LG Görlitz zur Verletzung des Unverzüglichkeitsgebotes der richterlichen Haftentscheidung

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Beschluss des LG Görlitz vom 30.08.2012 (Az.: GR 2 T 91/12).

  1. Zumindest die wesentlichen Teile eines Haftantrages haben einem des Deutschen nicht mächtigen Sicherungshaftbetroffenen in einer schriftlichen Übersetzung in eine ihm verständliche Sprache vor der Haftanhörung ausgehändigt zu werden, wenn die Anhörung selbst so kurz (hier: 20 Minuten) gestaltet wird, dass unter den besonderen Umständen des Einzelfalles eine wirksame Wahrnehmung des Anspruches auf rechtliches Gehör des Betroffenen sonst nicht gewährleistet werden kann.
  2. Zum Begriff der "Unverzüglichkeit" im Sinne des Art. 104 Abs. 2 S. 2 GG.
  3. Zum Begriff des "gesetzlichen Richters" im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. 104 Abs. 2 S. 2 GG.

Zum Sachverhalt:
Der russische Staatsbürger tschetschenischer reiste an einem Montag von Polen unerlaubt in die Bundesrepublik Deutschland weiter und wurde von einer Streife der Bundespolizei aufgegriffen. Am gleichen Tage um 15:43 Uhr ging beim Amtsgericht der Antrag auf Anordnung der Freiheitsentziehung gemäß §§ 23, 417 FamFG hinsichtlich des Betroffenen ein, der jedoch keinerlei Hinweis auf eine Zustimmung der Staatsanwaltschaft gemäß § 72 Abs. 4 AufenthG oder auch nur auf die Notwendigkeit einer solchen enthielt, obgleich ein entsprechendes Strafverfahren betrieben wurde. Zum Zeitpunkt des Einganges des Antrages hatten der Ermittlungsrichter beim Amtsgericht und seine Geschäftsstelle bereits Dienstschluss gemacht, so dass die Sache niemandem mehr vorgelegt werden konnte.
Ein Termin zur Anhörung war gleichwohl bereits für den nächsten Tag festgesetzt gewesen. Der zuständige Ermittlungsrichter hatte um 13:15 Uhr die Fortdauer der Freiheitsentziehung bis zum nächsten Tag telefonisch "bestätigt".

Zum Unverzüglichkeitsgebot

Der festgestellte Sachverhalt ist offenbar leider nach wie vor aus der behördlichen und amtsrichterlichen Praxis nicht wegzudenken. Das Unverzüglichkeitsgebot genießt Verfassungsrang. Situationen, in denen nach Eingang des Haftantrags durch die zuständige Behörde - hier die Bundespolizei - trotz / oder auch noch immer in Ermangelung eines verfassungsgemäßen richterlichen Bereitschaftsdienstes - das zuständige Amtsgericht zur Tageszeit keine unverzügliche Anhörung vornimmt, sind unhaltbar. Das Beschwerdegericht findet dazu klare Worte:

„Es sind keinerlei Gründe ersichtlich, warum das Gericht nicht noch für den 26.03.2012 eine Anhörung des Betroffenen angesetzt hat. Eine solche hätte, bei Zugrundelegung der örtlichen Verhältnisse, spätestens bis 18:00 Uhr erfolgen können. Die Tatsache, dass das Büro des Ermittlungsrichters an diesem Tage anscheinend um 15:45 Uhr bereits Dienstschluss gemacht hatte, ist unerfreulich, aber sicherlich kein rechtlich akzeptabler Grund für eine Verschiebung der Anhörung auf den späten Vormittag des nächsten Tages“.

 

Inwieweit diese rechtswidrige Anordnungspraxis den Vorgaben des haftrechtlichen Verfahrens zur schriftlichen Beschlussfassung nach dem FamFG standhält, führte das LG nicht weiter aus, ist aber eher eine rhetorische Anmerkung. Dadurch, dass kein wirksamer Beschluss erfolgte, ist auch das weitere eigenmächtige Festhalten durch die Bundespolizei rechtswidrig und erfüllt jedenfalls die tatbestandlichen Voraussetzungen der Freiheitsberaubung. Ob die haftantragstellende Behörde nach über 11 Jahren verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung auf die Rechtswirksamkeit der telefonischen „richterlichen Anordnung“ gleichwohl exkulpierend vertrauen durfte, bedarf hier keiner weiteren Betrachtung.

Jedenfalls hat nach Wegfall der Befugnisgrundlage für die Freiheitsentziehung aus verfassungsrechtlichen Gründen die unverzügliche Freilassung des Betroffenen zu erfolgen. Ein eigenmächtiges Festhalten steht der Behörde dann nicht mehr zu.

 

Siehe hierzu ausführlich im Onlinekommentar:

 

 

2. Zur Problematik des Einvernehmens mit der Staatsanwaltschaft

 

Siehe ausführlich im Onlinekommentar zu § 62, Rn. 94.

 

3. Zur Übersetzung und Aushändigung des Haftantrages vor der richterlichen Anhörung

 

Siehe ausführlich im Onlinekommentar zu § 62 und zu § 420 FamFG.

 

 Zum Beschluss: hier klicken