Visumfreiheit führt zu Freispruch für türkischen Staatsangehörigen

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Das Amtsgericht Erding sprach mit Urteil vom 29. April 2009 einen türkischen Staatsangehörigen von dem Vorwurf des strafbaren Aufenthalts ohne erforderlichen Aufenthaltstitel (§ 95 I Nr. 1 AufenthG) frei. Er hatte sich, obgleich sein Schengen-Visum Typ C ihm lediglich einen 45-tägigen Aufenthalt erlaubte, über diese Zeit hinaus weitere 12 Tage in Deutschland als Geschäftsmann und Tourist aufgehalten. Das Gericht begründete den Freispruch unter Berufung auf die Soysal-Entscheidung des EuGH damit, dass der türkische Staatsangehörige als passiver Dienstleistungsempfänger nach der Rechtslage vom 01.10.1973 für den Aufenthalt nicht visumpflichtig war.

Das Gericht führt aus: „Die Trennung in aktive und passive Dienstleistungsfreiheit sieht werde das EuGH Urteil noch das Zusatzprotokoll vor. Es erscheint lebensfremd, das Soysal-Urteil nicht auf türkische Geschäftsleute und Touristen anzuwenden, die Dienstleistungen in Anspruch nehmen, mit der Begründung, das sei lediglich eine passive Dienstleistung, die vom Zusatzprotokoll nicht erfasst werden sollte.“

Die Entscheidung stellt einen wichtigen Schritt in der Anerkennung der Visumfreiheit dar, da mit ihr erstmals eine Übertragung der Auswirkungen der Soysal-Entscheidung auf den Bereich des Nebenstrafrechts erfolgt ist.

Als zu eng wird die Ansicht des Gerichts angesehen, dass die Visumfreiheit davon abhängig sei, dass kein Aufenthalt angestrebt wird, der länger als drei Monate dauere.

Entgegen der Ansicht des Gerichts handelt es sich bei § 5 Abs. 1 DVAuslG 1965 um die zentrale Bestimmung für die Regelung der Notwendigkeit der Einholung eines Sichtvermerks vor der Einreise. Die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Ausführung des Ausländergesetzes (im Folgenden: AusIGVwV) vom 7. Juli 1967  stellte insoweit zu § 5 DV AuslG 1965 unter Nummer 2 für die Verwaltungspraxis verbindlich fest: „Die Fälle, in denen die Aufenthaltserlaubnis vor der Einreise in der Form des Sichtvermerks einzuholen ist, sind in § 5 DVAuslG aufgeführt. In allen anderen Fällen kann die Aufenthaltserlaubnis nach der Einreise eingeholt werden.“

Diese Norm regelte daher nicht die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Inland, sondern die Visumfreiheit der Einreise selbst. Türkische Staatsangehörige, die entsprechend der Positivliste von der Sichtvermerkspflicht grundsätzlich freigestellt waren, benötigten nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 DVAuslG 1965 nur dann vor der Einreise einen Sichtvermerk, wenn sie im Bundesgebiet eine Erwerbstätigkeit ausüben wollten. Als Erwerbstätigkeit in diesem Sinne galt jede selbständige oder unselbständige Tätigkeit, die auf Erzielung von Gewinn gerichtet oder für die ein Entgelt vereinbart oder den Umständen nach zu erwarten war . Insbesondere bei Dienstleistungserbringern muss daher immer genau geprüft werden, ob der Aufenthalt nicht der Ausübung einer Erwerbstätigkeit dient.

Gegen die Richtigkeit Entscheidung lässt sich nicht einwenden, dass die Visumfreiheit entfallen sei, weil die Tätigkeit als Geschäftsmann als Ausübung einer Erwerbstätigkeit einzustufen sei. Denn nach der Verwaltungsvorschrift zum Ausländergesetz 1965 (Nr. 15 zu § 2) galt Folgendes: „Als Ausübung einer Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet ist es nicht anzusehen, wenn Ausländer unter Beibehaltung ihres gewöhnlichen Aufenthalts im Ausland für ausländische Unternehmen Besprechungen oder Verhandlungen im Bundesgebiet führen oder wenn sie Waren oder Dienstleistungen im Bundesgebiet nur Personen anbieten, die im Rahmen ihres Geschäftsbetriebes aufgesucht werden.“

Für sonstige Aufenthalte bestand ohne zeitliche Begrenzung grundsätzlich keine Visumpflicht, da diese erst durch die 11. Änderungsverordnung zur DVAuslG vom 01.07.1980  auch für türkische Staatsangehörige eingeführt wurde. Dabei konnte die Sichtvermerkspflicht im Hinblick auf die noch erforderliche Kündigung der deutsch-türkischen Sichtvermerksvereinbarung von 1953 erst am 5.10.1980 in Kraft treten.

Die generelle Beschränkung des visumfreien Aufenthalts auf einen Zeitraum von drei Monaten ist gleichfalls erst zu einem späteren Zeitpunkt, nämlich durch die 14. Änderungsverordnung zur DVAuslG vom 13.12.1982  mit Wirkung zum 18.12.1982 eingeführt worden; sie gilt demnach gleichfalls nicht für türkische Staatsangehörige, die sich auf die Stillhalteklausel berufen können.

War ein Visum nur bei Aufnahme einer Erwerbstätigkeit vor der Einreise einzuholen, so ergab sich aus § 1 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 DVAuslG 1965, dass bestimmte Zwecke nicht nur vom Sichtvermerksverfahren, sondern insgesamt vom Erfordernis der Einholung einer Aufenthaltserlaubnis befreit waren.