderlichen Maßnahmen getroffen, um sicherzustellen, dass die Inhaber von in anderen Mitgliedstaaten erworbenen Sekundarschulabschlüssen unter den gleichen Voraussetzungen wie die Inhaber österreichischer Sekundarschulabschlüsse Zugang zu diesem Studium haben.
Nach den Feststellungen des Gerichtshofes führt diese Zugangsregelung nicht nur eine unterschiedliche
Behandlung zum Nachteil derjenigen Schulabgänger ein, die ihren Sekundarschulabschluss in einem anderen Mitgliedstaat als Österreich erworben haben, sondern auch eine unterschiedliche Behandlung zwischen diesen Schulabgängern selbst, je nach dem Mitgliedstaat, in dem sie ihren Sekundarschulabschluss erworben haben. Diese Regelung wirke sich stärker auf Schulabgänger anderer Mitgliedstaaten als auf österreichische Schulabgänger aus und führe damit zu einer mittelbaren Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit.
Diese Diskriminierung könnte nur dann gerechtfertigt sein, wenn sie auf objektiven, von der Staatsangehörigkeit der Betroffenen unabhängigen Erwägungen beruhte und in einem angemessenen Verhältnis zu einem legitimen Zweck stünde, der mit den nationalen Rechtsvorschriften verfolgt wird.
Der Gerichtshof prüfte unter folgenden Aspekten, ob für die mittelbare Diskriminierung eine Rechtfertigung existierte:
- Interesse an der Wahrung der Einheitlichkeit des österreichischen Systems der Hochschul- und Universitätsausbildung,
- Interesse an der Verhütung von Missbräuchen des Gemeinschaftsrechts, und
- Zulässigkeit nach zwei im Rahmen des Europarats geschlossenen Übereinkünften von 1953 und 1997 über die Gleichwertigkeit der Reifezeugnisse.
In allen Punkten gelangte der EuGH zu einem negativen Ergebnis. Daher gab er der Klage der Kommission statt.
Die Reaktionen diesseits und jenseits der deutsch-österreichischen Grenze und in Brüssel waren erwartungsgemäß kontrovers. Österreichs Bildungsministerin Elisabeth Gehrer gab unmittelbar nach dem Spruch einen seit längerem geplanten "Notfallplan" bekannt. Am 8. Juli 2005 sollte das Parlament ein Gesetz beschließen, das die Unis zur Festlegung von Auswahlverfahren vor dem Studium oder zu einem Eingangssemester ermächtigt ? für die deutschen Numerus-clausus- Fächer Medizin, Zahn- und Veterinärmedizin, Biologie, Psychologie, Pharmazie und das Nicht-NC-Fach BWL. Diese Ermächtigung soll auf zwei Jahre befristet sein, danach wird evaluiert. Eine weitere Bedingung ist, dass die gleiche Zahl an Studierenden wie bisher ausgebildet wird.
Der Sprecher von EU-Bildungskommissar Jan Figel, Frédéric Vincent, führte gegenüber der österreichischen Zeitung "Der Standard" aus: "Das Urteil ist nicht überraschend. Und es ist eine gute Nachricht für die europäischen Studenten. Wir begrüßen die Entscheidung. Es liegt nun an Österreich, Änderungen vorzunehmen und das Urteil umzusetzen." Die EU-Kommission warte darauf. Er hob hervor, dass das Gericht insbesondere die Bewegungsfreiheit eingeschränkt sah. Er warnte Österreich, Maßnahmen zu ergreifen, die weitere Einschränkungen etwa für Medizinstudenten vorsähen. Es liege an jedem EU-Mitgliedsstaat, sein eigenes Hochschulsystem zu organisieren, aber es dürfe nicht diskriminierend geschehen.
In Berlin wurde das Urteil begrüßt: "Wir sind in Europa und da ist es wichtig, dass Menschen den höchstmöglichen Grad an Freiheit und keine national bedingten Schranken haben", hieß es im Büro von Bildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD). Dort erwartet man auch keinen größeren Andrang deutscher Studenten an österreichischen Hochschulen.
Link zum vollständigen Urteilstext (externer Link): http://curia.eu.int/jurisp/cgi-bin/form.pl?lang=de&Submit=Suchen&alldocs=alldocs&docj=docj&docop=docop&docor=docor&docjo=docjo&numaff=C+147%2F03&datefs=&datefe=&nomusuel=&domaine=&mots=&resmax=100