Mehrstündiges Festhalten eines Betroffenen im Polizeibus ist rechtswidrig

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Der VGH München hat am 27.01.2012 - 10 B 08.2849 - entschieden, dass ein mehrstündiges Festhalten in einem abgestellten Gefangenentransporter den Betroffenen in seinem Grundrecht auf Freiheit der Person verletzt.

Der Kläger war im Zusammenhang mit einer unangemeldeten Demonstration gegen das Pfingsttreffen der Gebirgsjäger in Mittenwald Ende Mai 2004 am Nachmittag von der Polizei in Gewahrsam genommen, in eine bei der Standortverwaltung eingerichtete Gefangenensammelstelle verbracht und mit kurzen Unterbrechungen durch ein Verhör und eine erkennungsdienstliche Behandlung längere Zeit in einem Polizeibus festgehalten worden. Erst am späteren Abend wurde er zur Polizeiinspektion gefahren, wo er die Nacht in einer Haftzelle verbringen musste.

Der zuständige Richter am Amtsgericht hob am Vormittag des darauffolgenden Tages die Freiheitsentziehung auf.

Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren konkretisierte der Kläger sein Begehren und beantragte zuletzt festzustellen, dass sowohl die fehlende Möglichkeit, sich während des Gewahrsams zu waschen, insbesondere die Zähne zu putzen, als auch das mindestens dreieinhalbstündige Sitzen im Gefangenentransporter, ohne transportiert zu werden, rechtswidrig war.

Das VG München hatte die Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der polizeilichen Maßnahme abgewiesen. Die Maßnahme sei mit etwa dreieinhalb Stunden von geringer zeitlicher Dauer und zudem aus verwaltungstechnischen Gründen erforderlich gewesen.
Dem hat sich der VGH München nicht angeschlossen.
Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes ist der Kläger durch das mehrstündige Sitzen im Gefangenentransportbus einer unzumutbaren Freiheitsentziehung unterworfen worden. Eine Einzelkabine in einem solchen Bus sei nur 77 cm x 95 cm klein und beschränke die Bewegungsfreiheit extrem. Das Festhalten darin stelle einen über den Gewahrsam hinausgehenden schweren Eingriff in die Rechte des
Betroffenen dar. Dieser sei nicht gerechtfertigt gewesen, weil es in der konkreten Situation (größere Veranstaltung, personelle und sachliche Ausstattung der Einsatzkräfte) auch die Möglichkeit gegeben habe, den Kläger früher in die Haftzelle zu bringen.

Auch das Unverzüglichkeitsgebot war verletzt worden, weil die Polizei nicht umgehend eine richterliche Entscheidung über die Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehung herbeigeführt hatte. Dies stellte schon das LG München am 6. Mai 2005 fest und hob die Entscheidung des AG teil auf.

Der VGH München hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen kann Beschwerde zum BVerwG eingelegt werden.

Bewertung:

Im Ergebnis wird der Bewertung des VGH klar gefolgt, jedoch steht diesseits außer Frage, dass auch ohne die Vertiefung des Rechtseingriffs wegen der Beengtheit des Raumes im Fahrzeug, völlig unzweifelhaft von einer Freiheitsentziehung ausgegangen werden musste. Die - hier auch nicht vertretene - Geringfügigkeit der Gewahrsamsdauer ist aufgrund des Charakters der Maßnahme generell geeignet, als Freiheitsentziehung eingestuft zu werden. Siehe hierzu:

icon VGH München - 10 B 08.2849 - Urteil vom 27.01.2012 (126.9 kB 2012-02-15 16:55:06)

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