Bundesinnenminister Otto Schily stellt Verfassungsschutzbericht vor ? Zahl der extremismusgeneigten Ausländer konstant, Zunahme bei rechtsextremistisch motivierten Taten
BERLIN ? Die Rolle der Zuwanderung im Hinblick auf Kriminalitätsformen, die auf die Beseitigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung gerichtet sind, ist ambivalent. Islamischer Extremismus einerseits und Rechtsextremismus andererseits stellen nach Ansicht von Bundesinnenminister Otto Schily die größten Bedrohungen für die innere Sicherheit Deutschlands dar. Schily stufe die Bundesrepublik am Dienstag in Berlin bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts 2004 als "Teil eines weltweiten Gefahrenraumes" ein. Besorgnis erregend sei aber auch der Rechtsextremismus. Besonders hervorzuheben sei hier die Entwicklung der NPD, die 2004 auch durch die Integration von Neonazis zahlenmäßig erheblich an Bedeutung gewonnen habe.
Die Zahl der Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund stieg gegenüber 2003 um über zehn Prozent auf 12 051..
Kernaufgabe der deutschen Sicherheitsbehörden bleibe auf absehbare Zeit die Bekämpfung des islamistischen Terrorismus, betonte Schily. Nicht zuletzt der geplante Anschlag auf den irakischen Ministerpräsidenten Ijad Allawi während dessen Deutschlandvisite im Dezember habe das Ausmaß der Bedrohung gezeigt. Besonders gefährdet seien amerikanische, britische, israelische und jüdische Einrichtungen. Als wichtigste Waffe im Kampf gegen den Terror bezeichnete Schily die vorbeugende Abwehr, als wichtigstes Instrument vereinsrechtliche Organisations- und Betätigungsverbote.
Die Zahl der Anhänger und Mitglieder islamistischer Organisationen stieg dem Bericht zufolge 2004 leicht von 30 950 auf 31 800. Die Anzahl der Ausländer, denen extremistisches Potential zugeschrieben wird, blieb konstant bei rund 57 500 und damit auf einem Niveau, das Schily als nach wie vor bedenklich hoch bezeichnete. Bundesweit werden zur Zeit einhunderteinundsiebzig Ermittlungsverfahren mit islamistisch-terroristischem Hintergrund geführt, unter anderem gegen die mutmaßlichen Mitglieder der Terrorgruppe "Ansar al Islam", die das Attentat auf Allawi geplant haben sollen.
Als Besorgnis erregend bezeichnete Schily daneben den Bedeutungszuwachs der NPD und den Zulauf zu den Neonazis. Deren Zahl sei 2004 um fünfundzwanzig Prozent auf 3 800 gestiegen, berichtete er. Die NPD konnte ihre Mitgliederzahl um 300 auf 5 300 steigern ? während andere Parteien wie DVU oder Republikaner Verluste verzeichneten. Insgesamt ging die Zahl der Rechtsextremisten um 800 auf 40 700 zurück.
Bei politisch motivierten Straftaten von links und bei der Ausländerkriminalität wurde sogar ein deutlicher Rückgang verzeichnet. Bundesweit registrierte die Polizei 2004 dem Bericht zufolge nur noch 461 politische Straftaten von Ausländern. 2003 waren es noch 1 473. Die Zahl der Delikte mit linksextremistischen Hintergrund ging auf 1 440 geringfügig zurück.
Im Ergebnis zeigt der Bericht Ausländer also deutlich stärker in der Opfer- als in der Täterrolle. Aber auch daraus sind keine voreiligen Schlüsse zu ziehen: die Anzahl in Deutschland lebender Ausländer liegt bei 6,7 Millionen, also weit weniger als zehn Prozent der Bevölkerung. Es ist daher ein differenzierter Umgang zu üben mit der Problematik von Zuwanderung und politischer Kriminalität. Das vernünftigste Rezept ist im Hinblick auf beide angesprochenen Erscheinungsformen Integration, und zwar nicht nur halbherzige und nicht nur staatlich verordnete, sondern gelebte altruistische.