Keine Kindernachzug bei Anspruch auf Arbeitslosengeld II

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Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat heute entschieden, dass der Lebensunterhalt eines Ausländers dann nicht im Sinne des Aufenthaltsgesetzes gesichert ist, wenn er Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch II (SGB II) hat. Damit hat es eine in der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte umstrittene Frage geklärt.

In dem Ausgangsfall ging es um den Antrag einer 1990 geborenen Türkin auf Erteilung eines Visums zum Zweck des Familiennachzugs zu ihrer im Bundesgebiet lebenden türkischen Mutter. Dieser war nach Scheidung vom Vater der Klägerin das alleinige Sorgerecht übertragen worden. 1998 war sie ohne ihre Tochter nach Deutschland eingereist. Den Antrag der Klägerin auf Erteilung eines Visums vom Mai 2005 lehnte die Auslandsvertretung der Bundesrepublik Deutschland in Istanbul ab. Das Verwaltungsgericht Berlin und das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg haben die dagegen gerichtete Klage abgewiesen und dies wie folgt begründet: Zwar lägen bei der Klägerin die besonderen Voraussetzungen für einen Kindernachzug vor, es fehle aber an der auch in diesem Fall regelmäßig erforderlichen Sicherung des Lebensunterhalts. Der nach dem SGB II zu berechnende Unterhaltsbedarf für die Klägerin und ihre Mutter übersteige das anrechnungsfähige Einkommen um etwa 245 €, so dass in dieser Höhe nach Einreise der Klägerin ein Anspruch auf Zahlung nach dem SGB II bestünde. Dabei sei das Erwerbseinkommen der Mutter der Klägerin um die Beträge zu mindern, die der Gesetzgeber beim Arbeitslosengeld II eingeführt hat, damit diejenigen, die eine - wenn auch gering entlohnte - Arbeit ausüben, mehr Geld zur Verfügung haben als Erwerbslose (hier: Erwerbstätigenfreibetrag und Werbungskostenpauschale). Mit ihrer Revision wendet sich die Klägerin u.a. gegen den Abzug der Beträge vom Erwerbseinkommen ihrer Mutter. Es handele sich hierbei um fiktive Beträge, die das für den notwendigen Lebensunterhalt tatsächlich benötigte Einkommen nicht minderten. Zweck der erst 2005 eingeführten höheren Freibeträge sei es nicht gewesen, die Nachzugsvoraussetzungen zu Lasten von Ausländer zu verschärfen.

Der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat die Entscheidung der Vorinstanzen bestätigt. Soweit der Gesetzgeber den Familiennachzug und Aufenthaltsrechte von der Sicherung des Lebensunterhalts abhängig macht (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 3 AufenthG), will er eine Inanspruchnahme öffentlicher Mittel verhindern. Ist davon auszugehen, dass - wie bei der Klägerin - im Falle des Nachzugs ein Anspruch auf Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld nach dem SGB II entsteht, ist der Lebensunterhalt nicht gesichert. Ob die Leistungen tatsächlich in Anspruch genommen werden, ist nach dem gesetzgeberischen Regelungsmodell unerheblich. Folglich ergibt sich das maßgebliche Erwerbseinkommen aus dem SGB II. Der arbeits- und sozialpolitische Zweck der Freibetragsregelungen steht ihrer Berücksichtigung im Rahmen des Aufenthaltsrechts nicht entgegen, auch wenn sie sich hier zu Lasten des Betroffenen auswirken. Der Auffassung der Revision, in diesen Fällen könne ein Nachzug zugelassen werden, weil bei tatsächlicher Inanspruchnahme öffentlicher Mittel die Möglichkeit der nachträglichen Aufenthaltsbeendigung bestehe, konnte das Bundesverwaltungsgericht nicht folgen. Denn eine spätere Aufenthaltsbeendigung dürfte in diesen Fällen kaum ohne Rechtsverstoß möglich sein, so dass die Behörde hierauf nicht verwiesen werden darf. Da die Klägerin auch keine Anhaltspunkte vorgetragen hatte, die für ein Absehen von der Regelvoraussetzung der Lebensunterhaltssicherung oder für die Annahme eines Härtefalles - insbesondere im Hinblick auf Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK - hätten sprechen können, war ihre Revision zurückzuweisen.

BVerwG 1 C 32.07 – Urteil vom 26. August 2008