Ausschluss von Nicht-EU-Bürgern von der Gewährung des Landeserziehungsgeldes in Bayern ist verfassungswidrig

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Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat entschieden, dass die
Regelung des Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BayLErzGG in der Fassung des
Jahres 1995 wie auch die inhaltlich gleichen Nachfolgeregelungen nicht
mit dem allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar sind,
weil sie Personen, die nicht eine der dort genannten
Staatsangehörigkeiten besitzen, ohne sachlichen Grund generell vom
Anspruch auf Erziehungsgeld ausschließen. Der Gesetzgeber hat die
verfassungswidrigen Regelungen bis zum 31. August 2012 durch eine
Neuregelung zu ersetzen, ansonsten tritt die Nichtigkeit der
Vorschriften ein.

Der Freistaat Bayern führte 1989 das Landeserziehungsgeld ein, das im
Anschluss an den Bezug des Bundeserziehungsgeldes gewährt wird und es
Eltern ermöglichen soll, über einen längeren Zeitraum Elternzeit zu
nehmen und ihre Kinder selbst zu betreuen. Nach dem
Landeserziehungsgeldgesetz (BayLErzGG) in seiner hier maßgeblichen
Fassung des Jahres 1995 wurde das Landeserziehungsgeld nach dem Bezug
des Bundeserziehungsgeldes grundsätzlich für weitere zwölf Lebensmonate
des Kindes in Höhe von 500 DM monatlich gewährt. Bezugsberechtigt war
gemäß Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BayLErzGG nur, wer die
Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats der Europäischen Union oder
eines anderen Vertragsstaats des Abkommens über den Europäischen
Wirtschaftsraum besaß. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens ist polnische
Staatsangehörige und begehrt Landeserziehungsgeld für die Betreuung
ihres im Jahr 2000 und damit vor dem Beitritt Polens zur Europäischen
Union geborenen Kindes. Sie wohnt seit 1984 in Bayern und hat seit 1988
wiederholt gearbeitet. Ihr Antrag auf Landeserziehungsgeld wurde
zurückgewiesen, weil ihr aufgrund ihrer polnischen Staatsangehörigkeit
Landeserziehungsgeld nicht zustehe. Ihre hiergegen erhobene Klage führte
zunächst zur Vorlage vor den Bayerischen Verfassungsgerichtshof, der die
Regelung des Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BayLErzGG für vereinbar mit der
bayerischen Verfassung erklärte. Das Sozialgericht hat die Vorschrift
sodann dem Bundesverfassungsgericht zur verfassungsrechtlichen Prüfung
vorgelegt, weil es sie für nicht vereinbar mit dem allgemeinen
Gleichheitssatz und dem grundrechtlich gewährleisteten Schutz von Ehe
und Familie hält.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:

1. Das zur Prüfung gestellte Staatsangehörigkeitserfordernis verletzt
nicht die aus Art. 6 Abs. 1 und 2 GG abzuleitende Schutz- und
Förderpflicht des Staates zugunsten der Familie. Denn das allgemeine
verfassungsrechtliche Gebot, die Pflege- und Erziehungstätigkeit der
Eltern zu unterstützen, begründet keine konkreten Ansprüche auf
bestimmte staatliche Leistungen und somit auch keine
verfassungsrechtliche Pflicht des Freistaats Bayern, Familien durch die
Gewährung von Erziehungsgeld zu fördern.

2. Die Regelung des Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BayLErzGG verstößt jedoch
gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG), weil es an
einem legitimen Gesetzeszweck fehlt, der die Benachteiligung der nicht
erfassten ausländischen Staatsangehörigen rechtfertigen könnte. Die
Gewährung von Erziehungsgeld zielt vor allem darauf, Eltern die eigene
Betreuung ihres Kindes durch Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit oder
durch deren Einschränkung zu ermöglichen und damit die frühkindliche
Entwicklung zu fördern. Dieser Gesetzeszweck deckt nicht den in der
vorgelegten Norm geregelten Leistungsausschluss, da er bei ausländischen
Staatsangehörigen und ihren Kindern auf gleiche Weise wie bei Deutschen
zum Tragen kommt. Der verfassungsrechtliche Schutz der Familie ist nicht
auf Deutsche beschränkt.

Die Ungleichbehandlung kann auch nicht mit dem Ziel gerechtfertigt
werden, eine Förderung auf Personen zu begrenzen, die dauerhaft in
Bayern leben werden, da das Kriterium der Staatsangehörigkeit weder auf
diesen Zweck gerichtet noch geeignet ist, verlässlich Aufschluss über
die Dauer des künftigen Aufenthalts einer Person zu geben. Da die
vorgelegte Regelung nicht nach der Herkunft aus anderen Bundesländern,
sondern nach der Staatsangehörigkeit unterscheidet, kann sie auch nicht
unter dem Gesichtspunkt der Förderung von sogenannten Landeskindern
gerechtfertigt werden.

Auch die Verhinderung von „Mitnahmeeffekten", die daraus resultieren
könnten, dass sich Personen kurzfristig in Bayern niederlassen, um in
den Genuss der bayerischen Erziehungsgeldregelung zu gelangen, scheidet
als tragfähiges Regelungsziel aus. Denn die Staatsangehörigkeit vermag
keinen zuverlässigen Aufschluss über die Aufenthaltszeit in Bayern zu
geben.

Fiskalische Interessen können die Schlechterstellung ausländischer
Staatsangehöriger durch Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BayLErzGG ebenfalls
nicht rechtfertigen. Staatliche Ausgaben zu vermeiden, ist zwar ein
legitimer Zweck, der jedoch für sich genommen eine Ungleichbehandlung
von Personengruppen nicht zu rechtfertigen vermag. Ist kein darüber
hinausgehender sachlicher Differenzierungsgrund vorhanden, muss der
Gesetzgeber finanzpolitischen Belangen erforderlichenfalls durch eine
Beschränkung der Leistungshöhe oder der Bezugsdauer für alle
Berechtigten Rechnung tragen.

Schließlich kann die Differenzierung nach der Staatsangehörigkeit schon
deshalb nicht mit dem völkerrechtlichen Prinzip der Gegenseitigkeit
gerechtfertigt werden, weil die Regelung der Bezugsberechtigung in Art.
1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BayLErzGG nicht anhand der gegenseitigen
Verbürgung entsprechender Leistungen unterscheidet und somit gar keinen
Raum zur Prüfung von Gegenseitigkeitsvoraussetzungen lässt.

Bundesverfassungsgericht - Pressestelle -

Pressemitteilung Nr. 18/2012 vom 8. März 2012
Beschluss vom 7. Januar
1 BvL 14/07