BVerfG 2 BvR 1579/11 (1. Kammer des Zweiten Senats) - Beschluss vom 5. November 2013 (BGH).
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob der Bundesgerichtshof seiner verfassungsrechtlichen Pflicht zur Berücksichtigung der Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs über die Rechte aus Art. 36 des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen nachgekommen ist. Der Nichtannahmebeschluss, der die Revisionsentscheidung des BGH (BGH, B. v. 07.06.2011 - 4 StR 643/10 -) stützt, zieht damit auch einen Schlussstrich unter den rechtlichen "Schlingerkurs" des BGH in den vergangenen Jahren.
Das Landgericht verurteilte den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, wegen räuberischer Erpressung mit Todesfolge in Tateinheit mit versuchtem Raub mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren.
Gegen dieses Urteil legte der Beschwerdeführer Revision ein. In deren Rahmen machte er mit der Verfahrensrüge geltend, er sei vor seiner polizeilichen Vernehmung nicht gemäß Art. 36 Abs. 1 Buchstabe b Satz 3 WÜK belehrt worden.
Da nach deutschem Strafprozessrecht eine Revision nach § 337 StPO auf den völkerrechtswidrigen Belehrungsausfall selbst gestützt werden kann, ist sichergestellt, dass der Bruch des Völkerrechts nicht generell folgenlos bleibt. Der Annahme eines Beweisverwertungsverbots als Folge einer unterbliebenen Belehrung bedarf es daher grundsätzlich ebenso wenig wie einer anderweitigen Kompensation des Verfahrensverstoßes im Rahmen der so genannten Vollstreckungslösung.
Die angegriffene Entscheidung wird diesen Anforderungen gerecht, denn sie hat die Verfahrensrüge - trotz Bedenken - als zulässig behandelt. Nicht zu beanstanden ist ferner, dass der Umstand, dass die zweite polizeiliche Vernehmung des Beschwerdeführers "ohne anwaltlichen Beistand" erfolgt ist, in der Abwägung des Bundesgerichtshofs keine Berücksichtigung gefunden hat. Art. 36 Abs. 1 WÜK schützt nicht die Aussagefreiheit des Betroffenen, sondern ausschließlich die Möglichkeit, über den konsularischen Beistand einen Verteidiger beizuziehen. Die Nichtgewährung einer Kompensation im Rahmen der sogenannten Vollstreckungslösung (vgl. hierzu BGHSt 52, 124 ff.) kann den Beschwerdeführer schon deshalb nicht in seinem Recht auf ein faires Verfahren verletzen, weil die Vollstreckungslösung nicht im Einklang mit den Vorgaben für eine angemessene Wiedergutmachung für eine unterbliebene Belehrung stünde. In Fällen, in denen der Betroffene - wie hier - zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde, ist die erneute Überprüfung des Schuld- und Strafausspruchs geboten (IGH, Fall LaGrand, a.a.O., Rn. 125: "review and reconsideration of the conviction and sentence"). Dagegen bleibt es bei der so genannten Vollstreckungslösung bei der dem Unrecht und der Schuld angemessenen Strafe, die nicht in eine aus Entschädigungsgründen reduzierte Strafe umgewandelt wird (vgl. BGHSt 52, 124 <141>); der Strafausspruch - und erst recht der Schuldspruch - bleiben unberührt. Die Anwendung der Vollstreckungslösung eröffnet damit keine Möglichkeit, das Strafurteil im Einzelfall in seiner Gesamtheit zu überprüfen und die Fragen der Schuld und der Strafzumessung neu zu bewerten. "Review and reconsideration" sollen indes gerade sicherstellen, dass im Revisionsverfahren geprüft wird, welchen Einfluss der Belehrungsausfall auf die Urteilsfindung hatte.
Zur Problematik bei Belehrungen in der Abschiebehaft und zum rechtshistorischen Überblick siehe hierzu ausführlich im Onlinekommentar:
OK-MNet-AufenthG zu § 62