Der Gerichthof der Europäischen Union hat mit Urteil in der Rechtssache C-201/16 (Majid Shiri / Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl) a, 25. Oktober 2017 entschieden, dass eine Person, die internationalen Schutz beantragt hat, sich vor einem Gericht auf den Ablauf der für ihre Abschiebung in einen anderen Mitgliedstaat vorgesehenen Frist berufen kann.
Der Ablauf der sechsmonatigen Frist, über die ein Mitgliedstaat gemäß der Dublin III-Verordnung zur Überstellung einer Person, die internationalen Schutz beantragt hat, in den zuständigen Mitgliedstaat, der ihrer Wiederaufnahme zugestimmt hat, verfügt, hat zur Folge, dass der erstgenannte Mitgliedstaat selbst für die Bearbeitung des Schutzantrags zuständig wird, worauf sich der Antragsteller berufen kann.
Majid Shiri, ein iranischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen die Zurückweisung seines Antrags auf internationalen Schutz in Österreich und seine Abschiebung nach Bulgarien vor den österreichischen Gerichten. Bulgarien hatte zuvor seiner Wiederaufnahme zugestimmt, weil er dort in die Europäische Union eingereist war und auch einen solchen Antrag gestellt hatte. Herr Shiri macht geltend, dass Österreich nach der Dublin III-Verordnung für die Prüfung seines Antrags zuständig geworden sei, da er nicht innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Wiederaufnahmeersuchens durch die bulgarischen Behörden nach Bulgarien überstellt worden sei.
Der Verwaltungsgerichtshof (Österreich) möchte vom Gerichtshof wissen, ob der bloße Ablauf der fraglichen sechsmonatigen Frist nach der Dublin III-Verordnung zu einem solchen Zuständigkeitsübergang zwischen den Mitgliedstaaten führt. Bejahendenfalls möchte er auch wissen, ob sich eine Person, die internationalen Schutz beantragt hat, vor einem Gericht auf einen solchen Zuständigkeitsübergang berufen kann.
Mit seinem Urteil vom heutigen Tage antwortet der Gerichtshof, dass die Zuständigkeit von Rechts wegen auf den aufnahmeersuchenden Mitgliedstaat (im vorliegenden Fall Österreich) übergeht, sofern die Überstellung nicht innerhalb der sechsmonatigen Frist durchgeführt wird, ohne dass es erforderlich ist, dass der zuständige Mitgliedstaat (im vorliegenden Fall Bulgarien) die Verpflichtung zur (Wieder-)Aufnahme der betreffenden Person ablehnt.
Diese Lösung ergibt sich nicht nur aus dem Wortlaut der Dublin III-Verordnung, sondern steht auch mit dem Ziel einer zügigen Bearbeitung der Anträge auf internationalen Schutz im Einklang. Eine solche Lösung gewährleistet nämlich bei einer verzögerten Durchführung des (Wieder-)Aufnahmeverfahrens, dass der Antrag auf internationalen Schutz in dem Mitgliedstaat geprüft wird, in dem sich der Antragsteller aufhält, damit die Prüfung nicht weiter aufgeschoben wird.
Darüber hinaus erkennt der Gerichtshof, dass sich eine Person, die internationalen Schutz beantragt hat, auf den Ablauf der sechsmonatigen Frist berufen kann. Dies gilt unabhängig von der Frage, ob diese Frist vor oder nach dem Erlass der Überstellungsentscheidung abgelaufen ist. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, dafür einen wirksamen und schnellen Rechtsbehelf vorzusehen.
Der Gerichtshof führt in diesem Zusammenhang aus, dass, wenn die sechsmonatige Frist nach dem Erlass einer Überstellungsentscheidung abläuft, die zuständigen Behörden des ersuchenden Mitgliedstaats (im vorliegenden Fall Österreich) den Betroffenen nicht in einen anderen Mitgliedstaat überstellen dürfen. Sie sind vielmehr verpflichtet, von Amts wegen die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die auf sie übergegangene Zuständigkeit anzuerkennen und unverzüglich mit der Prüfung des vom Betroffenen gestellten Antrags auf internationalen Schutz zu beginnen.
Der Gerichtshof stellt auch fest, dass das in den österreichischen Rechtsvorschriften vorgesehene Recht, sich im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen die Überstellungsentscheidung auf nach dem Erlass dieser Entscheidung eingetretene Umstände zu berufen, einen wirksamen und schnellen Rechtsbehelf zur Geltendmachung des Ablaufs der Überstellungsfrist darstellt.
Quelle: Presseerklärung des EuGH