EuGH: Aufenthaltsrecht für türkische Studenten und Au-pair-Kräfte

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Der EuGH hat mit Urteil vom 24. Januar 2008 in der Rechtssache C 294/06 (Payir) entschieden, dass auch Studenten und eine Au-pair-Kraft als Arbeitnehmer ordnungsgemäß beschäftigt sein können und daher in der Lage sind, eine Rechtsstellung nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 zu erlangen.

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

Die Ausgangsverfahren betrafen zum einen eine Au-pair-Kraft, Frau Payir, und zum anderem zwei Studenten, Herrn Akyuz und Herrn Ozturk.

Frau Payir, die damals 21 Jahre alt war, erhielt eine vorläufige Einreisegenehmigung und anschließend im April 2000 eine bis zum April 2002 gültige Einreiseerlaubnis. Diese Einreiseerlaubnis war mit der Auflage versehen, dass Frau Payir außer der Au-pair-Tätigkeit keine entgeltliche oder unentgeltliche Beschäftigung ausüben durfte.

Nach ihrer Einreise in das Vereinigte Königreich war Frau Payir zunächst bei einer Familie und anschließend ab März 2001 bei einer anderen Familie als Au-pair-Kraft beschäftigt, für die sie zwischen 15 und 25 Stunden pro Woche arbeitete. Sie erhielt Unterkunft und Verpflegung sowie eine Vergütung von 70 GBP (etwa 103 Euro) wöchentlich.

Im April 2002, bevor ihre Einreiseerlaubnis auslief, beantragte sie beim Secretary of State eine weiter gehende Aufenthaltserlaubnis für das Vereinigte Königreich und machte insoweit unter Berufung auf Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 geltend, dass sie seit mehr als einem Jahr bei demselben Arbeitgeber beschäftigt sei und weiter in dessen Dienst bleiben wolle. Ihr Antrag wurde mit Entscheidung vom 18. August 2004 abgelehnt.

Frau Payir klagte gegen diese Entscheidung beim High Court of Justice (England & Wales), Queen’s Bench Division (Administrative Court), der ihrer Klage stattgab, die betreffende Entscheidung aufhob und den Secretary of State verpflichtete, die Einreiseerlaubnis von Frau Payir zu verlängern und die ursprüngliche Auflage, mit der ihr Zugang zum Arbeitsmarkt eingeschränkt worden war, zu streichen. Die Einreiseerlaubnis von Frau Payir wurde bis zum 2. August 2006 verlängert. Im Oktober 2005 nahm sie eine Beschäftigung als Verkäuferin auf.
Der Secretary of State legte gegen die Entscheidung des High Court Rechtsmittel mit der Begründung ein, dass Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 auf Au-pair-Kräfte keine Anwendung finde.

Herr Akyuz und Herr Ozturk reisten 1999 bzw. 1997 als Studenten mit einer Einreiseerlaubnis in das Vereinigte Königreich ein; anschließend erhielten sie jeweils eine Aufenthaltserlaubnis. Den Aufenthaltserlaubnissen zufolge durften sie außerhalb der Ferien höchstens 20 Stunden pro Woche arbeiten.

Während ihres Studiums waren diese beiden türkischen Staatsangehörigen als Kellner in einem Restaurant teilzeitbeschäftigt und erhielten von ihrem Arbeitgeber ein Angebot auf Verlängerung ihrer Arbeitsverträge. Bevor ihre Einreise- bzw. Aufenthaltserlaubnis als Student ablief, beantragten Herr Akyuz und Herr Ozturk beim Secretary of State im Juli 2003 bzw. Januar 2004 eine Aufenthaltserlaubnis und beriefen sich dabei auf Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80. Gegen die am 18. August 2004 erfolgte Ablehnung ihrer Anträge klagten sie beim High Court, der den Klagen stattgab. Mit der Begründung, dass Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 auf Studenten keine Anwendung finde, legte der Secretary of State gegen die entsprechenden Entscheidungen des High Court Rechtsmittel ein. Die Klagen von Frau Payir sowie von Herrn Akyuz und Herrn Ozturk werden vom Court of Appeal (England & Wales) (Civil Division) zusammen geprüft.

In den Ausgangsverfahren hegt der Court of Appeal (England & Wales) (Civil Division) Zweifel, ob sich die betreffenden türkischen Staatsangehörigen auf die Bestimmungen des Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 berufen können. Das Gericht möchte im Wesentlichen wissen, ob der Umstand, dass einem türkischen Staatsangehörigen gestattet worden ist, als Au-pair-Kraft oder als Student in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einzureisen, ihm die Eigenschaft als „Arbeitnehmer“ nimmt und ihn von der Zugehörigkeit zum „regulären Arbeitsmarkt“ dieses Mitgliedstaats im Sinne von Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 ausschließt, so dass er sich nicht auf diese Vorschrift berufen kann, um eine Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis zu erhalten und in den Genuss des entsprechenden Aufenthaltsrechts zu kommen.

Entscheidung des EuGH

Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 verlangt als dritte Voraussetzung eine ordnungsgemäße Beschäftigung, d. h. eine gesicherte und nicht nur vorläufige Position auf dem Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaats und damit ein nicht bestrittenes Aufenthaltsrecht (vgl. Urteil vom 19. November 2002, Kurz, C 188/00, Slg. 2002, I 10691, Randnr. 48).
Der Vorlageentscheidung zufolge haben sowohl Frau Payir als auch Herr Akyuz und Herr Ozturk Leistungen erbracht, die tatsächliche und echte wirtschaftliche Tätigkeiten darstellen. Aus den Akten geht hervor, dass sie nach den Weisungen eines Arbeitgebers gearbeitet und für ihre Leistungen eine Vergütung als Gegenleistung erhalten haben. Frau Payir hat zwischen 15 und 25 Stunden pro Woche, Herr Akyuz und Herr Ozturk haben höchstens 20 Stunden pro Woche gearbeitet. Es wird nicht vorgetragen, dass die von ihnen ausgeübten Tätigkeiten völlig untergeordnet gewesen seien. Somit weisen diese Tätigkeiten ihrer Beschreibung nach die Merkmale auf, anhand deren die sie ausübenden Personen grundsätzlich als „Arbeitnehmer“ im Sinne von Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 angesehen werden können.

Dennoch stellt sich die Frage, ob die Au-pair- oder Studenteneigenschaft der drei türkischen Staatsangehörigen, deren Tätigkeiten im Übrigen die drei Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 erfüllen, diesen die Arbeitnehmereigenschaft nimmt und sie von der Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats im Sinne dieser Bestimmung ausschließt.

Um festzustellen, ob sich ein rechtmäßig in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats eingereister türkischer Staatsangehöriger, nachdem er ein Jahr in diesem Gebiet gearbeitet hat, auf die von Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 verliehenen Rechte berufen kann, ist daher zu prüfen, ob der Betreffende die objektiven Voraussetzungen nach dieser Bestimmung erfüllt, ohne dass dabei die Gründe, aus denen ihm die Einreise ursprünglich gestattet wurde, oder eine zeitliche Beschränkung, an die sein Recht zu arbeiten eventuell geknüpft war, zu berücksichtigen sind. Nach ständiger Rechtsprechung sind die nationalen Behörden nicht befugt, diese Rechte Bedingungen zu unterwerfen oder ihre Ausübung einzuschränken, weil dies die praktische Wirksamkeit dieses Beschlusses beeinträchtigen würde (vgl. Urteile Günaydin, Randnrn. 37 bis 40 und 50, Birden, Randnr. 19, Kurz, Randnr. 26, vom 21. Oktober 2003, Abatay u. a., C 317/01 und C 369/01, Slg. 2003, I 12301, Randnr. 78, und Sedef, Randnr. 34).

Unter diesen Umständen kann dem Vorbringen der Mitgliedstaaten, die Erklärungen eingereicht haben, dass ein Student oder eine Au-pair-Kraft die Rechtsvorschriften des Aufnahmemitgliedstaats umgehen könne, um schrittweise einen Anspruch auf unbeschränkten Zugang zu dessen Arbeitsmarkt zu erlangen, nicht gefolgt werden. Denn eine Umgehung dieser Rechtsvorschriften kann nicht vorliegen, wenn die Betreffenden nur ein Recht ausüben, das im Beschluss Nr. 1/80 ausdrücklich vorgesehen ist. Etwas anderes gälte nur dann, wenn die Betreffenden einen Anspruch auf Einreise in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats durch Täuschung erlangt hätten, indem sie wahrheitswidrig die Absicht bekundeten, zu studieren oder eine Au-pair-Tätigkeit auszuüben. Wenn dagegen das Bestehen dieser Absicht dadurch bestätigt wird, dass sie tatsächlich studieren oder eine Au-pair-Tätigkeit ausüben, wenn sie rechtmäßig eine Arbeit im Aufnahmemitgliedstaat erhalten und wenn sie die Voraussetzungen nach Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 erfüllen, können die Betreffenden in vollem Umfang die Rechte geltend machen, die ihnen diese Bestimmung verleiht.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

Der Umstand, dass einem türkischen Staatsangehörigen gestattet worden ist, als Au-pair-Kraft oder als Student in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einzureisen, kann ihm nicht die Eigenschaft als „Arbeitnehmer“ nehmen und ihn nicht von der Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt im Sinne von Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation ausschließen. Dieser Umstand hindert den betreffenden Staatsangehörigen daher nicht daran, sich auf diese Vorschrift zu berufen, um eine Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis zu erhalten und in den Genuss eines dementsprechenden Aufenthaltsrechts zu kommen.

Link zur Entscheidung

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