Der Versicherungskaufmann
Andreas G.
wurde zum SchleuserDer Angeklagte ist Versicherungskaufmann und Alkoholiker. Der Alkohol hat ihn eines Tages um seinen gelernten Beruf gebracht, nicht aber um seinen Ehrgeiz. Andreas G. stieß zu einem Menschenhändlerring, und statt Versicherungen zu verkaufen, fuhr er nun nach Polen und pries jungen Frauen ein Leben im goldenen Westen an. Dass es mit Prostitution und Illegalität zu tun haben würde, erwähnte er nicht, das war Teil seines Jobs. Das Landgericht Berlin verurteilte ihn nun wegen Schleusens zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren.
Andreas G. ist ein bulliger Mann von 46 Jahren. Das geregelte Leben in der Versicherung, das ihm einst 6000 Euro im Monat einbrachte, hat keine Spuren an ihm hinterlassen. Andreas G. trägt eine dreckige Jogginghose, an seinen Schläfen prangen zwei großflächige Tätowierungen. Nur das Beschönigen beherrscht er immer noch. Nachdem der Anklagesatz verlesen ist, sagt er erst "Einige Teile stimmen" und beginnt dann, Punkt für Punkt abzustreiten, als handele es sich um unberechtigte Forderungen eines Versicherten.
Zum Menschenhandel ist er über eine ukrainische Bekannte gekommen. Die erzählte ihm eines Tages, ihr Mann betreibe eine Agentur und suche noch einen Fahrer. Die Agentur war nichts anderes als ein Callgirl-Ring, in dem Frauen arbeiteten, die aus der Ukraine, Polen oder Bulgarien illegal nach Deutschland gebracht worden waren. Andreas G.'s Aufgabe wurde es nun, diese eingeschleusten Frauen an Tankstellen oder Autobahnausfahrten abzuholen und nach Berlin zu bringen. "Frauen übergeben" sagt Andreas G. dazu, so wie er auch davon spricht, dass Frauen "veräußert" worden seien oder eine konkurrenzierende Agentur seinem Chef "Mädchen geklaut" habe.
Andreas G.s Chef war Gebäudereiniger, ehe er seinen Callgirlring aufbaute. Er tat sich mit ein paar Bekannten zusammen, man streunte durch polnische Nachtclubs und erzählte den Mädchen dort von den Möglichkeiten in Deutschland. Zeigten die Frauen Interesse, bekamen sie entweder von ihren spätereren Freiern Einladungen - die Voraussetzung für ein Visum - oder sie wurden mit einem Schlauchboot über die Oder gebracht. In jedem Fall gab man ihnen, kaum dass sie die deutsche Grenze passiert hatten, einen Zettel in die Hand, auf dem eine vierstellige Zahl stand. Das war die Summe, die sie als Prostituierte abarbeiten würden müssen, für 70 Euro die Stunde, wobei 35 Euro ihres Verdienstes allein an den Fahrer gingen.
Die Agentur lief nicht sehr gut. Der Chef hatte kein Glück mit seinen Schleusern, dann versuchte er auch noch, mit den Russen Geschäfte zu machen. Einen wie den Versicherungskaufmann Andreas G. konnte er gut gebrauchen, und Andreas G. enttäuschte ihn nicht. Mit der ihm eigenen Systematik begann er, Diskotheken in Gubin und Umgebung zu durchkämmen, "mein Einsatzgebiet", wie er es nennt, und sich mit den polnischen oder ukrainischen Frauen anzufreunden, die sich dort aufhielten. Die Frauen kannten meistens andere Frauen, die in den Westen wollten, und die vermittelte Andreas G. dann an seinen Chef. Bezahlt wurde er in Alkohol oder bar oder er durfte mit einer Prostituierten die Nacht verbringen.
Er war gut im Geschäft, und das sprach sich herum. Eines Tages wandte sich der Automechaniker an ihn, bei dem G.'s Sohn seine Lehre machte. Der Automechaniker wollte ebenfalls ins Geschäft einsteigen kenne und sagte zu G., er kenne da zwei bulgarische Mädchen in Cottbus, "willste die haben". Andreas G. holte die Frauen in Cottbus ab und übergab sie seinem Chef. Ob die Frauen freiwillig der Prostituion nachgegangen seien, will die Richterin wissen. "Keine Ahnung", sagt Andreas G. unwillig. "Ich war nur für die Kontakte zuständig." Er scheint fast stolz zu sein auf seine logistischen Fähigkeiten, ebenso darauf, ein drogensüchtiges Mädchen aus der Ukraine erst "clean gemacht" und dann an seinen Chef weitervermittelt zu haben. Diese Angela war über ihren Bruder zu dem Callgirl-Ring gekommen, auch das ist nicht ungewöhnlich. Es ist die Seltenheit, dass die Frauen von Wildfremden eine Maschinenpistole an die Brust gehalten bekommen und zur Prostitution gezwungen werden. Nicht selten sind es Familienmitglieder, Freunde oder Bekannte, die die Frauen mit Lügen und falschen Versprechungen an die Schleuser ausliefern, ein Vertrauensverhältnis ausnützend und wohl wissend, dass diese Frauen aus Rücksicht auf die familiären oder freundschaftlichen Bindungen keine Anzeige erstatten werden.
Im Fall von Angela haben sich der Bruder und Andreas G. das Geld aufgeteilt, das sie als Prostituierte verdient hat. "Damit sie es nicht für Drogen ausgibt", rechtfertigt sich Andreas G. Als er eines Tages wieder eine seiner "Lieferfahrten" erledigte, wurde er von der Polizei angehalten. Den Frauen, die er im Auto hatte, gelang die Flucht, Andreas G. wurde wie sein Chef und die anderen Beteiligten festgenommen. Angela nützt das nicht viel. Sie ist alkoholsüchtig geworden und hat bereits mehrere Male versucht, sich umzubringen.