Dass der Deutsche sich nach und wegen der Eheschließung in Dänemark mit einer Drittstaatsangehörigen nicht auf das Europäische Gemeinschaftsrecht und auf Gleichbehandlung mit einem in Deutschland lebenden Freizügigkeitsberechtigten eines anderen Mitgliedstaats berufen kann, scheint zur herrschenden Ansicht zu werden. Allerdings haben, soweit ersichtlich, die Obergerichte bislang nur im vorläufigen Rechtsschutz- oder Berufungszulassungsverfahren entschieden. Zu Hauptsacheentscheidungen und einer Vorlage an den EuGH ist es bislang nicht gekommen. Letztere wäre indes geradezu dringend geboten.
Dies ergibt sich bei einem Vergleich der folgenden Beispielsfälle: Fall 1:Der deutsche Staatsangehörige Zweid lebt und arbeitet in Dänemark. Nach seiner Heirat mit einer Drittstaatsangehörigen zieht er mit seiner Frau zurück nach Deutschland, um in Flensburg Wohnsitz zu nehmen. Darf seine Frau mit ihm reisen und hier bleiben? Beides ist unschwer zu bejahen: Dass ihr die Einreise nach Deutschland auch ohne Visum erlaubt ist, folgt aus der Entscheidung >MRAX< des Gerichtshofs der Europäischen Union.
Dass ihr auch der Aufenthalt in Flensburg zu gestatten ist, sie insbesondere weder ein Visum noch Sprachkenntnisse für ihren dauernden Aufenthalt in Deutschland benötigt, hat sich inzwischen auch in der deutschen Verwaltung herumgesprochen. Wichtig erscheint indes an dieser Stelle der Hinweis, dass das damit anerkannte Gleichbehandlungsgebot keine „freiwillige Zugabe“ deutscher Behörden, sondern schlicht vom Europäischen Gemeinschaftsrecht gefordert ist. Von den deutschen Behörden umgesetzt wurde es allerdings erst mit 18-jähriger Verspätung, nämlich in Folge eines Urteils des EuGH vom 11.12.2007. Tatsächlich hat der EuGH in dieser Entscheidung aber nur wiederholt, was er bereits 1992 im Fall >Singh< erklärt hatte. Dass die deutsche Verwaltung Jahre benötigt, diese Rechtsprechung umzusetzen – mit weitreichenden Folgen für unbestimmt viele Betroffene –, ist für den Praktiker nichts Ungewöhnliches. Es sollte jedoch zumindest zu denken geben.
Fall 2:
Der deutsche Staatsangehörige Zimmermann lebt in Berlin und betreibt dort ein Unternehmen, das Werbung in Zeitschriften verkauft, die auch in den Beitrittsländern veräußert werden, von wo viele Anzeigekunden stammen, die Herr Zimmermann gelegentlich besucht. Nach seiner Eheschließung mit einer Ukrainerin, die über keinerlei deutsche Sprachkenntnisse verfügt, beantragt diese bei einem ihrer gelegentlichen Aufenthalte in Deutschland ein Aufenthaltsrecht. Mit Erfolg?
Zu diesem Fall findet sich in den Verwaltungsvorschriften nichts. Die Ausländerbehörde lehnt den Antrag folglich ab und behandelt den deutschen Staatsangehörigen in seinem Heimatland damit – gleichsam schulterzuckend – schlechter, als jeden andere Unionsbürger. Rufen die Eheleute die Gerichte an, wird ihnen, soweit ersichtlich, selbst bei einem Hinweis auf das Gemeinschaftsrecht, stets der Wortlaut von § 1 FreizügG/EU und Art. 3 Abs. 1 Freizügigkeits-RL entgegen gehalten. Danach werden von diesen Normen nur Unionsbürger aus anderen Mitgliedstaaten erfasst. Dass Generalanwalt Mengozzi dieser einengenden Ansicht bereits im Verfahren >Eind< eine Absage erteilt hat, wird geflissentlich ignoriert. Was der EuGH dazu sagen würde, liegt auf der Hand, wenn man berücksichtigt, dass der Zimmermann in englisch >Carpenter< heißt.
Fall 3:
Herr Schmid wohnt in Flensburg und arbeitet, wie ehedem Herr Zweid, in Dänemark. Darf seine drittstaatsangehörige Ehefrau – noch immer ohne Sprachkenntnisse – bei ihm wohnen?
Natürlich. Mag man meinen. Und sich besinnen, dass es um Recht und nichts Natürliches geht. So judizieren die Gerichte, die schon die Rechte des Zimmermanns aus Berlin beschneiden, dass erst recht Herr Schmid, als Grenzgänger, nicht gemeinschaftsrechtlich privilegiert sei. Auch die mit der Ablehnung des Aufenthaltsrechts seiner Ehefrau verbundene Ungleichbehandlung von Herrn Schmid gegenüber einem Dänen, der mit seiner Frau in Flensburg lebt, ist nach überwiegender Ansicht in der Rechtsprechung unproblematisch. Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG sei, so die Gerichte, damit nicht verbunden.
Negiert man mithin schon im Fall 3 jegliche Bedeutung des Gemeinschaftsrechts, liegt es nahe, dass dessen Bedeutung auch in Fällen verneint wird, in denen Dienstleistungen in einem anderen Mitgliedstaat nur für kurze Zeit erbracht werden, gleich ob aktiv oder passiv. Zutreffend ist es gleichwohl nicht. Dies erschließt sich schon bei einem genauen Blick auf die verschiedenen Phasen zwischen Heirat in Dänemark und Vorsprache bei der Ausländerbehörde in Flensburg.
Unbestreitbar kann sich der Deutsche für seinen Aufenthalt in Dänemark auf sein Freizügigkeitsrecht berufen. Sobald er mit einer Drittstaatsangehörigen verheiratet ist, darf er sich, als Freizügigkeitsberechtigter, mit seiner – ebenfalls freizügigkeitsberechtigten – Ehefrau zusammen in Dänemark aufhalten. Auch ist ihnen die Einreise nach Deutschland nach der MRAX-Entscheidung nicht zu verwehren. Der EuGH hat in dieser Entscheidung zwar im Wesentlichen zur VO 1612/68 und den RL 68/360 sowie RL 73/148 entschieden, die, wie auch die Freizügigkeits-RL, ihrem Wortlaut nach nur für Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaats gelten. Der EuGH hat allerdings nur bei der Frage seiner Zuständigkeit die Frage des grenzüberschreitenden Elements erörtert, im Übrigen aber die angefochtenen Einreisebestimmungen unabhängig davon verworfen, ob nun ein Inländer oder ein Freizügigkeitsberechtigter eines anderen Mitgliedstaats von ihnen betroffen wird.
Herr Schmid darf somit aufgrund Gemeinschaftsrechts zusammen mit seiner drittstaatsangehörigen Ehefrau durch Dänemark und andere europäische Länder reisen. Auch darf er aufgrund Gemeinschaftsrechts mit seiner Frau nach Deutschland einreisen. In Deutschland angekommen soll aber plötzlich das Gemeinschaftsrecht keine Geltung mehr haben. Es stellt sich – bei Unterstellung der Richtigkeit dieser Ansicht – schon die Frage, wann denn die Geltung des Gemeinschaftsrechts erlöschen soll, wann also die Einreise abgeschlossen ist. Und muss die Grenzschutzbehörde die Ehefrau zunächst passieren lassen, darf sie aber nach dem Grenzübertritt festhalten und wegen illegaler Einreise zurückschieben? Entspricht dies der Rechtsprechung des EuGH und der Grundrechtscharta der Europäischen Union? Die Antworten liegen m. E. auf der Hand.
Wenn nun das mit der Eheschließung in Dänemark verbundene Gebrauchmachen von der Dienstleistungsfreiheit den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts eröffnet, stellt sich ernstlich nur die Frage, ob sich Herr und Frau Schmid für ihren Aufenthalt in Deutschland auf die Rechtsprechung des EuGH in Sachen >Diatta< berufen können, also das Aufenthaltsrecht von Frau Schmid fortbesteht, selbst wenn sich die Eheleute getrennt haben, aber noch nicht geschieden sind. Diese Frage in Abkehr zu seiner bisherigen Rechtsprechung zu entscheiden, bleibt dem EuGH vorbehalten. Solange aber die entscheidungserheblichen Fragen nicht einmal vorlegt werden, bleibt es bei der Verbindlichkeit der bisherigen Rechtsprechung des EuGH.
Die Eheleute Schmid können sich folglich für ihren Aufenthalt in Deutschland auf das Gemeinschaftsrecht berufen, sofern auch nur ein Element des Sachverhalts einen grenzüberschreitenden Bezug aufweist, beispielsweise die Inanspruchnahme von Dienstleistungen anlässlich von Restaurantbesuchen oder Hotelaufenthalten in Dänemark.
Ob Gleiches gilt, wenn kein Element des Sachverhalts einen grenzüberschreitenden Bezug aufweist, sondern allein die Grundrechtecharta der Europäischen Union, insbesondere Art. 7, 9 und 24 GRC i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG eine Inländerdiskriminierung verbietet, ist noch nicht entschieden, da die Charta erst seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon gegenüber dem nationalen Recht Vorrang genießt.
Ulm, 18.02.2010
T. Oberhäuser
Rechtsanwalt
Der Beitrag von RA Oberhäuser ist vollständig in das Gesamtdokument mit Fußnoten eingepflegt:
Zum Ehegattennachzug im Rahmen einer so genannten „Dänemark-Ehe“ (809.06 kB 2010-02-22 20:45:44)