Mutmaßlicher Aufseher des deutschen Vernichtungslager Sobibor wird nach Deutschland überstellt

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Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 17. Juni 2009 – 2 BvR 1076/09 – eine Verfassungsbeschwerde eines Beschwerdeführers, dem vorgeworfen wird, im deutschen Vernichtungslager Sobibor im damals besetzten Polen in mindestens 29.000 Fällen Beihilfe zum Mord begangen zu haben, nicht zur Entscheidung angenommen. Der Beschwerdeführer wandte sich gegen seine Abschiebung beziehungsweise Überstellung aus den USA nach Deutschland.

Der in der Ukraine geborene und zurzeit staatenlose Beschwerdeführer befindet sich seit dem 12. Mai 2009 aufgrund eines Haftbefehls des Amtsgerichts München in Untersuchungshaft. Dem Beschwerdeführer, der am Tage seiner Inhaftierung von den USA nach Deutschland abgeschoben beziehungsweise überstellt wurde, wird vorgeworfen, sich im Jahre 1943 im deutschen Vernichtungslager Sobibor im damals besetzten Polen in mindestens 29.000 Fällen der Beihilfe zum Mord gemäß § 211, § 27, § 52 StGB strafbar gemacht zu haben, indem er als Aufseher die Menschen in die Gaskammern getrieben habe. Ein amerikanisches Bundesgericht erklärte die Abschiebung des Beschwerdeführers, dem die amerikanische Staatsbürgerschaft aberkannt worden war, in die Ukraine, nach Polen oder nach Deutschland für zulässig. Gegen diese Entscheidungen eingelegte Rechtsmittel hatten sämtlich keinen Erfolg. Während sowohl Polen als auch die Ukraine eine Aufnahme des Beschwerdeführers im Rahmen der von den USA geplanten Abschiebung jeweils ablehnten, erklärte sich die Bundesrepublik Deutschland zu seiner Aufnahme bereit. Der Beschwerdeführer wandte sich mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung an das Verwaltungsgericht Berlin, mit dem Ziel die Bundesrepublik Deutschland vorläufig zu verpflichten, die Überstellung des Beschwerdeführers aus den USA in die Bundesrepublik Deutschland zu verhindern. Dieser Antrag und die gegen die ablehnende Entscheidung vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg erhobene Beschwerde blieben jeweils erfolglos. Die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die vom Beschwerdeführer hiergegen erhobene Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Diese ist unzulässig, weil der Beschwerdeführer eine Grundrechtsverletzung nicht substantiiert begründet hat.

Er legt weder dar, woraus sich ein gegenüber der Bundesrepublik Deutschland zustehender individueller Anspruch auf Einhaltung und Durchführung eines seine Person betreffenden Auslieferungsverfahrens dem Grunde nach ergeben soll, noch, in welchen konkreten Grundrechten er im Einzelnen verletzt worden ist. Dies gilt auch für seine pauschale Behauptung, dass durch die streitgegenständliche Vorgehensweise der USA und der Bundesrepublik Deutschland seine ihm durch das Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen und den zwischen diesen beiden Staaten bestehenden Auslieferungsvertrag gewährten Schutzrechte ausgeschaltet würden. Der Beschwerdeführer verkennt insoweit, dass Rechte und Pflichten aus einem völkerrechtlich wirksamen Auslieferungsvertrag soweit, wie hier, in ihm nichts anderes vereinbart ist nur den Vertragsstaaten erwachsen. Der Beschwerdeführer kann sich deshalb als natürliche Person nicht auf den Auslieferungsvertrag, dessen Verletzung und Umgehung berufen.

Der darüber hinaus erhobene Einwand des Beschwerdeführers, die USA hätten ihm zu keinem Zeitpunkt die im Auslieferungsvertrag garantierten Rechte gewährt, ist ebenfalls nicht ausreichend begründet. Der Beschwerdeführer legt weder dar, welche konkreten, ihn individuell schützenden Rechte vorliegend umgangen worden sind, noch auf welche Art und Weise er sich hiergegen vor amerikanischen Gerichten zur Wehr gesetzt hat. Sein Vortrag erschöpft sich im Wesentlichen in einer pauschalen Kritik an der Vorgehensweise insbesondere der amerikanischen Behörden, deren Entscheidungen als Akte ausländischer Staaten mit der Verfassungsbeschwerde nicht angreifbar sind. Die vom Beschwerdeführer im Schwerpunkt geltend gemachten Rechtsverluste sind ausschließlich unmittelbare Folge der Entscheidung der amerikanischen Behörden; insbesondere die Anordnung und Durchführung der erfolgten Abschiebung beziehungsweise Überstellung des Beschwerdeführers wurde in dortiger alleiniger Zuständigkeit und Verantwortung getroffen. Die von der Bundesrepublik Deutschland hierzu erklärte Einverständniserklärung zur anschließenden Aufnahme des Beschwerdeführers enthielt ebenso wie ein Einlieferungsersuchen in einem förmlichen Auslieferungsverfahren für den Beschwerdeführer hingegen keine unmittelbaren Rechtswirkungen. Sie bewirkte weder unmittelbar noch mittelbar einen der Bundesrepublik Deutschland zurechenbaren Eingriff in die Freiheit des Beschwerdeführers.

Quelle: Pressemitteilung des BVerfG Nr. 76/2009 vom 8. Juli 2009