Die Bluttat von Aschaffenburg: Behördenversagen oder Versagen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems?

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Die Schreckenstat von Aschaffenburg führt im Wahlkampf zu pauschalen Schuldzuweisungen, nicht aber zu einer nüchternen Analyse des Problems. Augenfällig ist die Parallele zu dem Attentat in Solingen. Denn sowohl der afghanische Täter in Aschaffenburg als auch der syrische Attentäter in Solingen kamen über Bulgarien nach Deutschland und stellten hier ihre Asylanträge. Obwohl das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Durchführung eines Asylverfahrens in Deutschland im Rahmen des Dublin-Systems ablehnte und Abschiebungsanordnungen nach Bulgarien erließ, kam es zu keiner Abschiebung der Betroffenen, obwohl Bulgarien einer Rückübernahme der Asylsuchenden zustimmte. Was sind aber die Gründe für das Unterbleiben der Rückführung?

Niemand scheint in der Bundespolitik bereit zu sein, sich die Gründe des Scheiterns innereuropäischer Rückführungen genauer ansehen zu wollen. Die Ursachen sind zwar vielfältig, aber allesamt nicht akzeptabel.

Es ist nicht hinzunehmen, dass europäische Staaten sich außerstande sehen, ein Asylverfahren vorzuhalten, das elementaren Mindestanforderungen genügt. Überstellungen von Asylbewerbern in den für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen EU-Staats sind nur bei extrem drohender Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung unzulässig, wobei systemische Mängel des Asylverfahrens vorliegen müssen. Systemische Mängel des Asylsystems einiger EU-Mitgliedstaaten dürfen in Zeiten, in den Milliarden für die Flüchtlingspolitik ausgegeben werden, in Europa nicht hingenommen werden.

Gleiches gilt für die schlichte Weigerung von EU-Staaten, Flüchtlinge zurückzunehmen. Die Weigerung, europäisches Recht anzuwenden, wird seit Jahren auch von der EU-Kommission hingenommen. An der Durchsetzung europäischer Dublin-Regelungen besteht schon lange kein Interesse mehr, da diese für den Massenzustrom von Flüchtlingen nicht gedacht waren und daher für eine gerechte Lastenverteilung zwischen den EU-Staaten nicht geeignet sind.

Letztlich scheitern Rückführungen in EU-Mitgliedstaaten an irrwitzigen Forderungen, auf welche Weise die Rückführung durchzuführen ist. So ist etwa das Verlangen, Dublin-Flüchtlinge mit Linienflügen zurückzuführen, obwohl eine unmittelbare Landverbindung zwischen den EU-Staaten einen Bustransfer ermöglichen würde, nur eine Methode, das Dublin-System durch die Hintertür zu boykottieren.

In Bezug auf die genannten Mängel ist letztlich Europa gefordert, das aber versagt, weil es keine Binnensolidarität im Flüchtlingsrecht zwischen den EU-Staaten gibt. Auch das neue Dublin-System, das Mitte nächsten Jahres zur Anwendung kommen wird, hat nur dann eine Zukunft, wenn es eine Verteilungssolidarität in Bezug auf Flüchtlinge in Europa gibt. Das Funktionieren des neuen Dublin-Systems wird zudem davon abhängen, ob es gelingt, die Binnenmigration von Flüchtlingen zu unterbinden und Rechtsschutzmöglichkeiten auf das verfassungs- und europarechtlich Notwendige zu beschränken.

Wo liegt nun das Versagen? Sicherlich nicht bei den von der Masse der Asylverfahren überforderten Behörden des Bundes und der Länder. Vielmehr liegt ein Totalschaden des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems vor.

Auch der seitens der Bundesregierung erhobene Vorwurf, die bayrischen Behörden hätten sich nicht hinreichend um eine zeitnahe Rückführung des Täters gekümmert, ist schwer nachvollziehbar, da es im konkreten Fall um eine Abschiebung nach Afghanistan ging. Gratulierte sich die Bundesregierung nicht erst mit der Pressemitteilung vom 30. August 2024 dazu, dass „erstmals seit August 2021 wieder Rückführungen von afghanischen Staatsangehörigen in ihr Herkunftsland durchgeführt [wurden]“? Die Bundesregierung hatte große Anstrengungen unternommen, um die Rückführung von 28 Straftätern nach Afghanistan zu erreichen. Ohne diplomatischen Einsatz auf höchster Ebene sind Rückführungen leider – nicht nur nach Afghanistan – häufig faktisch unmöglich. Die bayrischen Landesbehörden hatten in dem Fall aus Aschaffenburg sicherlich nicht die Möglichkeit, einen Flug nach Afghanistan zu organisieren. Die Ankündigung einer freiwilligen Ausreise nach Afghanistan war mithin für die zuständigen Behörden ein seltener Glücksfall.

Fazit: Wenn Schuldzuweisungen angebracht sind, dann sollten sich diese an Europa richten. Wer Europäisches Recht setzt und damit die Handlungsspielräume der Mitgliedstaaten beschränkt, ist dafür verantwortlich, dass das verbindlich vorgeschriebene System funktioniert. Werden aus dem Versagen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems auf Unionsebene über Jahre hinweg keine Konsequenzen gezogen, dann darf man sich auch nicht wundern, wenn die Mitgliedstaaten nationale Alleingänge vornehmen bzw. planen, die kaum mit Unionsrecht vereinbar sind.