OLG Bamberg zur Strafbarkeit eines Asylsuchenden wegen unerlaubter Einreise und Begleitdelikten

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OLG Bamberg, U. v. 24.09.14, Az.: 3 Ss 59/13 mit Bezug auf die Kommentierung von Winkelmann in Renner/Bergmann/Dienelt Ausländerrecht, 10. Aufl. § 13 AufenthG Rn. 10 und § 95 Rn. 17.

Sachverhalt:
Der Angeklagte, ein afghanischer Staatsangehöriger, gelangte zunächst mittels eines Schleusers über den Iran und die Türkei nach Griechenland. Von einem weiteren Schleuser erhielt er gegen Bezahlung von 1.500 Euro einen auf den Namen einer anderen Person ausgestellten pakistanischen Pass, in den der Schleuser ein Lichtbild des Angeklagten eingefügt hatte. Mithilfe des Schleusers, der den Angeklagten durch die griechischen Flughafenkontrollen begleitete, reiste der Angeklagte am 17.08.2010 per Flug von Griechenland nach München. Anlässlich der polizeilichen Einreisekontrolle am Flughafen in München um 17.20 Uhr legte der Angeklagte dem kontrollierenden Polizeibeamten den gefälschten pakistanischen Pass vor. Da der Polizeibeamte die Fälschung des Passes sofort erkannte, wurde der Angeklagte festgenommen. Dem Beamten gegenüber erklärte der Angeklagte, dass er um Asyl nachsuche. In einer förmlichen Vernehmung, die noch am selben Tag im Zeitraum von 19.45 bis 21.36 Uhr stattfand, schilderte der Angeklagte ausführlich die Gründe, weshalb er um Asyl nachsuche.

Leitsatz:

  1. Eine Strafbarkeit wegen unerlaubter Einreise ohne Aufenthaltstitel oder ohne Pass sowie wegen unerlaubten Aufenthalts ohne Aufenthaltstitel oder ohne Pass scheidet aus, wenn der Ausländer bei seiner Einreise um Asyl nachsucht, weil er hierdurch - zur Durchführung des Asylverfahrens - eine Aufenthaltsgestattung gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG erlangt und damit gleichzeitig gemäß § 64 Abs. 1 AsylVfG von der Passpflicht des § 3 Abs. 1 AufenthG befreit ist.
  2. Eine unerlaubte Einreise aus einem sicheren Drittstaat, bei der für die gesetzliche Aufenthaltsgestattung das bloße Nachsuchen um Asyl nicht ausreicht, sondern gemäß § 55 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG die förmliche Stellung eines Asylantrags bei der Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge erforderlich ist, ist nicht gegeben, wenn der auf dem Luftwege anreisende Ausländer noch bei der Einreisekontrolle durch die Polizei vorläufig festgenommen wird und in diesem Zusammenhang um Asyl nachsucht. Denn eine Einreise in das Bundesgebiet im Sinne § 13 Abs. 1 AufenthG ist am Flughafen erst mit dem Passieren der Kontrollstelle anzunehmen, wobei die Möglichkeit bestehen muss, sich frei in Richtung Inland zu bewegen.
  3. Die Strafbefreiung des Art. 31 der Genfer Flüchtlingskonvention (GfK) erfasst jedenfalls dann nicht so genannte Begleitdelikte, wie etwa eine Urkundenfälschung durch Gebrauch machen von einem gefälschten Pass, wenn deren Begehung für die Geltendmachung von Asyl in der Bundesrepublik Deutschland nicht erforderlich war.

Im Ergebnis zu Recht hat das Amtsgericht allerdings eine Strafbarkeit wegen vollendeter unerlaubter Einreise ohne Aufenthaltstitel oder ohne Pass (§ 95 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 14 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 AufenthG) sowie wegen unerlaubten Aufenthalts ohne Aufenthaltstitel oder ohne Pass (§ 95 Abs. 1 Abs. 1 Nrn. 1, 2 i.V.m. § 3 Abs. 1 AufenthG) verneint.

a) Zwar gelangte der Angeklagte ohne (gültigen) Pass und ohne Aufenthaltstitel i.S.d § 4 AufenthG in das Bundesgebiet, wo er sich in der Folgezeit auch aufhielt. Da er jedoch im unmittelbaren Zusammenhang mit seiner Festnahme und somit noch vor der Einreise in das Bundesgebiet um Asyl gegenüber der Polizei gemäß § 18 AsylVfG nachsuchte, erlangte er - zur Durchführung des Asylverfahrens - eine Aufenthaltsgestattung gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG und er war damit gleichzeitig gemäß § 64 Abs. 1 AsylVfG von der Passpflicht des § 3 Abs. 1 AufenthG befreit.

Die vom Amtsgericht und von der Revision thematisierte Frage der Einreise aus einem sicheren Drittstaat stellt sich in diesem Zusammenhang nicht.
aa) Zwar hätte der Angeklagte im Falle einer unerlaubten Einreise aus einem sicheren Drittstaat die gesetzliche Aufenthaltsgestattung nicht bereits mit dem Nachsuchen um Asyl an der Grenze gegenüber der Polizei gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG erworben. Vielmehr wäre in diesem Fall sein Aufenthalt gemäß § 55 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG erst mit der förmlichen Stellung eines Asylantrags, d.h. gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG mit der Stellung des Asylantrags bei der Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, gestattet gewesen.
bb) Die Bestimmung des § 55 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG ist aber, unabhängig von der Frage, ob der Angeklagte aus einem sicheren Drittstaat gekommen ist, nicht einschlägig, weil es an einer (unerlaubten) Einreise fehlt. Eine Einreise in das Bundesgebiet im Sinne § 13 Abs. 1 AufenthG ist am Flughafen erst mit dem Passieren der Kontrollstelle anzunehmen, wobei die Möglichkeit bestehen muss, sich frei in Richtung Inland zu bewegen (vgl. Winkelmann in: Renner/Bergmann/Dienelt Ausländerrecht 10. Aufl. § 13 AufenthG Rn. 10).

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts bestand jedoch für den Angeklagten eine derartige Möglichkeit zunächst nicht, weil er festgenommen wurde und im Rahmen seiner Anhörung um Asyl nachsuchte. Bis zu diesem Zeitpunkt lag mithin noch gar keine Einreise im Rechtssinne vor. Dies ist erst nach seiner Entlassung aus dem polizeilichen Gewahrsam anzunehmen. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Angeklagte aber bereits um Asyl nachgesucht, so dass sein Aufenthalt nach § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG gestattet war. Nachdem die Grenzbehörden dem Angeklagten die Einreise nicht gemäß § 18 Abs. 2 AsylVfG verweigerten und auch nicht das so genannte Flughafenverfahren nach § 18 a AsylVfG in die Wege leiteten, sondern ihn stattdessen an die zuständige Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerber weiterleiteten, war die Einreise und der Aufenthalt des Angeklagten von der gesetzlichen Aufenthaltsgestattung des § 55 Abs. 1 AsylVfG gedeckt.

2. Allerdings käme unter Umständen – abhängig vom Tatplan des Angeklagten - eine Strafbarkeit wegen versuchter unerlaubter Einreise gemäß den §§ 95 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 AufenthG, 22 StGB in Betracht, was das Amtsgericht hier nicht bedacht hat. Denn sollte der Angeklagte ursprünglich gar nicht vorgehabt haben, in der Bundesrepublik Deutschland Asylantrag zu stellen, würde von vornherein eine Rechtfertigung nach Art. 16 a GG und eine Straflosigkeit nach § 95 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 31 GFK ausscheiden. Eine abschließende Beurteilung ist dem Senat nicht möglich, weil die tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts zur inneren Tatseite unzureichend sind. Dies wird der neue Tatrichter nachzuholen haben, wobei gegebenenfalls auch die Vorschrift des § 24 StGB in den Blick zu nehmen sein wird.

3. Rechtsfehlerhaft ist der Freispruch in jedem Falle, soweit das Amtsgericht eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen des Gebrauchs einer unechten Urkunde durch Vorlage des gefälschten Passes gemäß § 267 Abs. 1 StGB verneint hat.

a) Es kann dahinstehen, ob die Voraussetzungen des Art. 31 GFK überhaupt vorlagen. Denn diese Vorschrift erfasst das Vergehen der Urkundenfälschung, das nach den Feststellungen im angefochtenen Urteil verwirklicht wurde, nicht.
aa) Die Frage, ob sich die Strafbefreiung des Art. 31 GFK nur auf eine etwaige Strafbarkeit wegen unerlaubter Einreise sowie unerlaubten Aufenthalts, nicht aber wegen sonstiger im Zusammenhang mit der Einreise realisierter Delikte, wie das Gebrauchmachen von einer gefälschten Urkunde, erstreckt, ist in Judikatur und Schrifttum umstritten (für eine Beschränkung auf eine Strafbefreiung wegen unmittelbarer aufenthaltsrechtlicher Delikte etwa: OLG München, Beschl. vom 29.03.2010, Az. 5 St RR (II) 79/10; Erbs/Kohlhaas- Senge Strafrechtliche Nebengesetze [197. EL 2014] AufenthG § 95 Rn. 68; Hohoff in: Beck OK-Ausländerrecht; Kluth/Heusch [4. Ed., Stand: 01.03.2014] § 95 Rn. 7; MüKo- StGB/Gericke AufenthG § 95 Rn. 118; a.A. AG Korbach InfAuslR 2013, 43; Fischer-Lescano/ Horst ZAR 2011, 81; Winkelmann in: Renner/Bergmann/Dienelt § 95 Rn. 17).
bb) Gegen die Ausdehnung des Art. 31 GFK auf so genannte Begleitdelikte spricht zunächst der klare Wortlaut der Regelung, die ausdrücklich die Strafbefreiung auf die unrechtmäßige Einreise und den Aufenthalt beschränkt. Eine über den Wortlaut hinausgehende Auslegung ist auch nicht durch den Sinn und Zweck dieser Bestimmung geboten. Hiernach soll dem Flüchtling, der in einem Vertragsstaat Schutz vor Verfolgung sucht, die Möglichkeit eingeräumt werden, um Asyl nachzusuchen, ohne dass er Gefahr läuft, durch den Staat, in dem er Aufnahme begehrt, wegen der Einreise und des Aufenthalts bestraft zu werden. Es soll mithin verhindert werden, dass er durch die Strafdrohung von der Stellung eines Asylantrags abgehalten wird. Eine derartige Konstellation ist im Hinblick auf das Gebrauchmachen von einem gefälschten Pass im Aufnahmestaat aber gerade nicht gegeben. Dabei kann dahinstehen, ob für die Ausreise mit dem Flugzeug aus Griechenland ein (gefälschter) Ausweis erforderlich war. Denn zur Last gelegt wird dem Angeklagten nicht etwa der Gebrauch des gefälschten Passes in Griechenland oder das Mitführen des Passes, den er gegebenenfalls bei seiner Ausreise aus Griechenland verwenden musste. Vielmehr geht es allein um den Gebrauch einer unechten Urkunde, indem er anlässlich seiner Ankunft am Flughafen in München den gefälschten Pass dem Polizeibeamten vorlegte. Für die Geltendmachung von Asyl in der Bundesrepublik Deutschland war dies aber gar nicht geboten. Vielmehr genügte hierfür die Berufung auf das Asylbegehren bei der polizeilichen Kontrolle.

Aufgrund der aufgezeigten sachlich-rechtlichen Mängel war das angefochtene Urteil auf die Revision der Staatsanwaltschaft mitsamt den Feststellungen aufzuheben (§ 349 Abs. 4, Abs. 5 StPO) und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten der Revision an einen anderen Richter des Amtsgerichts zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 StPO). Die für sich genommen rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren Tathergang können nicht aufrecht erhalten bleiben, da der Angeklagte das Urteil insoweit nicht hätte anfechten können (vgl. BGH NStZ-RR 2000, 300 m.w.N.).


Zum Hintergrund:

Siehe in MNet die News zum Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH:
OLG Bamberg 3. Strafsenat, Aktenzeichen: 3 Ss 59/13, 3 Ss 59/2013 v. 29.08.2013

EuGH ist grundsätzlich unzuständig für GFK-Auslegung:
Das OLG Bamberg fragte den EuGH, ob Flüchtlinge wegen Verstoßes gegen die Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen bestraft werden dürfen, die nicht unmittelbar aus einem Gebiet kommen, in dem ihr Leben oder ihre Freiheit i.S.v. Art. 1 GFK bedroht waren, sondern zunächst über andere Signatarstaaten GFK (hier: Griechenland) eingereist waren, sofern sie sich unverzüglich bei den Behörden melden und Gründe darlegen, die ihre unrechtmäßige Einreise oder ihren unrechtmäßigen Aufenthalt rechtfertigen. Greift der Strafausschließungsgrund des Art. 31 GFK bezüglich Vergehen im Zusammenhang mit der unerlaubten Einreise von Personen in das Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats, in dem Asyl beantragt wird, insbesondere bezüglich unerlaubter Einreise mit Hilfe von Schleusern und der Verwendung eines gefälschten Ausweisdokuments? Der EuGH wies darauf hin, dass sich seine Befugnis zu Auslegungen im Wege der Vorabentscheidung nur auf zum Unionsrecht gehörende Rechtsvorschriften erstreckt. Grundsätzlich ist er daher auch nicht für die Auslegung internationaler Verträge zuständig, welche – wie die GFK – zwischen einzelnen Mitgliedstaaten und Drittstaaten und nicht von der Union als solcher geschlossen wurden. Eine weitgehende Befugnis besitzt der EuGH nur insoweit die Union Zuständigkeiten solcher Übereinkünfte übernommen hat und die auszulegenden Bestimmungen somit für die Union bindend geworden sind. Teilweise wurden Rechtstexte der GFK in europäisches Recht integriert, für den Art. 31 GFK gilt dies bis auf einige Verweise und vor allem im Hinblick auf die vorliegenden Rechtsfragen aber nicht. Die Zuständigkeit für eine unmittelbare Auslegung des Art. 31 GFK und somit die Beantwortung der Vorlagefragen scheidet deshalb aus (U.v. 17.07.2014 - C-481/13).