Lebenspartner von Deutschen ohne rechtliche Bindung können in Deutschland Freizügigkeitsrechte in Anspruch nehmen

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 Der Gerichtshof der EU hat in der Rechtssache Banger (C-89/17) am 12. Juli 2018 entschieden, dass ein Unionsbürger, der in sein Heimatland zurückkehrt, das Recht hat, dass die Einreise und der Aufenthalt seines drittstaatsangehörigen Lebenspartners, mit dem er eine dauerhafte Beziehung eingegangen ist, erleichtern muss. Die Entscheidung bezieht sich nicht auf eingetragene Lebenspartner, sondern auf Personen, mit denen der Unionbürger eine dauerhafte Beziehung eingegangen ist. Eine Entscheidung, mit der eine solche Aufenthaltserlaubnis für den drittstaatsangehörigen Lebenspartner verweigert wird, muss auf einer eingehenden Untersuchung der persönlichen Umstände des Antragstellers beruhen und ist zu begründen.

Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Frau Rozanne Banger, eine südafrikanische Staatsangehörige, ist die Lebenspartnerin von Herrn Philip Rado, eines britischen Staatsangehörigen. Sie lebten von 2008 bis 2010 zusammen in Südafrika und zogen dann in die Niederlande. Frau Banger wurde von den niederländischen Behörden in ihrer Eigenschaft als Familienangehörige im weiteren Sinne eines Unionsbürgers gemäß der Unionsrichtlinie über die Freizügigkeit der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen eine Aufenthaltskarte ausgestellt.
Nach dieser Richtlinie haben die Mitgliedstaaten die Einreise und den Aufenthalt des Lebenspartners eines Unionsbürgers, mit dem dieser eine dauerhafte Beziehung eingegangen ist, zu erleichtern, wenn der Unionsbürger sich in einen anderen als den Mitgliedstaat begibt, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Stellt eine solche Person einen derartigen Antrag, haben die Mitgliedstaaten eine eingehende Untersuchung der persönlichen Umstände des Antragstellers durchzuführen und die Verweigerung der Einreise oder des Aufenthalts zu begründen.

Im Jahr 2013 zogen Frau Banger und Herr Rado in das Vereinigte Königreich, wo Frau Banger eine Aufenthaltskarte beantragte. The Secretary of State for the Home Department (britischer Innenminister) lehnte den Antrag auf der Grundlage von Rechtsvorschriften des Vereinigten Königreichs zur Umsetzung der genannten Richtlinie ab. Diese Rechtsvorschriften regeln die Rechte der Familienangehörigen von britischen Staatsangehörigen, die nach Ausübung ihres Rechts auf Freizügigkeit in einem anderen Mitgliedstaat in das Vereinigte Königreich zurückkehren. Um als Familienangehöriger eines britischen Staatsangehörigen angesehen zu werden, muss der Antragsteller entweder der Ehegatte oder der eingetragene Lebenspartner des britischen Staatsangehörigen sein. Da Frau Banger zum Zeitpunkt ihrer Antragstellung nicht mit Herrn Rado verheiratet war, wurde ihr Antrag von den britischen Behörden abgelehnt.

Frau Banger focht die Entscheidung des Secretary of State an. Das Upper Tribunal (Immigration and Asylum Chamber) (Obergericht, Kammer für Einwanderung und Asyl, Vereinigtes Königreich) hat beschlossen, dem Gerichtshof im Rahmen einer Vorabentscheidung Fragen zur Auslegung der Richtlinie und zu den Konsequenzen aus dem Urteil in der Rechtssache Singh2 vorzulegen. Nach der ausgehend von diesem Urteil entwickelten Rechtsprechung haben die Familienangehörigen von Unionsbürgern, die nach Ausübung ihres Aufenthaltsrechts in einem anderen Mitgliedstaat in ihren Herkunftsmitgliedstaat zurückkehren, das Recht auf Einreise und Aufenthalt in diesem Mitgliedstaat und müssen mindestens in den Genuss der Rechte kommen, die ihnen nach dem Unionsrecht in einem anderen Mitgliedstaat gewährt würden. Die Rechtssache Singh betraf jedoch die Ehefrau eines Unionsbürgers, während es im vorliegenden Fall um eine nicht eingetragene und nichtverheiratete Lebenspartnerin geht.

Das Upper Tribunal möchte daher vom Gerichtshof wissen, ob die im Urteil Singh aufgestellten Grundsätze auch für den Fall gelten, dass der Drittstaatsangehörige mit dem in seinen Herkunftsmitgliedstaat zurückkehrenden Unionsbürger nicht verheiratet ist. Es möchte zudem wissen, ob eine Entscheidung, mit der eine Aufenthaltserlaubnis verweigert wird, die weder auf einer eingehenden Untersuchung der persönlichen Umstände des Antragstellers beruht noch eine angemessene oder hinreichende Begründung enthält, gegen das Unionsrecht verstößt.

Mit seinem Urteil bestätigt der Gerichtshof zunächst, dass die Richtlinie allein die Voraussetzungen regelt, unter denen ein Unionsbürger in andere Mitgliedstaaten als in den seiner eigenen Staatsangehörigkeit einreisen und sich dort aufhalten darf. Hieraus folgt, dass Frau Banger auf diese Richtlinie kein Recht darauf stützen kann, dass der Herkunftsmitgliedstaat ihres Lebenspartners, das Vereinigte Königreich, ihren Antrag auf Gewährung einer Aufenthaltserlaubnis erleichtert.

Gleichwohl weist der Gerichtshof auf seine Rechtsprechung hin, wonach in bestimmten Fällen drittstaatsangehörige Familienangehörige eines Unionsbürgers die Anerkennung eines abgeleiteten Aufenthaltsrechts in dem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit dieser Unionsbürger besitzt, auf der Grundlage von Art. 21 AEUV (Bestimmung, die den Unionsbürgern unmittelbar das grundlegende und individuelle Recht verleiht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufhalten) erreichen können. Die dieser Rechtsprechung zugrundliegende Logik besteht darin, dass der Unionsbürger davon abgehalten würde, den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, zu verlassen, um sein Aufenthaltsrecht auszuüben, wenn er nicht die Gewissheit hat, in seinem Herkunftsmitgliedstaat ein im Aufnahmemitgliedstaat bei einem tatsächlichen Aufenthalt mit diesem Drittstaatsangehörigen entwickeltes oder gefestigtes Familienleben fortsetzen zu können. Nach dieser Rechtsprechung dürfen die Voraussetzungen für die Gewährung eines solchen abgeleiteten Aufenthaltsrechts grundsätzlich nicht strenger sein als diejenigen, die in der Richtlinie vorgesehen sind.

Daher stellt der Gerichtshof fest, dass die Richtlinie in einer Situation wie der hier in Rede stehenden entsprechend anzuwenden ist. Die Richtlinie betrifft ausdrücklich den Lebenspartner, mit dem der Unionsbürger eine dauerhafte Beziehung eingegangen ist, und sieht vor, dass der Aufnahmemitgliedstaat die Einreise und den Aufenthalt eines solchen Lebenspartners erleichtert. Somit verpflichtet Art. 21 AEUV den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit der Unionsbürger besitzt, die Gewährung einer Aufenthaltserlaubnis für den drittstaatsangehörigen Lebenspartner, mit dem der Unionsbürger eine dauerhafte Beziehung eingegangen ist, zu erleichtern, wenn der Unionsbürger mit seinem Lebenspartner in den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, zurückkehrt, um sich dort aufzuhalten, nachdem er sein Recht auf Freizügigkeit ausgeübt hat.

Der Gerichtshof betont, dass die Mitgliedstaaten nicht dazu verpflichtet sind, Drittstaatsangehörigen, die eine dauerhafte Beziehung mit einem Unionsbürger eingegangen sind, ein Recht auf Einreise und Aufenthalt zuzuerkennen, sondern nur dazu, Anträge solcher Drittstaatsangehöriger gegenüber den Anträgen anderer Drittstaatsangehöriger in gewisser Weise bevorzugt zu behandeln.

Sodann kommt der Gerichtshof in Anbetracht dessen, dass die Richtlinie entsprechend gilt, wenn ein Unionsbürger in seinen Herkunftsmitgliedstaat zurückkehrt, zu dem Ergebnis, dass eine Entscheidung, mit der eine Aufenthaltserlaubnis für den drittstaatsangehörigen nicht eingetragenen Lebenspartner eines Unionsbürgers, der in den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, zurückkehrt, nachdem er sein Recht auf Freizügigkeit in einem anderen Mitgliedstaat ausgeübt hat, verweigert wird, auf einer eingehenden Untersuchung der persönlichen Umstände des Antragstellers beruhen muss und zu begründen ist.

Schließlich stellt der Gerichtshof fest, dass den Drittstaatsangehörigen ein Rechtsbehelf zur Verfügung stehen muss, um die Entscheidung anzufechten, mit der ihnen eine Aufenthaltserlaubnis verweigert wird. In diesem Rahmen muss es für das nationale Gericht möglich sein, zu überprüfen, ob die ablehnende Entscheidung auf einer hinreichend gesicherten tatsächlichen Grundlage beruht und ob die Verfahrensgarantien gewahrt wurden.

Die Entscheidung mahnt Deutschland, endlich die Unionsbürgerrichtlinie hinsichtlich des Erleichterungsgebots für Familienangehörige im weiteren Sinne (Seitenlinien und Lebenspartner) umzusetzen. Können Brüder, Schwestern, Onkel und Tanten noch im Rahmen des § 36 Abs. 2 AufenthG rechtlich abgehandelt werden, muss für Freunde oder Freundinnen von Unionsbürgern auf die Auffangvorschrft des § 7 Abs. 2 AufenthG zurückgegriffen werden.

Quelle: Presseerklärung des EuGH