EuGH erneut zur Frage der Strafvollstreckung während Rückkehrverfahrens nach RL 2008/115/EG

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Urteil des EuGH vom 06.12.2011 in der Rs. C-329/11 „ Achughbabian“.

Die Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger ist dahin auszulegen, dass sie

  • der Regelung eines Mitgliedstaats, die den illegalen Aufenthalt mit strafrechtlichen Sanktionen ahndet, entgegensteht, soweit diese Regelung die Inhaftierung eines Drittstaatsangehörigen zur Strafvollstreckung zulässt, der sich zwar illegal im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats aufhält und nicht bereit ist, dieses Hoheitsgebiet freiwillig zu verlassen, gegen den aber keine Zwangsmaßnahmen im Sinne von Art. 8 dieser Richtlinie verhängt wurden und dessen Haft im Fall einer Inhaftnahme zur Vorbereitung und Durchführung seiner Abschiebung noch nicht die höchstzulässige Dauer erreicht hat,
  • einer solchen Regelung aber nicht entgegensteht, soweit diese die Inhaftierung eines Drittstaatsangehörigen zur Strafvollstreckung zulässt, auf den das mit dieser Richtlinie geschaffene Rückkehrverfahren angewandt wurde und der sich ohne einen Rechtfertigungsgrund für seine Nichtrückkehr illegal in dem genannten Hoheitsgebiet aufhält.

Der EuGH entschied damit nach der Rs. El Dridi erneut zur Frage der Grenzen der Zulässigkeit von Strafvollstreckungsmaßnahmen, die nach Erlass einer Rückkehrentscheidung während der Durchführung der Rückkehrmaßnahmen vorgenommen werden (könnten).

Der EuGH stellte klar, dass die Richtlinie dem Recht eines Mitgliedstaats nicht per se entgegen steht, das den illegalen Aufenthalt als Straftat einstuft und strafrechtliche Sanktionen vorsieht, um von der Begehung derartiger Verstöße gegen die nationalen aufenthaltsrechtlichen Vorschriften abzuschrecken und sie zu ahnden und auch nicht entgegensteht, wenn die Inhaftierung zur Ermittlung dient, ob der Aufenthalt eines Drittstaatsangehörigen illegal ist oder nicht. Gemeint ist hier ein möglicher Polizei- oder Identitätsgewahrsam nach Polizei- der Strafprozessrecht: Die Frage der Geeignetheit der Gewahrsamnahme nach verwaltungsrechtlichen Gesichtspunkten, wie etwa der nach § 39 Abs. 1 Nr. 3 BPolG im deutschen Recht, war nicht Gegenstand des Verfahrens. Zur Kritik siehe bei Winkelmann in MNet: OLG Brandenburg, - 11 Wx 7/10 - Beschluss vom 01.06.2010; BVerfG - 2 BvR 2520/07 - Beschluss vom 04.09.2009.

Dabei ist den zuständigen Behörden zuzugestehen, dass sie über eine zwar kurze, aber angemessene Zeit verfügen müssen, um die Identität der kontrollierten Personen festzustellen und um die Fakten zu recherchieren, auf deren Grundlage entschieden werden kann, ob es sich bei dieser Person um einen illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen handelt.

Stellt sich dabei aber heraus, dass der Aufenthalt illegal ist, müssen die Behörden nach Art. 6 Abs. 1 RüFü-RL und unbeschadet der dort vorgesehenen Ausnahmen eine Rückkehrentscheidung erlassen. Die Verhängung und Vollstreckung einer Freiheitsstrafe während des von der RüFü-RL vorgesehenen Rückkehrverfahrens trägt nicht zur Verwirklichung der mit diesem Verfahren verfolgten Abschiebung bei und ist daher unzulässig. Dabei reicht bereits, dass die Strafverfolgung zu einer Inhaftierung zur Strafvollstreckung führen kann. Da die der französischen Rechtslage ähnelnde deutsche Strafnorm nicht definitiv jegliche Möglichkeit einer strafrechtlichen Verfolgung von wegen der dort genannten Straftat in Fällen der Vollziehung einer Rückkehrentscheidung ausschließt, ist die Norm des § 95 Absatz 1 Nr. 2 AufenthG - unter Zurückweisung u.a. der deutschen Auffassung - europarechtswidrig.

Nicht ausgeschlossen ist, Vorschriften – gegebenenfalls strafrechtlicher Art – zu erlassen oder beizubehalten, die unter Beachtung der Grundsätze und des Ziels der genannten Richtlinie den Fall regeln, dass Zwangsmaßnahmen es nicht ermöglicht haben, einen illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen abzuschieben (also im Anschluss an ein erfolgloses Rückkehrverfahren).

Zur Entscheidung des EuGH bei Mnet (die Stellungmnahme des GA ist beigefügt und über die "Büroklammer" zu öffnen):

icon EuGH - Rs. C-329/11 - „ Achughbabian“ vom 06.12.2011 (226.51 kB 2011-12-06 18:58:25)

Zum aktualisierten Beitrag:

icon Zur nationalen Umsetzung der Rückführungsrichtlinie