EuGH: Rückreisevisumpflicht für Drittstaatsangehörige mit nur vorläufigem Aufenthaltstitel europarechtskonform

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Verbietet ein EU-Mitgliedstaat visumspflichtigen Drittstaatsangehörigen, die einen von ihm ausgestellten vorläufigen Aufenthaltstitel besitzen, die Wiedereinreise ohne "Rückreisevisum", verstößt dies nicht gegen den Schengener Grenzkodex, auch wenn sie über die Außengrenzen des Schengenraums unmittelbar wieder in den Ausstellungsstaat einreisen wollen. Dies hat der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 14.06.2012 entschieden. Die nationalen Behörden dürfen die Wiedereinreise in den Schengenraum in einem solchen Rückreisevisum aber nicht auf Orte im nationalen Hoheitsgebiet beschränken (Az.: C-606/10).

Das Ersuchen erging im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Association nationale d’assistance aux frontières pour les étrangers (Nationale Vereinigung zur Unterstützung von Ausländern an den Grenzen, im Folgenden: ANAFE) und dem Ministre de l’intérieur, de l’Outre-mer, des Collectivités territoriales et de l’Immigration (Minister für Inneres, die Überseegebiete, die Gebietskörperschaften und Einwanderung) über den Runderlass des Ministre de l’Immigration, de l’Intégration, de l’Identité nationale et du Développement solidaire (Minister für Einwanderung, Integration, nationale Identität und Förderung der Solidarität) vom 21. September 2009 über die Voraussetzungen für die Einreise von Drittstaatsangehörigen in den Schengenraum, die über eine vorläufige Aufenthaltserlaubnis und eine von den französischen Behörden ausgestellte Bestätigung über die Einreichung eines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels verfügen (im Folgenden: Runderlass vom 21. September 2009).

Auszug aus dem Urteil:

Auch die Aufenthaltsdauer hat keinen Einfluss auf die Anwendung von Art. 13 der Verordnung Nr. 562/2006. Diese Auslegung wird durch den Verweis in Art. 13 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung Nr. 562/2006 auf Art. 5 derselben Verordnung bestätigt. Art. 13 bezieht sich zwar auf die Einreisevoraussetzungen des Art. 5 Abs. 1, die einen Aufenthalt von bis zu drei Monaten je Sechsmonatszeitraum betreffen, verweist jedoch auch auf den in Art. 5 Abs. 4 genannten Personenkreis, d. h. auf Inhaber eines Aufenthaltstitels oder Rückreisevisums. Inhaber eines Aufenthaltstitels oder Rückreisevisums, die für eine Dauer von mehr als drei Monaten in einen Mitgliedstaat wieder einreisen wollen, fallen also in den Anwendungsbereich von Art. 13 der Verordnung.

Das Rückreisevisum im Sinne von Art. 5 Abs. 4 Buchst. a der Verordnung Nr. 562/2006 stellt demzufolge die Erlaubnis eines Mitgliedstaats dar, die einem Drittstaatsangehörigen, der weder über einen Aufenthaltstitel noch über ein Visum oder ein Visum mit räumlich beschränkter Gültigkeit im Sinne des Visakodex verfügt, gewährt werden kann, um ihm zu ermöglichen, diesen Mitgliedstaat zu einem bestimmten Zweck zu verlassen und anschließend in denselben Staat zurückzukehren.

Die Bedingungen für die Erteilung einer solchen nationalen Wiedereinreisegenehmigung sind in der Verordnung Nr. 562/2006 zwar nicht festgelegt, doch ergibt sich, wie sowohl die französische Regierung als auch die Kommission geltend machen, aus dem Wortlaut von Art. 5 Abs. 4 Buchst. a dieser Verordnung, dass das Rückreisevisum dem Drittstaatsangehörigen die Einreise in das Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten zum Zweck der Durchreise zur Erreichung des Hoheitsgebiets des Mitgliedstaats, der ein solches Rückreisevisum ausgestellt hat, gestatten muss.


Tenor:

  1. Die in Art. 13 der Verordnung (EG) Nr. 562/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 81/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Januar 2009 geänderten Fassung festgelegten Regeln für die Verweigerung der Einreise von Drittstaatsangehörigen gelten auch für visumpflichtige Drittstaatsangehörige, die – ohne das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats zu betreten – über die Außengrenzen des Schengenraums wieder in den Mitgliedstaat einreisen wollen, der ihnen einen vorläufigen Aufenthaltstitel ausgestellt hat.
  2. Art. 5 Abs. 4 Buchst. a der Verordnung Nr. 562/2006 in der durch die Verordnung Nr. 81/2009 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass ein Mitgliedstaat, der einem Drittstaatsangehörigen ein Rückreisevisum im Sinne dieser Vorschrift ausstellt, die Einreise in den Schengenraum nicht auf Orte seines nationalen Hoheitsgebiets beschränken kann.
  3. Nach den Grundsätzen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes mussten nicht Übergangsmaßnahmen für Drittstaatsangehörige vorgesehen werden, die aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats ausgereist sind, während sie nur im Besitz einer für die Dauer der Prüfung eines ersten Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels oder eines Asylantrags ausgestellten vorläufigen Aufenthaltserlaubnis waren, und die nach Inkrafttreten der Verordnung Nr. 562/2006 in der durch die Verordnung Nr. 81/2009 geänderten Fassung in dieses Hoheitsgebiet zurückkehren wollen.

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