Die Entscheidung des VG Berlin vom 23.06.2010 - 29 K 186.10 V - geht auf die mangelnden Erteilungsvoraussetzungen für ein Besuchervisum wegen fehlender wirtschaftlicher und familiärer Verwurzelung im Heimatland ein.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Klägerin begehrt ein Besuchsvisum. Sie ist vietnamesische Staatsangehörige, 1963 geboren, ledig, lebt bei ihrem Bruder und ist Hausfrau. Am 3. November 2009 beantragte sie beim Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland in Ho-Chi-Minh- Stadt ein Schengenvisum für den Zeitraum 1. Januar bis 30. März 2010 und gab an, vom Zeugen eingeladen zu sein und sich überwiegend an dessen Wohnort aufhalten zu wollen. Dieser ist deutscher Staatsangehöriger, 1960 geboren, geschieden und hatte sich am 22. September 2009 gegenüber der Kreisverwaltung M... verpflichtet, für die Kosten des Lebensunterhaltes und der Ausreise der Klägerin aufzukommen. Das Generalkonsulat lehnte den Antrag mit Bescheid vom 13. November 2009 ohne Begründung ab.
Mit Schreiben vom 23. Dezember 2009 bat die Klägerin das Generalkonsulat um Überprüfung der Entscheidung und erklärte, auch einen kürzeren Besuchstermin sowie einen anderen Beginn als den 1. Januar 2010 zu akzeptieren. Nach einem Aktenvermerk des Generalkonsulats vom 5. Januar 2010 erklärte die Klägerin, in Deutschland heiraten zu wollen. Der Kontakt zum Zeugen sei über eine in Deutschland lebende vietnamesische Freundin zu Stande gekommen; er sei im Juli drei Wochen in Vietnam gewesen. Die Klägerin und der Zeuge hätten keine gemeinsame Sprache. Das Generalkonsulat lehnte den Antrag mit Bescheid vom 19. Januar 2010 erneut ab und führte aus, wegen der fehlenden wirtschaftlichen und familiären Verwurzelung der Klägerin in ihrem Heimatland fehle es an einer konkreten und glaubwürdigen Rückkehrperspektive. Zudem habe sie angegeben, in Deutschland heiraten zu wollen. Deswegen bestehe der Verdacht, dass die Anforderungen an die Erteilung eines Visums zum Ehegattennachzug, insbesondere an die hinreichende Kenntnis der deutschen Sprache, umgangen werden sollen.
Mit der dagegen am 23. Februar 2010 erhobenen Klage macht die Klägerin geltend, der Zeuge beabsichtige keinesfalls, sie zu heiraten. Sie beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Generalkonsulates der Bundesrepublik Deutschland in Ho-Chi-Minh-Stadt vom 19. Januar 2010 zu verpflichten, der Klägerin ein Besuchsvisum zu erteilen. Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen, und verweist auf den angegriffenen Bescheid.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des die Klägerin einladenden Zeugen mit dem aus dem Sitzungsprotokoll vom 23. Juni 2010 ersichtlichen Ergebnis. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und den vom Beklagten eingereichten Verwaltungsvorgang (1 Hefter) verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Die Verpflichtungsklage ist zulässig. Sie hat sich insbesondere nicht durch Ablauf des Zeitraums erledigt, für den die Klägerin das Besuchsvisum ursprünglich beantragt hatte, denn sie hat bereits im Verwaltungsverfahren – hilfsweise – ausdrücklich die Erteilung für einen späteren Zeitraum beantragt (vgl. dazu OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18. Dezember 2009 – 3 B 6.09 – juris Rdnr. 29 ff.). Die Klage ist aber unbegründet, da der angegriffene Bescheid rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 5 VwGO). Sie hat keinen Anspruch auf Erteilung des beantragten Besuchsvisums oder ermessensfehlerfreie Neubescheidung des darauf gerichteten Antrags. Rechtsgrundlage für die Erteilung des Visums für einen dreimonatigen Besuchsaufenthalt im Bundesgebiet ist § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG. Danach müssen die Erteilungsvoraussetzungen des Schengener Grenzkodex’ (Verordnung [EG] Nr. 562/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen; ABl. L 105/1 – SGK –), die gemäß Art. 39 Abs. 3 SGK an die Stelle der aufgehobenen Art. 2 bis 8 SDÜ getreten sind, erfüllt sein. Zu diesen Voraussetzungen zählt unter anderem, dass der Visumbewerber keine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die innere Sicherheit, die öffentliche Gesundheit oder die internationalen Beziehungen eines Mitgliedstaates darstellen darf (Art. 5 Abs. 1 lit. e SGK; vgl. inzwischen auch Art. 32 Abs. 1 lit. a Nr. vi der Verordnung [EG] Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft; ABl. L 243/1).
Eine Gefahr für die öffentliche Ordnung im Sinne von Art. 5 Abs. 1 lit. e SGK ist anzunehmen, wenn es dem Drittstaatsangehörigen an der Rückkehrbereitschaft fehlt und er beabsichtigt, das Visum zu einem anderen als dem angegebenen Aufenthaltszweck zu nutzen. Für die Beurteilung, ob eine Gefahr für die öffentliche Ordnung im Sinne von Art. 5 Abs. 1 lit. e SGK vorliegt, genügt allerdings nicht jeder Zweifel an der Rückkehrbereitschaft eines Ausländers, der ein Visum für einen kurzfristigen (Besuchs-)Aufenthalt begehrt. Vielmehr müssen für die Annahme einer Gefahr für die öffentliche Ordnung nach Art 5 Abs. 1 lit. e SGK die Zweifel an der Rückkehrbereitschaft ein solches Gewicht haben, dass die anzustellende Rückkehrprognose negativ ausfällt, weil die Wahrscheinlichkeit eines beabsichtigten dauerhaften Verbleibs des Ausländers im Bundesgebiet wesentlich höher einzuschätzen ist als die Wahrscheinlichkeit seiner Rückkehr. Unterhalb dieser Schwelle verbleibende Rückkehrzweifel sind im Rahmen der behördlichen Ermessensentscheidung bei der Abwägung zwischen den Interessen der Bundesrepublik Deutschland und dem Gewicht des Besuchswunsches zu berücksichtigen (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, a.a.O. Rdnr. 39 ff. m.w.N.).
Das Ergebnis der Beweisaufnahme ist nicht geeignet, den von der Klägerin selbst begründeten Zweifel auszuräumen. Zwar steht nach den – auf Grund des persönlichen Eindruckes, den das Gericht vom Zeugen gewinnen konnte, glaubhaften – Bekundungen des Zeugen zur Überzeugung des Gerichtes fest, dass er als potentieller Ehegatte der Klägerin nicht in Betracht kommt. Das ändert aber nichts daran, dass die Klägerin bekundet hat, in Deutschland – nicht notwendig gerade den Zeugen – heiraten zu wollen, also wohl einen Daueraufenthalt anzustreben. Maßgeblich ist dabei die Wahrscheinlichkeit eines beabsichtigten dauerhaften Verbleibs, also die Wahrscheinlichkeit, dass die Klägerin bei gegebener Gelegenheit versuchen wird, dauerhaft in Deutschland zu bleiben. Nicht ausschlaggebend ist hingegen die Wahrscheinlichkeit, dass sich ihr eine derartige Gelegenheit überhaupt erst bietet, mit anderen Worten sie einen geeigneten Heiratskandidaten findet. Dieser Zweifel wird nicht durch Gegengründe aufgewogen. Insbesondere konnte die Beweisaufnahme nicht zu der Annahme führen, es bestünden so erhebliche Bindungen an ihr Herkunftsland, dass sie diese Zweifel an der Rückkehrbereitschaft ausräumen könnten. Eine wirtschaftliche Verbundenheit durch Beruf oder Grundvermögen ist nicht erkennbar. Familiäre Beziehungen werden lediglich zu Eltern, Geschwistern und deren Ehegatten und Kindern gepflegt und haben naturgemäß ein geringeres Gewicht als es Bindungen zu einem festen Partner oder eigenen Kindern hätten. Jedenfalls wäre nach den vorstehenden Erwägungen die von der Beklagten getroffene Ermessensentscheidung nicht fehlerhaft, so dass die Visumablehnung auch dann nicht rechtswidrig war, wenn das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des Schengener Grenzkodex’ bejaht wird. Dass das Generalkonsulat sein Ermessen im Remonstrationsbescheid hilfsweise ausgeübt hat, unterliegt keinen Bedenken (OVG Berlin-Brandenburg, a.a.O. Rdnr. 46 m.w.N.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Ein Vollstreckungsausspruch ist entbehrlich.