Neugeborene Kinder von Asylberechtigten und international Schutzberechtigten haben unmittelbar Anspruch auf Hartz IV-Leistungen

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Gängige Verfahrensweise in ganz Deutschland ist, dass Eltern mit subsidiären Schutz oder einem Anerkennungstitel für ihre neugeborenen Kinder einen Asylantrag stellen sollen. Diese Verfahrensweise ist durchaus sinnvoll, da hierdurch die Anerkennung im Wege des Familienasyls ermöglicht wird. Daher werden die Eltern eines neugeborenen Kindes zu dieser Asylantragstellung durch die Ausländerbehörde  aufgefordert. Die Bearbeitung eines solchen Antrages dauert oft monatelang.

Der Arbeitskreis Flüchtlinge hat darauf hingewiesen, dass die Eltern in dieser Zeit keine Leistungen für ihr Kind erhalten. Die Sozialämter zahlen nicht, weil ihnen eine offizielle Zuweisung durch die Bezirksregierung fehlt. Die Jobcenter zahlen nicht, da die Eltern noch keine gültigen Ausweispapiere für das Kind vorlegen können. Wissend, dass aber nun eine Person mehr im Haushalt lebt, zahlt das Jobcenter nur den Mietanteil der Eltern und eventueller Geschwisterkinder mit gültigen Papieren aus. Die anteilige Miete und alle Bedarfe des Neugeborenen müssen die Eltern aus ihren Regelleistungen mit bestreiten. Dieser Tatbestand treibt die Familie automatisch in Schulden bzw. Mietrückstände und damit verbundenen Ärger oder Mahnschreiben durch die Vermieter."

In Abstimmung  mit dem Bundesministerium des Innern, der Integrationsbeauftragten sowie dem Bundeskanzleramt hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales am 18.07.2017 zu der vorstehenden Problematik nachfolgende Auffassung mitgeteilt, die bei nächster Gelegenheit in die Fachlichen Weisungen zu § 7 SGB II sowie die Fachlichen Weisungen für die Bearbeitung von Anträgen auf Leistungen nach dem zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Loseblattsammlung - zu überführen ist:

„In Deutschland geborene Kinder von Asylberechtigten, GFK-Flüchtlingen und subsidiär Schutzberechtigten erhalten entweder eine Aufenthaltserlaubnis nach § 33 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) oder nach § 25 Absatz 1 oder Absatz 2 AufenthG. Sie sind nicht nach § 1 Absatz 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes  (AsylbLG) leistungsberechtigt, sondern nach dem SGB II. Da sie nach Auffassung der Bundesregierung Anspruch auf einen Aufenthaltstitel  nach § 33 AufenthG haben, können sie bereits ab Geburt Leistungen nach dem SGB II erhalten, auch wenn die Aufenthaltserlaubnis  ggf. erst mit zeitlicher Verzögerung erteilt wird.

Als Nachweis über die Existenz und Identität des Neugeborenen gegenüber den gemeinsamen Einrichtungen genügt in diesen Fällen ein Nachweis über die Aufenthaltserlaubnis  der Eltern (die den Jobcentern i.d.R. bereits bekannt sein dürfte) und die Vorlage der Geburtsurkunde für das in Deutschland geborene Kind.“

Das Ergebnis, dass im Bundesgebiet geborene Kinder international Schutzberechtigter und Asylberechtigter Anspruch auf SGB II-Leistungen haben, ist zutreffend, auch wenn die Begründung fehlerhaft ist. Denn ein Anspruch auf einen Aufenthaltstitel schafft noch keinen rechtmäßigen Aufenthalt, auch wenn dies vom Bundessozialgericht behauptet wird.

Das Asylbewerberleistungsgesetz kommt aber in den hier betroffenen Fällen bereits deshalb nicht zur Anwendung, weil die im Bundesgebiet geborenen Kinder sich unmittelbar kraft Gesetzes rechtmäßig aufhalten und damit nicht ausreisepflichtig sind.

Der rechtmäßige Aufenthalt eines im Bundegebiet geborenen Kindes folgt aus einer analogen Anwendung des § 33 Satz 3 Aufenthaltsgesetz. Diese Bestimmung regelt, dass der Aufenthalt eines im Bundesgebiet geborenen Kindes, dessen Mutter oder Vater zum Zeitpunkt der Geburt im Besitz eines Visums ist oder sich visumfrei aufhalten darf, bis zum Ablauf des Visums oder des rechtmäßigen visumfreien Aufenthalts als erlaubt gilt. Wird bereits der befreite Aufenthalt oder der rechtmäßige Aufenthalt, der auf einem Visum beruht, begünstigt, so gilt dies erst recht für den Aufenthalt eines Elternteils, der im Besitz eines Aufenthaltstitels ist. Die bestehende Regelungslücke - das Gesetz regelt ausdrücklich nur die Folgen eines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in § 81 Absatz 2 Satz 2 Aufenthaltsgesetz - kann durch eine analoge Anwendung des § 33 Satz 3 Aufenthaltsgesetz sachgerecht geschlossen werden mit der Folge, dass der Aufenthalt eines Kindes nach der Geburt rechtmäßig ist.

Diese Aufenthaltsrecht entfällt auch nicht durch den Asylantrag, da der auf eine entsprechende Anwendung des §§ 33 Satz 3 Aufenthaltsgesetz beruhende rechtmäßig Aufenthalt nicht nach § 55 Abs. 2 Asylgesetz erlischt. Denn der rechtmäßige Aufenthalt eines im Bundesgebiet geborenen Kindes analog § 33 Satz 3 Aufenthaltsgesetz ist nicht die Folge eines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, sondern entsteht allein kraft Geburt im Inland; insoweit liegt keine verfahrensrechtliche Rechtsstellung vor. Durch den rechtmäßigen Aufenthalt nach der Geburt wollte der Gesetzgeber der besonderen Beziehung zwischen dem Kleinkind und der Mutter unmittelbar nach der Geburt im Interesse der Familieneinheit und zur Aufrechterhaltung der nach Artikel 6 Absatz 1 Grundgesetz besonders geschützten Eltern-Kind-Beziehung Rechnung tragen. Schon bei der Vorgängervorschrift des § 33 Aufenthaltsgesetz, dem § 21 Absatz 1 Ausländergesetz vom 09.07.1990 (Bundesgesetzblatt Teil I Seite 1354), der seinem Wortlaut nach keine wesentlichen Unterschiede zu dem entscheidungserheblichen Inhalt des § 33 Aufenthaltsgesetz aufweist, wurde davon ausgegangen, dass durch die Vorschrift der besonderen Schutzbedürftigkeit im Bundesgebiet geborener und aufgewachsener Ausländer Rechnung getragen werden sollte (so ausdrücklich Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 16.07.2002 - 1 C 8.02 - BVerwGE 116, 378, 383, Randnummer 22). Diese Rechtslage wurde mit dem § 33 Satz 1 Aufenthaltsgesetz in der Fassung vom 30.07.2004 (Bundesgesetzblatt Teil I Seite 1950) unverändert fortgeschrieben. Denn in der Gesetzesbegründung zum Zuwanderungsgesetz wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Vorschrift "dem besonderen Sachverhalt der Geburt im Bundesgebiet Rechnung" trägt (vgl. Bundestagsdrucksache 15/420, Seite 83).

Mainz, 29.08.2017