Wegfall des Reiserechts nach Art. 21 SDÜ wegen einer nationalen Ausschreibung

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Das OLG München setzt sich im Rahmen eines Beschlusses (34 Wx 075/08) wegen einer Anordnung von Haft zum Zwecke der Zurückschiebung mit der Frage des Erlöschens des Reiserechts nach Art. 21 SDÜ wegen einer nationalen Ausschreibung auseinander. In der Praxis ist diese Entscheidung deshalb bedeutsam, weil hier die Auswirkungen eines Verstoßes gegen die in Art. 5 Abs. 1 a, c, und e SGK aufgeführten Einreisevoraussetzungen aufgezeigt werden. Außerdem wird klargestellt, dass die Rückkehrpflicht aus Art. 23 III SDÜ keinen Anspruch für den Betroffenen begründet, freiwillig in einen bestimmten Staat ausreisen zu dürfen.

Die Bundespolizei betrieb die Zurückschiebung einer vietnamesischen Staatsangehörigen in die Tschechische Republik. Nach Ablehnung ihres Asylantrages in 1999 verließ sie Deutschland. Nach einem erfolglosen Asylfolgeantrag 2004 und nach mehrmaligen unerlaubten Einreisen und Zurückschiebung in 2007 nach Tschechien, bestand ein unbefristetes Einreiseverbot für Deutschland. Sie wurde durch die Ausländerbehörde im nationalen Fahndungssystem zur Festnahme (Abschiebung/ Ausweisung) ausgeschrieben. Die Betroffene reiste 2008 aus der Tschechischen Republik kommend erneut in die Bundesrepublik Deutschland mit einem gültigen vietnamesischen Reisepasses sowie eines darin befindlichen gültigen tschechischen Aufenthaltstitels ein. Die Zurückschiebung scheiterte, weil Tschechien auf ein „Anbietungsverfahren" bestand. Es erging Sicherungshaft. Nach Vollzug der Zurückschiebung nach Tschechien beantragte die Betroffene die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haftanordnung des Amtsgerichts sowie des Vollzuges der Haft. In der weiteren Beschwerde rügte sie insbesondere eine unrichtige Anwendung der Regelungen des Schengener Durchführungsübereinkommens; ihr hätte gemäß Art. 23 Abs. 3 SDÜ Gelegenheit zur freiwilligen Ausreise gegeben werden müssen.

 

Anmerkung

Die Beschwerde war zulässig und statthaft, aber unbegründet.

 

Die Haftanordnung des AG’s und die Ausführungen des LG’s waren nicht zu beanstanden. Zu Recht wies das OLG auf das trotz Beendigung der Haft fortbestehende Rechtschutzinteresse hin. Die mangelnde sprachliche Differenzierung zwischen den Begriffen Abschiebungs- und Zurückschiebungshaft - die zwar geboten ist - steht der Rechtmäßigkeit der Haftanordnung nicht entgegen, da gleichwohl die Voraussetzungen der Haft gegeben waren. § 57 III AufenthG verweist insofern auf die entsprechende Anwendung des § 62 AufenthG.

 

Rechtlich unkorrekt war die Bezeichnung des tschechischen Aufenthaltstitels (AT) als „nationales Visum". Nationale Visa sind Einreiseerlaubnisse für einen Aufenthalt von mehr als drei Monaten, die von jeder Vertragspartei nach Maßgabe des nationalen Rechts erteilt werden und Art. 18 SDÜ unterfallen. Der hier angesprochene AT kann - wie im konkreten Fall - nach Maßgabe des Art. 21 SDÜ Einreise- und Aufenthaltsrechte vermitteln. Bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit von Einreise und Aufenthalt von AT-Inhabern anderer Schengenvollanwenderstaaten sind die Voraussetzungen dieser europarechtlichen Bestimmung zu prüfen. Bei der Einreise über eine Schengenbinnengrenze (hier: Tschechien - Deutschland) können Drittausländer, die Inhaber eines gültigen von einer der Vertragsparteien ausgestellten Aufenthaltstitel sind, sich aufgrund dieses Dokumentes und eines gültigen Reisedokumentes höchstens bis zu 3 Monaten frei im Hoheitsgebiet der anderen Vertragsparteien bewegen, soweit sie die in Art. 5 Abs. 1 a, c, und e SGK aufgeführten Einreisevoraussetzungen erfüllen. Das Recht aus Art. 21 Abs. 1 SDÜ steht dem Drittausländer nur dann zu, wenn er u.a. die Einreisevoraussetzungen des Art. 5 Abs. 1 e SGK erfüllt. Sollte eines dieser Elemente nicht oder nicht mehr erfüllt sein, entfällt dieses gemeinschaftsrechtlich verankerte Reiserecht mit der Konsequenz, dass der Drittausländer grundsätzlich unverzüglich das Hoheitsgebiet der Vertragsparteien zu verlassen hat (vgl. Art. 23 Abs. 1 SDÜ). Inwieweit dies uneingeschränkt für alle Voraussetzungen gilt (unstreitig bei fehlendem und nicht mitgeführtem Pass in Bezug auf Art. 5 I a SGK, streitig bei Aufnahme einer unerlaubten Erwerbstätigkeit durch Prostitution als Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die innere Sicherheit im Sinne von Art. 5 I e SGK), lässt sich mit Blick auf die insgesamt wenigen Entscheidungen nicht eindeutig belegen. Soweit ersichtlich geht OLG München erstmalig auf den Wegfall des Reiserechts wegen einer nationalen Ausschreibung ein, was nach diesseitigem Verständnis völlig zu Recht erfolgte.

 

Die Zurückschiebung war auch nicht unverhältnismäßig, weil etwa eine freiwillige Ausreise gegeben war; an der Unfreiwilligkeit bestand insoweit kein Zweifel.

 

Die Rückkehrpflicht aus Art. 23 III SDÜ leitet keinen Anspruch für den Betroffenen her, freiwillig in einen bestimmten Staat ausreisen zu dürfen. Art. 23 III SDÜ stellt vielmehr eine Staatenverpflichtung dar, den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben nachzukommen, bei bestehender Ausreisepflicht der nicht freiwillig nachgekommen wird, abzuschieben oder ggf. andere vergleichbare Maßnahmen zu treffen. Zur Frage der Auslegung des Art. 23 III SDÜ siehe Rn 57 und 58 des Schlussantrages vom 19.05.2009 in der Rs. (EuGH) C-261/08 und C-348/08 (García und Cabrera): Vor allem aber enthält Art. 23 Abs. 3 keine Rechtsgrundlage einer Abschiebung, sondern verweist auf das innerstaatliche Recht. Bestimmte Anforderungen an die Ausgestaltung innerstaatlichen Rechts sind nicht ersichtlich. Stattdessen erlaubt Art. 23 Abs. 3 Satz 2 SDÜ den Mitgliedstaaten ausdrücklich, den Aufenthalt des Drittausländers zu gestatten, wenn das innerstaatliche Recht eine Abschiebung nicht zulässt. Diese Regelung setzt notwendig voraus, dass die Mitgliedstaaten Ausnahmen von der Abschiebung treffen können, enthält aber keine Einschränkung der mitgliedstaatlichen Gestaltungsfreiheit bei der Definition solcher Ausnahmen. Dann kann es keine Verpflichtung zur Abschiebung geben. Im Übrigen spricht der beschränkte Regelungsumfang von Art. 23 SDÜ dagegen, ihn als zwingende Regelungen über die Ausweisung oder Abschiebung zu verstehen. Die Bestimmung enthält nur Grundprinzipien und Mindeststandards, die im Wesentlichen der Ausgestaltung durch das innerstaatliche Recht bedürfen.

 

Holger Winkelmann

Link zur Entscheidung

icon OLG München - 34 Wx 075/08 - Beschluss vom 05.02.2009 (322.89 kB 2009-11-13 23:29:13)