Gesetz:
Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG)
Paragraph:
§ 424 Aussetzung des Vollzugs
Autor:
Holger Winkelmann
Stand:
Winkelmann in: OK-MNet-FamFG (17.02.2012)

1. Allgemeines

2. Zuständigkeit und Verfahren

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1. Allgemeines

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§ 424 sieht die Aussetzung des Vollzuges einer angeordneten Freiheitsentziehung vor.
Die Vorschrift ist an § 328 angelehnt. Sie ersetzt den bisherigen § 10 Abs. 3 FEVG, der die Möglichkeit der Beurlaubung regelte. Eine Beurlaubung fällt nunmehr unter die Aussetzung der Vollziehung nach Absatz 1 Satz 1 (vgl. Jennissen, in: Prütting/Helms, FamFG, § 424 Rn. 1).
Satz 3 entspricht inhaltlich dem bisherigen § 10 Abs. 3 Satz 2 FEVG. Die zuständige Verwaltungsbehörde hat über Aussetzungen bis zu einer Woche zu entscheiden.
Satz 4 entspricht § 328 Abs. 1 Satz 2. Einer Befristung der Aussetzung wie in § 328 Abs.1 Satz 3 bedarf es im Hinblick auf die Höchstdauer der Freiheitsentziehung nicht.
Absatz 2 entspricht § 328 Abs. 2.

In entsprechender Anwendung von § 64 Abs. 3 FamFG ist auch der Antrag auf einstweilige Aussetzung des Haftvollzuges statthaft. Das Rechtsbeschwerdegericht kann wie das Beschwerdegericht vor der Entscheidung eine einstweilige Anordnung erlassen, insbesondere anordnen, dass die Vollziehung des angefochtenen Beschlusses auszusetzen ist. Der Gesetzgeber hat zwar in § 74 Abs. 4 FamFG nur eine Verweisung auf die Vorschriften des Verfahrens erster Instanz vorgesehen. Er hat dabei aber übersehen, dass die als Orientierung dienende Vorschrift des § 555 ZPO (vgl. Entwurfsbegründung in BT-Drucks. 16/6308 S. 211) durch Sondervorschriften (§§ 565, 719 ZPO) ergänzt wird. Die dadurch entstandene planwidrige Lücke ist durch die entsprechende Anwendung von § 64 Abs. 3 FamFG zu schließen (Keidel/Meyer-Holz, FamFG, 16. Aufl., § 74 Rn. 61), so der BGH (B. v. 21.01.2010 – V ZB 14/10 –, bei Winkelmann, a.a.O.; BGH, B. v. 14.02.2012 – V ZB 4/12 –, juris).

icon BGH – V ZB 14/10 – B. v. 21.01.2010

2. Zuständigkeit und Verfahren

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Soweit Jennissen (a.a.O.) der Auffassung ist, die Vorschrift ist im Bereich der Abschiebungshaft nicht geeignet das Verhalten des Betroffenen dadurch zu erproben, indem der Haftvollzug ausgesetzt wird, ist dem nicht uneingeschränkt zuzustimmen. Auch wenn die Haft an sich ausgeschlossen ist, wenn es an der Fluchtgefahr mangelt (s. dazu ausführlich bei den Haftgründen zu § 62 AufenthG), kann das Mittel der Haftaussetzung durchaus eine Vorstufe zu vertrauensbildenden Maßnahmen sein, wenn Fluchtgefahr nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann (vgl. auch Bumiller/Harders, FamFG, § 424 Rn. 2; Budde, in: Keidel, FamFG, § 424 Rn. 1). Dieses Verfahren wird nach diesseitiger Kenntnis in Hamburg seit dem Runden Tisch zur Abschiebungshaft am 09.07.2010 durchaus erfolgreich angewandt. Ein solches Signal des Gerichts kann geeignet sein, dem Betroffenen aufzuzeigen, dem Antrag der Behörde kosequent folgen zu wollen, weil die Voraussetzungen der Haft tatsächlich gegeben sind. Die Entscheidung des Gerichts ist eine Ermessensentscheidung. Aus diesem Grunde kann der Vollzug im Einzelfall ausgesetzt werden, um im Angesicht dieser ultima ratio an die Mitwirkungspflicht des Betroffenen zu appellieren, bzw. die Bereitschaft zur freiwilligen Ausreise zu fördern (vgl. Dodegge, a.a.O., § 424 Rn. 6). Die prinzipielle Ablehnung der Aussetzung des Vollzugs der Abschiebungshaft stellt einen Ermessensnichtgebrauch dar und führt zur Rechtswidrigkeit der Haft.
Sind die Voraussetzungen der Haft definitiv nicht mehr gegeben, ist diese nach § 426 Abs.1 FamFG aufzuheben. das ist insbesondere bei einer gerichtlichen Aussetzung zu beachten, wenn dieses beabsichtigt die Aussetzung für länger als eine Woche zu verfügen (vgl. auch Grotkopp, in: Bahrenfuss (Hrsg.), FamFG, § 424 Rn. 2).

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Da die Behörde als die für den Vollzug zuständige Behörde die Vollziehung der Freiheitsentziehung bis zu einer Woche aussetzen darf, kann sie als Minus-Maßnahmen auch Regelungen treffen, die unterhalb der Aussetzung angesiedelt sind (z.B. die Verlegung in eine andere Unterkunft wegen psychischer Probleme in der Haftzelle o.ä.). Die nach Abs. 1 S. 1 betroffenen Freiheitsentziehungsmaßnahmen sind die Abschiebungshaft (in Form der Vorbereitungs– u Sicherungshaft; § 62 Abs. 2, 3 S. 1, 2 AufenthG), die Zurückschiebungshaft (§ 57 als Fall der analogen Anwendung) sowie die Zurückweisungshaft (§ 15 Abs. 5 AufenthG); insoweit ungenau bei Dodegge, a.a.O., § 422 Rn. 15: unkorrekt: § 15 Abs. 6 AufenthG als Transitaufenthalt ist kein Fall der Zurückweisungshaft (s. ausf. bei § 15 AufenthG).

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Die Aussetzung des Vollzugs kann mit Auflagen versehen werden um das Ziel der Maßnahme zu sichern (s.o. Rn. 2). Dies ist insbesondere auch in Fällen der Aussetzung der Abschiebungshaft erwägenswert. In Betracht kommen z.B. eine Meldeauflage oder die Hinterlegung von Sicherheiten (Grotkopp, a.a.O., Rn. 4; so im Ergebnis auch Budde, a.a.O., Rn. 6).

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Nach Satz 2 sind gegenüber dem bisherigen § 10 Abs. 3 Satz 1 zweiter Halbsatz FEVG die Verwaltungsbehörde und der Leiter der Einrichtung als maßgebliche Stellen zwingend anzuhören.
Der Betroffene kann - und sollte - angehört werden, um eine fundierte Prognoseentscheidung im Rahmen des pflichtgemäßen Ermessens treffen zu können.

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Die Aussetzung des Vollzugs der Freiheitsentziehung kann widerrufen werden (Absatz 2). Es gelten hier in Anlehnung an § 328 Abs. 2 FamFG die dort entwickelten Grundsätze. Danach kann insbesondere der Gesundheitszustand oder der Verstoß von Auflagen nach pflichtgemäßem Ermesse zum Widerruf führen. Der Betroffene muss nicht, sollte aber angehört werden, da hier erneut eine Freiheitsentziehung angeordnet wird (Heidebach, in: Haußleiter (Hrsg:), FamFG, § 424 Rn. 8; Grotkopp, a.a.O., Rn. 7; Budde, a.a.O., Rn. 8).

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Die Anordnung der Aussetzung des Vollzugs der Freiheitsentziehung wird mit der Bekanntgabe an den Betroffenen wirksam (es gilt hier § 40 FamFG als allgemeine Regel, da § 422 nicht einschlägig ist; so auch Jennissen, a.a.O. Rn. 6; Budde, a.a.O., Rn. 9, der die Anordnung der Wirksamkeit über § 422 gleichwohl für anwendbar hält; vgl. Dodegge. a.a.O., § 424 Rn. 6).
Gegen die Entscheidung des Gerichts ist die Beschwerde gem. § 58 FamFG einschlägig, da es sich um eine Endentscheidung handelt; gegen die Entscheidung der Behörde ist der Verwaltungsrechtsweg gegeben (a.A. Budde, a.a.O. Rn. 5).

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Normal 0 21 false false false MicrosoftInternetExplorer4 Vgl Dodegge. a.a.O., § 424 Rn 6.Vgl Dodegge. a.a.O., § 424 Rn 6.