Der Brexit und seine aufenthaltsrechtlichen Folgen

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Die Rechtsstellungen von Bürgern des Vereinigten Königreichs in den anderen EU-Staaten und umgekehrt die Lage von sonstigen EU-Bürgern im Vereinigten Königreich bedarf einer Regelung durch einen Übergangsvertrag, um einen harten Brexit zu verhindern. Das Austrittsabkommen muss spätestens am 30.03.2019 in Kraft treten, es sei denn, der Europäische Rat beschließt im Einvernehmen mit dem Vereinigten Königreich einstimmig, diese Frist gemäß Artikel 50 Absatz 3 des Vertrags über die Europäische Union zu verlängern. Andernfalls finden sämtliche Verträge über die Union und der Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft ab dem 30.03.2019 um 0 Uhr (Brüsseler Zeit) auf das Vereinigte Königreich keine Anwendung mehr. Ab dem Austrittstermin ist das Vereinigte Königreich ein Drittstaat. Ab diesem Tag finden die Verträge auch auf die überseeischen Länder und Hoheitsgebiete, die besondere Beziehungen zum Vereinigten Königreich unterhalten , und auf die europäischen Hoheitsgebiete, für deren Außenbeziehungen das Vereinigte Königreich verantwortlich ist, und für die die Verträge gemäß Artikel 355 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union gelten, keine Anwendung mehr.

Entsprechend der Leitlinien des Europäischen Rats vom 29.04.2017 wurde ein Übergangsvertrag ausgehandelt, der auch die Rechtsstellung der betroffenen Unionbürger im Vereinigten Königreich und den anderen Mitgliedstaaten umfassend regelt. Der ausgehandelte Vertrag (Stand: 14.11.2018) sieht für eine Übergangsphase die nach Artikel 126 des Vertrages am 31.12.2020 endet. Art. 127 des Übergangsvertrages sieht vor, dass Unionsrecht während der Übergangsphase anwendbar bleibt, soweit der Vertrag nichts Abweichendes bestimmt.

In Teil zwei des Vertrages werden die Bürgerrechte geregelt. Systematisch werden im Vertrag zunächst die Unionsbürger und Familienangehörigen definiert, die überhaupt in den Genuss von Aufenthaltsrechten kommen. Soweit der Vertrag Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen Rechte einräumt, muss daher immer geprüft werden, ob diese in den personellen Anwendungsbereich des Vertrages fallen. Keinesfalls dürfen die Regelungen über die Gewährung von Aufenthaltsrechten in den Artikeln 13 ff des Vertrags so verstanden werden, dass sie jeden Unionsbürger oder Familienangehörigen begünstigen.

Der personelle Anwendungsbereich wird ist Artikel 10 des Vertrages geregelt. Diese Norm erfasst Unionbürger, die vor Ablauf der Übergangsphase im Vereinigten Königreich bereits ihr Aufenthaltsrecht im Einklang mit Unionsrecht ausgeübt haben und beabsichtigen, weiterhin in dem anderen Unionsstaat zu verbleiben. Umgekehrt werden Staatsangehörige des Vereinigten Königreichs erfasst, die in anderen EU-Staaten vor dem 31.12.2020 ihr Freizügigkeitsrecht ausüben und beabsichtigen, weiterhin in dem anderen Unionsstaat zu verbleiben. Damit werden nur Unionsbürger begünstigt, die bis zum 31.12.2020 ihr Recht auf Freizügigkeit wahrgenommen haben. Nach Ablauf der Übergangsphase können daher weder Unionsbürger im Vereinigten Königreich noch Staatsangehörige des Vereinigten Königreichs in den anderen EU-Staaten Aufenthaltsrechte aus dem Vertrag ableiten, soweit dieser keine speziellen Regelungen enthält.
Entsprechende Rechte werden Grenzarbeitnehmer eingeräumt. Diese Regelung erlangt besondere Bedeutung hinsichtlich der Situation an der Grenze des Vereinigten Königreichs zu Irland.

An die Unionsbürger, die in den personellen Anwendungsbereich fallen, knüpft das akzessorischen Aufenthaltsrecht der Familienangehörigen, die in Artikel 9 des Vertrages der Begriff des Familienangehörigen unter Bezugnahme auf Artikel 2 der Unionbürgerrichtlinie definiert werden, an.

Familienangehörige der Unionsbürger bzw. Staatsangehörigen des Vereinigten Königreichs erhalten beim Vorliegen bestimmter Voraussetzungen ein Aufenthaltsrecht im Vereinigten Königreich bzw. den anderen EU-Staaten:

  • Angehörige, die sich vor Ablauf der Übergangszeit im Einklang mit dem Unionsrecht zusammen mit einem Freizügigkeitsberechtigten im Aufnahmestaat aufhalten und sich danach dort weiterhin aufhalten wollen.
  • Angehörige eines freizügigkeitsberechtigten Unionbürger, mit dem sie bis zum Ablauf der Übergangsphase nicht zusammenlebten, wenn sie die Nachzugsvoraussetzungen des Artikels 2 Nummer 2 der Unionsbürgerrichtlinie, insbesondere das Merkmal „Unterhalt gewähren“, erfüllen.
  • Angehörige von Unionsbürgern, die sich bis zum Ablauf der Übergangsphase freizügigkeitsberechtigt im Vereinigten Königreich bzw. in einem anderen Mitgliedstaat aufhielten, die nach Ablauf der Übergangszeit innerhalb oder außerhalb des Aufnahmestaats geboren oder rechtmäßig adoptiert wurden, die in Artikel 2 Nummer 2 Buchstabe c) der Unionbürgerrichtlinie genannten Bedingungen zum Zeitpunkt ihrer Wohnsitzfrage erfüllen und eine der folgenden Bedingungen erfüllen: 
    o Beide Elternteile genossen bis zum Ablauf der Übergangsphase Freizügigkeit im Vereinigten Königreich bzw. in einem anderen Mitgliedstaat.
    o Ein Elternteil genoss bis zum Ablauf der Übergangsphase Freizügigkeit im Vereinigten Königreich bzw. in einem anderen Mitgliedstaat und der andere besitzt die Staatsangehörigkeit des Aufnahmestaats (Artikel 9 Buchstabe c des Vertrages).
    o Ein Elternteil genoss bis zum Ablauf der Übergangsphase Freizügigkeit im Vereinigten Königreich bzw. in einem anderen Mitgliedsstaat und hat das alleinige oder gemeinsame Sorgerecht für das Kind nach den geltenden familienrechtlichen Vorschriften eines Mitgliedstaats oder des Vereinigten Königreichs.

Dieselben Regeln gelten für das Aufenthaltsrecht von Familienangehörigen gelten für Grenzarbeitnehmer.

Außerdem wird Familienangehörigen, die ein eigenständiges Aufenthaltsrecht oder ein Daueraufenthaltsrecht im Vereinigten Königreich oder einem anderen Mitgliedstaat erworben haben, über Artikel 10 Absatz 1 Buchstabe f des Vertrags das Fortbestehen des Aufenthaltsrechts zugestanden, wenn sich vor dem Ende der Übergangsphase im Vereinigten Königreich oder einem anderen Mitgliedstaat aufgehalten haben und beabsichtigen, ihren Aufenthalt dort fortzusetzen.
Andere Verwandte als Familienangehörige im Sinne des Artikels 2 Nummer 2 der Unionsbürgerrichtlinie können, wenn sie unter Artikel 3 Absatz 2 der Unionsbürgerrichtlinie fallen, Aufenthaltsrechte bewahren. Diese Regelung bereitet insbesondere in Deutschland Schwierigkeiten, weil die Rechte aus Artikel 3 Absatz 2 der Unionsbürgerrichtlinie nicht umgesetzt wurden. Dieses wurde bislang von der Kommission nicht zum Anlass genommen, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einzuleiten, obwohl der Bundesregierung die fehlende Umsetzung aufgrund von Anfragen der Fraktion „Die Linke“ bekannt ist.

Grundlage des Aufenthaltsrecht von freizügigkeitsberechtigten EU-Bürgern im Vereinigten Königreich und Staatsangehörigen des Vereinigten Königreichs in den anderen EU-Staaten, die in den personellen Anwendungsbereich fallen (Artikels 10 des Vertrags), ist Artikel 13 des Vertrags:

"1. Unionsbürger und Staatsangehörige des Vereinigten Königreichs haben das Recht, sich im Aufnahmestaat unter den in den Artikeln 21, 45 oder 49 AEUV und in Artikel 6 Absatz 1 Buchstaben a, b oder c des Artikels 7 Absatz 1, Artikel 7 Absatz 3, Artikel 14, Artikel 16 Absatz 1 oder Artikel 17 Absatz 1 der Richtlinie 2004/38/EG festgelegten Einschränkungen und Bedingungen aufzuhalten.
2. Familienangehörige, die entweder Unionsbürger oder Angehörige des Vereinigten Königreichs sind, haben das Recht, sich im Aufnahmestaat gemäß Artikel 21 AEUV und Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe d) des Artikels 7 Absatz 1, Artikel 12 Absatz 1 oder 3, Artikel 13 Absatz 1, Artikel 14, Artikel 16 Absatz 1 oder Artikel 17 Absätze 3 und 4 der Richtlinie 2004/38/EG aufzuhalten, vorbehaltlich der in diesen Bestimmungen festgelegten Einschränkungen und Bedingungen.
3. Familienangehörige, die weder Unionsbürger noch Angehörige des Vereinigten Königreichs sind, haben nach Artikel 21 AEUV und gemäß Artikel 6 Absatz 2, Artikel 7 Absatz 2, Artikel 12 Absatz 2 oder 3, Artikel 13 Absatz 2, Artikel 14, Artikel 16 Absatz 2, Artikel 17 Absatz 3 oder 4 oder Artikel 18 der Richtlinie 2004/38/EG das Recht, sich im Aufnahmestaat aufzuhalten, vorbehaltlich der in diesen Bestimmungen festgelegten Einschränkungen und Bedingungen.
4. Der Aufnahmestaat darf den in den Absätzen 1, 2 und 3 genannten Personen keine anderen als die in diesem Titel vorgesehenen Beschränkungen oder Bedingungen für die Erlangung, den Erhalt oder den Verlust des Aufenthaltsrechts auferlegen. Es besteht kein Ermessen bei der Anwendung der in diesem Titel vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen, außer zugunsten der betreffenden Person.“

Auch wenn mit dem Aufenthaltsrecht nach Artikel 13 des Vertrages das Recht auf Ein- und Ausreise ohne Einhaltung von Visabestimmungen (siehe Artikel 14 des Vertrages) einhergeht, ändert sich die Rechtsstellung von Staatsangehörigen des Vereinigten Königreichs in den anderen EU-Mitgliedstaaten und von EU-Staatsangehörigen, die sich im Vereinigten Königreich aufhalten wollen, nachhaltig. Denn auch die Weitergeltung der Freizügigkeitsrechte macht die Begünstigten nicht zu freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern. So fallen die Staatsangehörigen aus dem Vereinigten Königreich und ihre Familienangehörigen nicht mehr in den Anwendungsbereich des Freizügigkeitsgesetzes/EU, da dessen § 1 voraussetzt, dass zumindest ein Unionsbürger im Bundesgebiet sein Recht auf Freizügigkeit ausübt.

Sofern der deutsche Gesetzgeber keine gesetzliche Regelung schafft, wie etwa für EWR-Angehörige, werden Staatsangehörige des Vereinigten Königreichs ähnlich wie Schweitzer aufenthaltsrechtlich behandelt werden müssen. Die Ausländerbehörden werden immer zweistufig zu prüfen haben:

  1. Unterfällt der Unionbürger und der Familienangehörige dem personellen Anwendungsbereich des Übergangsvertrages.
  2. Genießt er die Rechte eines Freizügigkeitsberechtigten unter Heranziehung der Regelungen des AEUV sowie der Unionsbürgerrichtlinie.

Nicht nur das Aufenthaltsrecht von Staatsangehörigen des Vereinigten Königreichs und ihren Familienangehörigen bedarf der näheren Konkretisierung auch das Staatsangehörigenrecht wird vom Brexit unmittelbar beeinflusst. Denn die doppelte Staatsbürgerschaft für EU-Bürgerinnen und EU-Bürger ist ein Privileg, das an die EU-Mitgliedschaft des Herkunftslandes geknüpft ist. Nach dem Stichtag des Brexits gilt dies für das Vereinigte Königreich nicht mehr. Nach dem Brexit soll es bis Ende 2020 eine Übergangsphase geben, in das Vereinigte Königreich zwar Teil des Binnenmarktes und der Zollunion bleibt, die Staatsangehörigen sind aber entsprechend der oben genannten Voraussetzungen keine Unionsbürger mehr.
Nach dem deutschen Staatsangehörigkeitsrecht muss die bisherige Staatsangehörigkeit für die deutsche Staatsangehörigkeit in der Regel aufgegeben werden. „Mehrstaatigkeit“ bzw. doppelte Staatsbürgerschaft sollen vermieden werden. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz besteht für Staatsangehörige eines EU-Mitgliedstaates oder der Schweiz. Für diese Personengruppen wollte der deutsche Gesetzgeber den Erwerb der Staatsangehörigkeit vielmehr erleichtern, um die europäische Integration zu fördern.

Britische Staatsangehörige können sich in Deutschland einbürgern lassen, wenn sie sich zwischen sechs und acht Jahren in Deutschland aufhalten. Angesichts des näher kommenden Brexits scheinen die Tage des Privilegs der doppelten Staatsbürgerschaft jedoch gezählt.

 Dr. Dienelt, 26. Januar 2019