Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat heute - im Anschluss an sein Urteil vom 11. Januar 2011 - entschieden, dass begründete Zweifel an der Rückkehrbereitschaft der Erteilung eines für den gesamten Schengen-Raum gültigen Besuchsvisums auch dann entgegenstehen, wenn der Fall von dem zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Ukraine abgeschlossenen Visaerleichterungsabkommen erfasst wird.
Auch die Erteilung eines auf das Gebiet der Bundesrepublik beschränkten Visums zum Besuch naher Familienangehöriger ist nur ausnahmsweise möglich (vgl. Pressemitteilung Nr. 2/2011).
Der Entscheidung liegt der Fall von zwei ukrainischen Staatsangehörigen (Mutter und Sohn) zugrunde. Sie begehren die Erteilung von Schengenvisa zum Besuch ihres in Deutschland lebenden ukrainischen Ehemannes bzw. Vaters. Die Anträge wurden von der deutschen Auslandsvertretung in Kiew abgelehnt. Die Klagen hatten in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Der 1. Revisionssenat des Bundesverwaltungsgerichts hat das Urteil des Oberverwaltungsgerichts bestätigt. Die Kläger haben nach der seit April 2010 geltenden Verordnung (EG) Nr. 810/2009 (Visakodex - VK -) keinen Anspruch auf ein Besuchsvisum. Danach ist ein Antrag auf Erteilung eines einheitlichen, für den gesamten Schengen-Raum gültigen Besuchsvisums zwingend abzulehnen bei begründeten Zweifeln an der Absicht des Antragstellers, das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vor Ablauf der Gültigkeit des beantragten Visums zu verlassen (Art. 32 Abs. 1 Buchst. b VK). Diese Regelung wird nicht durch das zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Ukraine im Jahr 2007 geschlossene Visaerleichterungsabkommen verdrängt oder modifiziert. Denn die dort geregelten Erleichterungen beziehen sich u. a. auf Art und Umfang der mit dem Antrag vorzulegenden Unterlagen, die Senkung oder den Erlass von Visagebühren und die vorgeschriebene Bearbeitungszeit, lassen aber die Notwendigkeit der Prognose zur Rückkehrbereitschaft unberührt. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts bestehen Zweifel am Rückkehrwillen der Kläger aufgrund ihres prinzipiellen Wunsches nach Familienzusammenführung sowie ihrer familiären und wirtschaftlichen Situation in der Ukraine.
Die Kläger haben auch keinen Anspruch auf Erteilung eines nur für das Bundesgebiet gültigen Besuchsvisums. Ein solches Visum wird von einem Mitgliedstaat nur in den in Art. 25 Abs. 1 VK aufgeführten Ausnahmefällen erteilt. Ein Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Ausgehend von dem öffentlichen Interesse an der Verhinderung einer ungesteuerten Einwanderung ist auch mit Blick auf den besonderen Schutz familiärer Bindungen die Erteilung eines Visums nicht erforderlich. Die Kläger sind zur Aufrechterhaltung der familiären Kontakte nicht zwingend auf einen Besuch des Ehemannes bzw. Vaters in Deutschland angewiesen, denn dieser kann sie in der Ukraine besuchen und zudem den Kontakt auf andere Weise (Briefe, Telefon, Internet) aufrechterhalten.
BVerwG 1 C 15.10 - Urteil vom 15. November 2011
Vorinstanzen:
OVG Berlin-Brandenburg, 2 B 16.09 - Urteil vom 24. Juni 2010 -
VG Berlin, 24 K 44.09 V - Urteil vom 27. April 2009 -
Quelle: Pressemitteilung BVerwG, Nr. 97/2011 vom 15. November 2011