Der vorliegende Schlussantrag des Tribunal du travail de Bruxelles betrifft den Umfang des Aufenthaltsrechts von Drittstaatsangehörigen, die Eltern eines Kleinkinds sind, das die Unionsbürgerschaft besitzt und den Mitgliedstaat, in dem es geboren wurde, bisher noch nicht verlassen hat.
Dem Schlussantrag wird ein hohe Bedeutung in Bezug auf die künftige Auslegung der Unionsbürgerschaft zugemessen.
Zum Fall:
Das kolumbianische Ehepaar Zambrano lebt in Belgien. Nach erfolglosem Asylverfahren bestanden Abschiebungshindernisse nach Kolumbien. In der Folgezeit wurden zwei Kinder in Belgien geboren. Der Vater machte geltend, die Geburt eines Kindes, das belgischer Staatsangehöriger sei, verleihe ihm einen Anspruch auf eine Aufenthaltsgenehmigung.
In ihren schriftlichen Erklärungen führt die belgische Regierung aus, dass infolge von Regierungsmaßnahmen zur Bereinigung bestimmter Verhältnisse von Personen, die sich illegal im Land aufhalten, Herrn Ruiz Zambrano am 30. April 2009 eine vorläufige und erneuerbare Aufenthaltsgenehmigung sowie eine Arbeitserlaubnis (Kategorie C) erteilt worden seien. Letztere habe keine Rückwirkung, so dass weiterhin davon ausgegangen werde, dass die Beschäftigung von Herrn Ruiz Zambrano 2001 bis 2006 ohne Arbeitserlaubnis erfolgt sei.
Zur Bedeutung:
Es ist eine erweiternde Auslegung der Art. 20 und 21 AEUV durch den EuGH zu erwarten. Insbesondere gilt es zu klären, ob es sich bei der dem Ausgangsverfahren zugrunde liegenden Fallgestaltung um einen „rein innerstaatlichen“ Sachverhalt im betreffenden Mitgliedstaat handelt, bei dem das Unionsrecht keine Rolle spielt oder, ob die vollständige Anerkennung der Rechte (auch der zukünftigen Rechte), die sich zwangsläufig aus der Unionsbürgerschaft ergeben, dazu führen, dass ein Unionsbürger im Kleinkindalter ein auf dem Unionsrecht – nicht dem nationalen Recht – beruhendes Recht hat, sich überall im Gebiet der Union (einschließlich des Mitgliedstaats, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt) aufzuhalten. Dies könnte sodann – um ihm eine wirksame Wahrnehmung dieses Rechtes zu ermöglichen – bedeuten, dass ihm der Aufenthalt bei einem Elternteil zu erlauben wäre, der Drittstaatsangehöriger ist, wenn andernfalls eine erhebliche Grundrechtsverletzung vorläge.
Im Mittelpunkt steht daher die wichtige Frage, ob eine Ausübung der Freizügigkeit erforderlich ist, damit die Vertragsbestimmungen über die Unionsbürgerschaft zum Tragen kommen.
Der Schlussantrag kommt zum Ergebnis, dass
- Art. 20 und 21 AEUV ein auf dem Unionsbürgerstatus eigenständiges Aufenthalsrecht vorsehen,
- in diesem Fall ein Eingriff in das Recht auf Achtung des Familienlebens (Art. 8 EMRK; nach heutigem Recht auch Art. 7, 24 GRC) vorliegt, der Eingriff auch nicht gerechtfertigt oder verhältnismäßig wäre, da die Kinder das ihnen als Unionsbürger zustehende Aufenthaltsrecht ohne die Hilfe und Unterstützung seitens ihrer Eltern nicht wirksam wahrnehmen können. Ihr Aufenthaltsrecht würde dadurch – bis sie alt genug sind, um es
selbständig ausüben zu können – nahezu völlig inhaltslos, - Art. 18 AEUV (subsidiär) dahin auszulegen ist, dass er einer umgekehrten Diskriminierung entgegensteht, die durch das Ineinandergreifen von Art. 21 AEUV und nationalem Recht verursacht wird, wenn sie eine Verletzung der im Unionsrecht anerkannten Grundrechte beinhaltet und wenn nach nationalem Recht kein mindestens gleichwertiger Schutz zur Verfügung steht (im Ergebnis ist der Fall "Zambrano" nicht anders als der Fall "Zhu" (vormals nach einem Missverständnis als "Chen" bekannt) zu bewerten).
Das Urteil - soweit es dem Schlussantrag folgt - wird eine neue Basis für die Bewertung von so genannten Rückkehrfällen bereiten, deren bisherige Betrachtung dann obsolet sein könnte.
Ebenso gibt der Schlussantrag der Bewertung des Verfassers Recht, dass die Versagung der Reiserechte freizügigkeitsberechtigter Drittstaatsangehöriger, jedenfalls von Aufenthaltskarteninhabern, die alleine reisen möchten/müssen, dem aus dem Unionsbürgerstatus fließenden Recht entgegensteht. Siehe dazu ZAR 8/2010 und Beitrag in Mnet.
Zum Schlussantrag:
Schlussantrag Rs. C-34/09 - Zambrano - vom 30.09.2010 (409.96 kB 2010-10-09 19:33:17)