BERLIN/FLORENZ - Berichte über die quantitativen und qualitativen Verhältnisse von Menschen, die in Deutschland von Armut betroffen sind, häufen sich am Jahresanfang. Nachdem das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin am 2. Februar 2005 einen Bericht über die Armut von Zuwanderern in Deutschland vorgelegt hatte, veröffentlichte UNICEF am 1. März 2005 eine Studie über Kinderarmut in reichen Ländern. Überdies hat das Bundeskabinett am 2. März 2005 den Bericht ?Lebenslagen in Deutschland - Der 2. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung? beschlossen.
Aus allen Berichten und Studien geht hervor, dass Migranten und Migrantinnen sowie Flüchtlinge überdurchschnittlich von Armut betroffen sind. Die Quote der Arbeitslosigkeit und des Bezuges von Sozialhilfe ist doppelt, bzw. dreimal so hoch wie für die deutsche Bevölkerung. Insbesondere Frauen, Kinder und ältere Migranten leben oftmals unter der Armutsgrenze.
Der 2. Armuts- und Reichtumsbericht
Dem Armutsbericht zufolge ist das Armutsrisiko in Deutschland wegen Wachstumsschwäche und hoher Arbeitslosigkeit von 1998 bis 2003 insgesamt von 12,1 Prozent auf 13,5 Prozent leicht angestiegen. Die Armutsrisikoquote drückt dabei den Anteil der Personen aus, die unterhalb der Armutsrisikogrenze von 60% des mittleren Nettoäquivalenzeinkommens leben. Gleichwohl ist die Armutsrisikoquote in Deutschland nach den letzten vergleichbaren Eurostat-Zahlen aus dem Jahr 2001 nach Dänemark und Schweden eine der niedrigsten in der EU.
Insbesondere das Armutsrisiko von Personen mit Migrationshintergrund ist zwischen 1998 und 2003 von 19,6% auf 24% gestiegen. Es liegt damit weiterhin deutlich über der Armutsrisikoquote der Gesamtbevölkerung. Migrantinnen und Migranten aus westlichen Herkunftsländern sind in der Regel häufiger in höheren Einkommensschichten konzentriert als Zuwanderer aus Drittländern. Dabei sind die Zuwanderer türkischer Herkunft und aus dem ehemaligen Jugoslawien am stärksten von Armut betroffen und haben die relativ längste Verweildauer in Armut. In der Gruppe der Aussiedler lebten im Jahr 2003 über ein Viertel unterhalb der Armutsrisikogrenze.
Insbesondere die Jüngeren, die Älteren und die Frauen unter den Migranten sind vom Anstieg des Armutsrisikos überdurchschnittlich betroffen. Im Jahr 2003 lebten 34 % der zur ?zweiten Generation? gehörenden Personen unter der Armutsrisikogrenze. Dies sind zwei mal mehr als bei den Gleichaltrigen in den übrigen Haushalten.
Hauptursache für die hohe Armutsrisikoquote unter Menschen mit Migrationshintergrund ist die hohe Erwerbslosigkeit dieser Bevölkerungsgruppe. Im Jahre 2004 waren 20,4% der Ausländerinnen und Ausländer arbeitslos, womit die Arbeitslosenquote von Ausländerinnen und Ausländern weiterhin deutlich über der allgemeinen Arbeitslosenquote von 11,7% lag.
Die Sozialhilfequote, d.h. die Inanspruchnahme von Sozialhilfe in der entsprechenden Bevölkerungsgruppe, ging von 1998 bis 2003 bei den ausländischen Hilfeempfängern von 9,1% auf 8,4% zurück. Dennoch ist die Quote fast dreieinhalb Mal so hoch wie für die deutsche Bevölkerung, deren Quote 2003 bei 2,9 lag. Vor allem wiesen Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund im Jahre 2003 mit 14,9% eine mehr als doppelt so hohe Sozialhilfequote auf als deutsche Kinder und Jugendliche (6,4%).
Das hohe Erwerbslosigkeits- und Sozialhilfequote von Migranten resultiert nach Einschätzung des Armutsberichts vor allem aus Defiziten bei der sprachlichen Kompetenz sowie schlechteren schulischen und beruflichen Qualifikationen. Der Armutsbericht der Bundesregierung führt aus, dass im Jahr 2003 knapp ein Viertel der ausländischen Sozialhilfeempfänger im Alter von 15 bis 64 Jahren überhaupt keinen schulischen Abschluss hatte (deutsche Hilfeempfänger: ca. 11%). Ende 2003 hatten lediglich 36,2% der Sozialhilfeempfänger mit Migrationshintergrund einen Volks- oder Hauptschulabschluss (deutsche Hilfeempfänger: 52%). Obwohl die Mehrheit der ausländischen Schüler in Deutschland geboren ist, besuchten mit 21,1% doppelt so viele ausländische Schüler im Jahr 2002 eine Hauptschule als Kinder deutscher Nationalität, von denen nur 10,3% die Hauptschule besuchten. Ein bedeutender Unterschied besteht auch hinsichtlich des Besuchs eines Gymnasiums. Während 32,3% der deutschen Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe I im Jahr 2002 ein Gymnasium besuchten, waren es bei den Schülern ausländischer Nationalität nur 13,9%. Neben den durchschnittlich schlechteren Schulabschlüssen führen auch Sprachdefizite von jungen Menschen mit Migrationshintergrund dazu, das diese keine Ausbildungsplätze erhalten. Dies macht sich insbesondere bei Test- und Auswahlverfahren bemerkbar.
Aus diesen Gründen lag nach der letzten verfügbaren Arbeitsmarktstrukturanalyse im Jahr 2003 der Anteil der ausländischen Arbeitslosen ohne abgeschlossene Berufsausbildung bei 72,5% aller ausländischen Arbeitslosen, der entsprechende Anteil der Deutschen bei 28,9%.
Ältere Migranten über 65 Jahren wiesen 2002 mit 13,1% ebenfalls eine überdurchschnittlich hohe Sozialhilfequote auf, während ältere Deutsche nur zu 1,0% auf Sozialhilfeleistungen angewiesen waren. Gründe hierfür sieht der Armutsbericht u.a. in geringeren Rentenansprüchen der in Deutschland lebenden Ausländer, die im Zusammenhang mit migrationsbedingt häufig kürzeren Erwerbsbiografien sowie ihrer Einkommenssituation stehen.
Die Rückkehr ins Herkunftsland ist für die meisten älteren Migrantinnen entgegen früheren Annahmen keine ernst zu nehmende Alternative mehr. Das Gros der Befragten wird den Lebensabend in Deutschland beschließen. Die wesentlichen Gründe für einen dauerhaften Verbleib sind die hier lebenden Nachkommen oder z.B. eine effizientere medizinische Versorgung. Hinzu kommen Gründe des subjektiven Wohlbefindens, aber auch die Angebote einer offenen Gesellschaft, die größere individuelle Freiheiten bietet.
UNICEF-Studie ?Kinderarmut in reichen Ländern?
Im Rahmen der UNICEF Studie zur Kinderarmut in reichen Ländern hat das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) Essen eine Teilstudie für Deutschland erstellt.
Danach haben Kinder der älteren Gastarbeitergeneration mit 10 % eine höhere Armutsquote als vergleichbare deutsche Kinder, aber eine geringere Armutsquote als andere Migranten.
Kinder von neu eingereisten Ausländern haben der Studie zufolge den höchsten Armutsanteil, der seit 1995 bei stets über 15 % lag.
DIW-Studie zur wirtschaftlichen Situation von Zuwanderern
Schon am 2. Februar 2005 hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin in seinem Wochenbericht Nr. 5/2005 festgestellt, dass sich die wirtschaftliche Lage der in Deutschland lebenden Zuwandererbevölkerung seit 1998 im Vergleich zur Mehrheitsbevölkerung verschlechtert hat.
Das vom DIW Berlin in Zusammenarbeit mit Infratest Sozialforschung erhobene Sozio-oekonomische Panel (SOEP) zeigt, dass 1998 bereits 19% der Migranten in Einkommensarmut lebten. Innerhalb von fünf Jahren stieg dieser Anteil auf 23%.
Als überaus bedenklich sieht der DIW-Bericht an, dass Armut für viele Zuwanderer nicht ein vorübergehendes Phänomen, sondern ein dauerhafter Zustand ist. Demgegenüber ist nach dem Armutsbericht der Bundesregierung der Anteil von Langzeitarbeitslosen unter den arbeitslosen Ausländerinnen und Ausländern im September 2003 mit 33,4% unter dem Anteil der Langzeitarbeitslosen an allen Arbeitslosen (36,4%). Der Armutsbericht führt dies darauf zurück, dass Migranten zwar häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen sind als die Bevölkerung insgesamt, aber zwischenzeitlich auch immer wieder Arbeit finden. Gründe hierfür können sowohl in einer überdurchschnittlichen Instabilität der Arbeitsverhältnisse liegen wie auch in einer größeren Flexibilität ausländischer Erwerbstätiger.
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