VG München, Beschluss vom 22.11.2010 - M 10 K 10.185 - zur Unverhältnismäßigkeit der Zurückschiebung bei freiwilliger Ausreise. Mit Kommentar zur Anwendung der Befugnis ab 24.12.2010.
Der russische Staatsangehörige R. wurde am Flughafen München nach einem Flug aus Italien in seinen Heimatstaat zurückgeschoben. R. beabsichtigte von München die Heimreise nach Moskau fortzusetzen. Er war im Besitz eines Reisepasses und eines gültigen italienischen Schengen-Visums der Kategorie D und C, das jedoch wegen des eingeschränkten Berechtigungsinhalts und der Art und Weise der Verwendung zur unerlaubten Einreise - wenn auch nur kurzzeitig - am Flughafen führte.
Dem VG ist zuzugeben, dass es sich hier um einen besonderen Fall handelt, der aber gleichwohl in der Praxis häufig auftritt. Der Betroffene befand sich in der Ausreisekontrolle und wollte in seinen Heimatstaat zurückkehren, in der er anschließend durch die Bundespolizei geschoben wurde. Es handelt sich insoweit um eine „Zurückschiebung nach vorne“. Dem Gericht ist ebenfalls im Ergebnis zuzustimmen, dass die Zurückschiebung unverhältnismäßig war.
Es wird dringend um Beachtung der Anforderungen an eine Zurückschiebung für zukünftige Fälle gebeten:
Zu den Anforderungen an eine Zurückschiebungsverfügung ab 24.12.2010:
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Die Zurückschiebung ist zunächst nur im Rahmen der von Art. 2 Abs. 2 lit. a RüFü-RL vorgesehenen Öffnungsklauseln möglich: Aufgreifen von den zuständigen Behörden in Verbindung mit dem illegalen Überschreiten der Außengrenze eines Mitgliedstaats auf dem Land-, See- oder Luftwege.
Damit reduzieren sich die Anwendungsfälle ganz erheblich.
Im Binnengrenzraum kann die Zurückschiebung nur unter Beachtung des Art. 6 II RüFü-RL angewendet werden (= Art. 23 SDÜ-alt). Nach bestehender Gesetzeslage darf keine Zurückschiebung nach Art. 6 III RüFü-RL stattfinden, weil dies nach § 11 AufenthG zu einer automatischen Sperre führt, die in diesem Fall - jedenfalls für den Überstellerstaat - nicht vorgesehen ist.
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Bei unerlaubter Einreise allein aufgrund eines Verstoßen gegen eine Wiedereinreisesperre nach § 11 I S. 1 AufenthG ist zu beachten:
Soweit die alten Sperren den Anforderungen der RüFü-RL nicht entsprechen, sind diese unbeachtlich, da rechtlich unwirksam (bei unbefristeten Sperren oder Bestehen der Wirksamkeit seit mehr als 5 Jahren aufgrund von Abschiebung oder Zurückschiebung).
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Es gilt das Grundprinzip der freiwilligen Ausreise.
Die Rückkehrentscheidung muss neben der gesetzlichen Ausreisepflicht wegen unerlaubter Einreise (§ 50 I, 58 II S. 1 Nr. 1 AufenthG) wegen mangelnder Konkretisierung dieser Gesetzeslage mit einer schriftlichen Verfügung (Art. 12 I RüFü-RL; nicht „Zurückschiebungsverfügung!) verbunden werden, die eine angemessene Ausreisefrist von grds. 7 - 30 Tagen vorsieht (Art. 7 I RüFü-RL; beachte Auflagen nach Abs. 3 und Verschärfungen nach Abs. 4!).
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Erst bei Nichteinräumung der Ausreisefrist nach Art. 7 Abs. 4 RüFü-RL oder nicht freiwilliger Ausreise, sind die Maßnahmen der Vollstreckung (Zurückschiebung nach Art. 8 I-III i.V.m. einem Einreiseverbot nach Art. 11 RüFü-RL) zulässig.
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Diese Wiedereinreisesperre (Einreiseverbot) ist sogleich von Amts wegen zu befristen (arg. e. Art. 11 II RüFü-RL; Höchstgrenze grds. max. 5 Jahre).
Zur Kommentierung:
VG München - M 10 K 10.185 - Beschluss vom 22.11.2010 (300.07 kB 2010-12-17 14:42:50)
Zum Beitrag "Rückführungsrichtlinie":
Zur nationalen Umsetzung der Rückführungsrichtlinie (376.07 kB 2010-11-12 12:05:52)