Zur rechtmäßigen Festnahme und unverzüglichen richterlichen Entscheidung auf Hoher See in der EU-Militäroperation „ATALANTA“ und zur konventionswidrigen Übergabe von Piraten an die Jurisdiktion eines nicht demokratischen Staates.
Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG gebietet, die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen. „Unverzüglich“ ist dahin auszulegen, dass die richterliche Entscheidung ohne jede Verzögerung, die sich nicht aus sachlichen Gründen rechtfertigen lässt, nachgeholt werden muss.
Nicht vermeidbar sind zum Beispiel Verzögerungen,
• die durch die Länge des Weges, Schwierigkeiten beim Transport,
• die notwendige Registrierung und Protokollierung,
• ein renitentes Verhalten des Festgenommenen oder vergleichbare Umstände bedingt sind.
So entschied der EGMR in der Rs. „Medvedyev vs. Frankreich“ am 10.07.2008, dass die Dauer der von den Beschwerdeführern erlittenen Freiheitsentziehung durch außergewöhnliche Umstände gerechtfertigt war, darunter insbesondere die unvermeidliche Verzögerung eines auf Hoher See aufgebrachten Schiffes bis zum Eintreffen in Frankreich nach 13 Tagen. Der Fall betraf eine Freiheitsent-ziehung auf Hoher See durch die Besatzung einer franz. Fregatte 5.500 Km vor der eigenen Küste gegen die Besatzung eines unter kambodschanischer Flagge fahrenden mutmaßlichen Drogenfrachters. Der EGMR sah in der „verspäteten“ Richtervorführung nach 15 (!) Tagen keinen Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 EMRK, da eine derartige Verzögerung aufgrund außergewöhnlicher Umstände – wie hier die notwendige Fahrtdauer – für die Rechtfertigung vorliegen.
Im Rahmen der EU-Militäroperation "ATALANTA" wurden am 03.03.2009 im Golf von Aden von der Fregatte der deutschen Bundesmarine „Rheinland Pfalz“ wegen des Verdachts eines seeräuberischen Angriffs 9 Personen in Gewahrsam genommenen. Der Vorgabe des Art. 104 Abs. 3 S. 1 GG ist hier zwar ersichtlich nicht genügt worden. Art. 104 Abs. 3 GG kann bei einem derartigen Einsatz von Bundeswehrkräften auf Hoher See zur Pirateriebekämpfung im Rahmen eines multinationalen Systems kollektiver Sicherheit nicht ohne Modifikationen zur Anwendung kommen (vgl. BVerfG, U. v. 14.07.1999 – 1 BvR 2226/94, 2420/95 und 2437/95 –, BVerfGE 100, 313 (362) m.w.N.). Nach diesen Grundsätzen war die Vorführung vor den kenianischen Haftrichter noch als „unverzüglich“ anzusehen, da seit der Festnahme erst 8 Tage verstrichen waren und auch nichts dafür sprach, dass die Fahrt über eine Entfernung von mehr als 1000 Seemeilen vom Festnahmeort im Golf von Aden nach Mombasa in Kenia, dem nächsten zur Strafverfolgung bereiten Staat, länger als notwendig gedauert hat. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass alternative Transportmöglichkeiten zur Verfügung gestanden hätten.
Die Voraussetzungen der Art. 105 S. 1 SRÜ für eine Festnahme lagen vor.
Soweit der Kläger die Feststellung begehrt, dass die Übergabe des Klägers an die kenianischen Strafverfolgungsbehörden rechtswidrig war, hat die Klage indessen Erfolg. Eine völkerrechtlich verbindliche Zusicherung einer menschenwürdigen Behandlung ist nach ständiger verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung zwar grundsätzlich geeignet, etwaige Bedenken hinsichtlich der Einhaltung des völkerrechtlichen Mindeststandards auszuräumen. Dies
gilt allerdings dann nicht, wenn im Einzelfall zu erwarten ist, dass die Zusicherung nicht eingehalten wird oder eingehalten werden kann. Dies war hier der Fall.
VG Köln - 25 K 4280/09 - Urteil vom 11.11.2011 (121.07 kB 2011-12-02 23:44:03)