Ukraine, Visum, Dr. Oetker, räuberische Erpressung, § 255 StGB, Gerichtsreportag

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Vitali I. hat das, was man eine "Patchwork-Biographie" nennt. Er hat als Fahrradkurier gearbeitet, eine Zeit lang erfolglos Philosophie studiert, und eines Tages wurden seine Fingerabdrücke auf einem Erpresserbrief an die Firma Dr. Oetker gefunden. "Guten Tag", beginnt der in gestochen schöner Handschrift verfasste Brief. "Für Euch bin ich ein Lebensmittelerpresser, der Fritz heißt." Fritz verlangte eine Million, andernfalls würde er in Berlin Crème fraiche von Dr. Oetker mit Schlafmitteln versetzen. Ein "P.S." findet sich auch: "Ab Donnerstag werde ich in jedem Fall mich verstärkt mit meiner Arbeit beschäftigen." Gäbe es Tollpatschigkeitskriterien für Erpresserbriefe, dieser hier bekäme die volle Punktezahl. Vom Amtsgericht Tiergarten bekam Vitali I. jedenfalls schon einmal wegen Beihilfe zur versuchten räuberischen Erpressung eine Haftstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten.

Vitali I. trägt dunklen Schlabberpulli und weiße Turnschuhe, er ist 28 Jahre alt und sieht aus wie ein Schuljunge, dem man im Klassenzimmer mit Knallfröschen erwischt hat. Er ist in Aserbaidschan als Sohn eines sowjetischen Berufssportlers geboren und Anfang der achtziger Jahre in die DDR gekommen. Er ging auf eine deutsche Schule, doch als er Abitur machen wollte, war Deutschland wiedervereinigt worden, und Vitali I. brauchte plötzlich ein Visum. Er musste nach Kiew ausreisen und dort sechs Monate warten, bis er seine Papiere bekam. In Berlin holte er das Abitur nach, doch um sich an der Universität einzuschreiben, brauchte er ein neues ein Visum, diesmal eines zum Studieren. Also wieder in die Ukraine, und wieder dauerte es ein halbes Jahr, bis er sein Visum hatte.

In dieser Zeit lebte er bei Freunden seiner Mutter und lernte einen Jungen namens Maksim kennen. Maksim kam eines Tages mit nach Deutschland, um einen Sprachkurs zu belegen. Die beiden steckten viel beisammen, und eines Tages im Sommer 1999 hatte Maksim einen Erpresserbrief an die Firma Oetker aufgesetzt. Von seinen Freund Vitali I. wollte er nun wissen, ob man das so schreiben könne. Sätze wie: "Wer sich ein Produkt vom 'Dr.' kaufen will, soll das Risiko möglicher gesundheitlicher Schähden kalkuliern." Und ob Vitali I. da nicht dabeisein wolle.

Der Prozess, der Vitali I. gemacht wird, passt da gar nicht schlecht dazu. Zwei Zeugen sind geladen, zwei gemächliche Pförtner aus Bielefeld, bei denen sich der Erpresser im Sommer 1999 telefonisch gemeldet hatte, um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen und die Million Mark noch schnell auf eine Million Dollar zu korrigieren. Pförtner Eins erinnert sich an eine "junge Stimme", Pförtner Zwei an "eine ältere". Pförtner Zwei erzählt zudem, dass der Anruf damals mitgeschnitten worden war. Auch hier hatte es an Erpresser-Professionalität gemangelt - auf dem Display der Firma war die Nummer des Anrufers aufgeschienen. Das Band ist jedoch in Bielefeld, obwohl Vitali I. schon seit einem halben Jahr in Berlin in Untersuchungshaft sitzt. Der Amtsrichter will in Bielefeld anrufen und sich das Band am Telefon vorspielen lassen. Es gibt allerdings kein geeignetes Telefon im Saal, erst muss der Wachtmeister eines organisieren. Das dauert seine Zeit. Auf dem vorgespielten Tonband sind dann zehn Sekunden vernuschelter Sätze und "Tschüss" zu hören. Die Firma Dr.Oetker hat damals auch getan, was man in solchen Fällen zu tun pflegt. Sie schaltete die Polizei ein und ignorierte die Forderung.

Vitali I. streitet alles ab, auf dieselbe Weise wie ein Kind abstreitet, heimlich genascht zu haben, obwohl man ihm die angebissene Tafel Schokolade vor die Nase hält. Den Beweis führt in diesem Fall ein Gutachter des Landeskriminalamts, er hat auf den Erpresserbriefen zwei Fingerabdrücke Vitali I.s gefunden. Auf die Frage des Richters, ob er seine Aussage nun korrigieren wolle, gibt Vitali I. dann mit verknautschter Stimme zu, dass er von dem Plan wusste und die Briefe in den Postkasten gesteckt habe. 5000 Euro habe Maksim ihm dafür versprochen. In drei Telefonaten und vier Briefen hatten sie dann 1,1 Millionen Dollar von dem Lebensmittelkonzern gefordert. "Es war ein großer Fehler und Geld habe ich auch nie bekommen", sagt Vitali I.

Der Richter spricht zwar von einer schweren Straftat, die eine erhebliche Verunsicherung der Konsumenten bewirke. Vitalis und Maksims mangelnde Fähigkeiten beim Erpressen geben aber einige strafmildernde Umstände her. "Die Verbraucher waren nicht wirklich gefährdet", sagt der Richter. Er wirkt, als müsste er ein Grinsen unterdrücken. Die Geldübergabe hätte gar nicht klappen können, fährt er mit seiner Urteilsbegründung fort: Das genannte Konto auf Hawaii existierte nicht. Ins Visier der Ermittler war Vitali I. dann ebenfalls wegen seiner Tollpatschigkeit gekommen. Er hatte seinen Pass verloren und musste daraufhin, wie es üblich ist, seine Fingerabdrücke abgeben.

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