Ist eine Abschiebung in Fällen offensichtlich unbegründeter Asylanträge vor einer Entscheidung der Asylklage im ersten Rechtszug unzulässig?

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Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat mit Urteil vom 26.09.2018 in der Rechtssache C-180/17 entschieden, dass die Bestimmungen der Richtlinien 2005/85 und 2008/115 die Mitgliedstaaten zwar verpflichten, einen wirksamen Rechtsbehelf gegen abschlägige Entscheidungen über einen Antrag auf internationalen Schutz und gegen Rückkehrentscheidungen vorzusehen; keine dieser Bestimmungen sieht jedoch vor, dass die Mitgliedstaaten internationalen Schutz beantragenden Personen, deren Klage gegen die Ablehnung ihres Antrags und die Rückkehrentscheidung abgewiesen wurde, ein Rechtsmittel gewähren müssen, und erst recht nicht, dass ein solches Rechtsmittel kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung haben muss.

Mit dieser Entscheidung knüpft der Gerichtshof an die Rechtssache Gnandi gegen Belgien (C-181/16) an, in der er bereits die wichtigsten Verfahrensgrundsätze für das Rechtsbehelfs und Rechtmittelverfahren konkretisiert hatte.

Nach der Entscheidung des EuGH hindern die Richtlinien RL 2005/85 und 2008/115 die Mitgliedstaaten nicht daran, für Rechtsbehelfe gegen abschlägige Entscheidungen über einen Antrag auf internationalen Schutz und gegen Rückkehrentscheidungen einen zweiten Rechtszug vorzusehen, sie enthalten aber keine Vorschriften über die Schaffung und Ausgestaltung eines solchen Rechtszugs (Rn.30).

Der Gerichtshof stellt aber nochmals die Grundsätze für die aufschiebende Wirkung in einem Rechtsbehelfsverfahren des ersten Rechtszuges klar. Danach muss bei einer Rückkehrentscheidung und einer etwaigen Abschiebungsentscheidung der mit dem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und dem Grundsatz der Nichtzurückweisung verbundene Schutz dadurch zu gewährleistet werden, dass der Person, die internationalen Schutz beantragt hat, das Recht zuzuerkennen ist, vor mindestens einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen, der kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung hat, d.h. dass der Rechtsbehelf gegen die Ablehnung des Antrags auf internationalen Schutz seine volle Wirksamkeit entfaltet, indem während der Frist für die Einlegung des Rechtsbehelfs und, falls er eingelegt wird, bis zur Entscheidung über ihn alle Wirkungen der Rückkehrentscheidung aussetzen sind (Rn.33). Dieser Grundsatz wiederholt die bereits in der Rechtssache Gnandi konkretisierten Verfahrensrechte.

Wichtig ist, dass dieser Grundsatz nur für Rückkehrentscheidungen anwendbar ist, die darauf abzielen, den Ausländer aus dem Schengengebiet zu verbringen. Damit erfasst die Entscheidung keinesfalls Dublin-III-Verfahren, bei denen eine Rückführung gerade in einen anderen Mitgliedstaat erfolgen soll. Außerdem enthält die Dublin-III-Verordnung eine verbindliche Konkretisierung der zulässigen Rechtsbehelfe, die den Vorgaben der Rückführungsrichtlinie vorgehen.

Die Auswirkungen der beiden Entscheidungen auf das gerichtliche Verfahren des ersten Rechtszugs sind weitgehend ungeklärt. Es spricht einiges dafür, dass eine Abschiebung eines abgelehnten Asylbewerbers erst zulässig ist, wenn eine Entscheidung in der Hauptsache getroffen wurde. Ob damit eine Rückführung in Fällen eines offensichtlich unbegründeten Asylbegehrens nach § 30 AsylG vor einer Entscheidung des Klageverfahrens unzulässig ist, ist damit aber nicht gesagt. Denn eine Einschränkung dieser Rechtsfolge ergibt sich sowohl aus einer Formulierung in der Rechtssache Gnandi als auch aus dem jetzt entschiedenen Verfahren.

In der Rechtssache Gnandi führt der Gerichtshof aus, dass die Verfahrensgrundsätze des effektiven Rechtsschutzes gelten, wenn ein abgelehnter Asylbewerber in ein Land abgeschoben werden soll,

„bei dem ersthafte Gründe befürchten lassen, dass tatsächlich die Gefahr einer Art. 18 der Charta in Verbindung mit Art. 33 der Genfer Konvention oder Art. 19 Abs. 2 der Charta widersprechenden Behandlung dieser Person besteht“.

Eine entsprechende Formulierung ergibt sich aus dem Tenor in der Entscheidung vom 26.09.2018:

"Art. 39 der Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft und Art. 13 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger sind im Licht von Art. 18, Art. 19 Abs. 2 und Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, die zwar ein Rechtsmittel gegen ein erstinstanzliches Urteil, das eine Entscheidung bestätigt, mit der ein Antrag auf internationalen Schutz abgelehnt und eine Rückkehrverpflichtung auferlegt wird, vorsieht, diesen Rechtsbehelf jedoch nicht mit kraft Gesetzes aufschiebender Wirkung ausstattet, obwohl der Betroffene die ernsthafte Gefahr eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung geltend macht (Rn.49)."

Eine ernsthafte Gefahr im Sinne der oben genannten Rechtsprechung dürfte aber gerade in Fällen der offensichtlichen Unbegründetheit fehlen, jedenfalls dann, wenn sich die Offensichtlichkeitsentscheidung auf den fehlenden Erfolgsaussichten des Vorbringens stützt.