Mit den Schlussanträgen des Generalanwalts Bot vom 8. Juni 2010 in dem Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg kommt etwas Klarheit in den Umfang des gemeinschaftsrechtlichen Ausweisungsschutzes.
Mit dem Vorabentscheidungsersuchen werden die Voraussetzungen für die Gewährung des Schutzes vor Ausweisung nach Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38/EG näher bestimmt. Diese Vorschrift sieht vor, dass gegen einen Unionsbürger, der seinen Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Aufnahmemitgliedstaat gehabt hat, eine Ausweisung nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit verfügt werden darf.
Insbesondere wird der Gerichtshof gefragt, ob der Begriff „zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit" dahin zu verstehen ist, dass er nur Erwägungen umfasst, die sich auf den Schutz des Mitgliedstaats und seiner Einrichtungen beziehen, und ob sich wiederholte und längere Abwesenheiten vom Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats auf die Berechnung der Frist von zehn Jahren auswirken, die für die Erlangung des Ausweisungsschutzes vorgeschrieben ist.
In den vorliegenden Schlussanträgen wurde dem Gerichtshof vorgeschlagen, zu entscheiden, dass Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38 dahin auszulegen ist, dass der Begriff „öffentliche Sicherheit" nicht nur im engen Sinne auf die Gefährdung der inneren oder äußeren Sicherheit des Aufnahmemitgliedstaats oder des Bestands seiner Einrichtungen zu beziehen ist, sondern auch auf schwerwiegende Beeinträchtigungen von Grundinteressen der Gesellschaft wie der grundlegenden Schutzgüter seiner Bürger, die dieser Mitgliedstaat durch Strafvorschriften, die er zu ihrem Schutz aufgestellt hat, näher bestimmt hat.
Der Generalanwalt erläuterte zudem, welche besonderen Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit eine zuständige nationale Behörde rechtmäßig eine Ausweisungsverfügung erlassen kann, insbesondere in einer Situation wie in der eine solche Verfügung im Anschluss an die Vollstreckung einer strafrechtlichen Sanktion erfolgen würde.
Darüber hinaus wurde darlegt, aus welchen Gründen vorübergehende Abwesenheiten, die die starke Bindung zwischen dem Unionsbürger und dem Aufnahmemitgliedstaat nicht in Frage stellen, in der Regel keine Auswirkungen auf die Berechnung der nach Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38 vorgesehenen Frist von zehn Jahren haben.
Dagegen kann nach Auffassung des Generalanwalts eine Abwesenheit vom Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats von über 16 Monaten, die wie im vorliegenden Fall nur durch die zwangsweise Rückkehr des Unionsbürgers infolge einer gerichtlichen Entscheidung der zuständigen Stellen dieses Mitgliedstaats beendet wurde, dazu führen, dass der Unionsbürger den in dieser Vorschrift vorgesehenen erhöhten Schutz verliert, soweit in dieser Abwesenheit der Bruch der starken Bindung zwischen dem Unionsbürger und dem Aufnahmemitgliedstaat zum Ausdruck kommt, was festzustellen Sache des nationalen Richters ist.
Der Schlussantrag steht Mitgliedern als download zur Verfügung.