Rücknahme des Asylantrags als Umstiegsmöglichkeit vom Asylverfahren in den Arbeitsmarkt

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Der Gesetzgeber hat eine weitgehend unbeachtete Möglichkeit des Umstiegs aus einem Asylverfahren in den Arbeitsmarkt durch Artikel 2 des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge (Bundesvertriebenengesetz – BVFG) vom 20. Dezember 2023 (BGBl. I Nr. 390 vom 22. Dezember 2023) geschaffen. Die Möglichkeit, nach Beendigung des Asylverfahrens einen Aufenthaltstitel zur Ausübung einer Beschäftigung nach § 18a, § 18b oder § 19c Absatz 2 AufenthG zu erhalten, steht ausschließlich Asylbewerbern zu, die vor dem 29. März 2023 in das Bundesgebiet eingereist sind und ihren Asylantrag zurücknehmen.

Qualifizierte Asylbewerber, die in den deutschen Arbeitsmarkt umsteigen wollen, müssen zwei Hürden überwinden.

  • Zum einen müssen sie die materiellen Anforderungen an einen Aufenthaltstitel für die Ausübung einer qualifizierten Beschäftigung nach den §§ 18a, 18b, 19c Absatz 2 AufenthG erfüllen. 
  • Zum anderen müssen sie verfahrensrechtlich berechtigt sein, den Antrag im Bundesgebiet ohne vorherige Ausreise stellen zu dürfen.

Nachdem der Gesetzgeber die Anforderungen an einen Umstieg in den Arbeitsmarkt nicht mehr an eine akademische Ausbildung (§ 18b AufenthG) knüpft, sondern mit § 18a AufenthG auch Fachkräfte mit Berufsausbildung und mit § 19c Abs. 2 AufenthG Ausländer mit ausgeprägten berufspraktischen Kenntnissen begünstigt, kommt den verfahrensrechtlichen Schranken des Aufenthaltsgesetzes besondere Bedeutung zu.
Hinsichtlich der verfahrensrechtlichen Schranken muss zwischen Asylbewerbern, die sich im laufenden Asylverfahren befinden, und solchen, deren Asylverfahren abgelehnt wurde, differenziert werden.

Asylbewerber im laufenden Asylverfahren

Bei Asylbewerbern im laufenden Asylverfahren ist insbesondere § 10 Abs. 1 AufenthG von Bedeutung. Durch Artikel 2 des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge (Bundesvertriebenengesetz – BVFG) vom 20. Dezember 2023 (BGBl. I Nr. 390 vom 22. Dezember 2023) wurde § 10 Abs. 1 AufenthG folgender Satz angefügt:

„In den Fällen eines gesetzlichen Anspruchs nach § 18a oder § 18b darf vor dem bestandskräftigen Abschluss des Asylverfahrens ein Aufenthaltstitel nur mit Zustimmung der obersten Landesbehörde und nur dann erteilt werden, wenn wichtige Interessen der Bundesrepublik Deutschland es erfordern.“

Gemäß § 10 Absatz 1 AufenthG kann Ausländern vor bestandskräftigem Abschluss des Asylverfahrens lediglich dann ein Aufenthaltstitel erteilt werden, wenn sie

  • einen Anspruch auf Titelerteilung haben,
  • die Zustimmung der obersten Landesbehörde vorliegt und nur dann,
  • wenn wichtige Interessen der Bundesrepublik Deutschland es erfordern.

Mit dem neuen Satz 2 werden Fälle der §§ 18a und 18b AufenthG aus Konstellationen der ersten Alternative (Vorliegen eines Anspruchs) ausgenommen (BT-Drs. 20/9347 vom 15. November 2023, Seite 14). Der Grund für die Einschränkung der Titel für Fachkräfte mit Berufsausbildung bzw. Hochschulabschluss, die erst zum 18. November 2023 zu Anspruchstiteln wurden, liegt ausweislich der Gesetzesbegründung darin, „keine Anreize zur Einreise zum Zweck der Asylantragstellung mit dem eigentlichen Ziel der Erwerbstätigkeit zu setzen“ (BT-Drs. 20/9347 vom 15. November 2023, Seite 14). Ein Umstieg in einen Aufenthaltstitel nach § 19c Abs. 2 AufenthG ermöglicht § 10 Abs. 1 AufenthG hingegen nicht, da es sich um eine Ermessensvorschrift handelt, mithin kein „Anspruch“ auf einen Aufenthaltstitel besteht.

Für Asylbewerber, die sich im laufenden Asylverfahren befinden, wurde die Rechtslage, die einen Umstieg in den Arbeitsmarkt über die §§ 18a und 18b AufenthG ermöglichte, mithin mit Wirkung zum 23. Dezember 2023 verschärft, die Zustimmung der obersten Landesbehörde vorliegen muss und zudem wichtige Interessen der Bundesrepublik Deutschland die Aufnahme der Beschäftigung erfordern müssen.

Erfüllt ein Asylbewerber die Voraussetzungen, des § 10 Abs. 1 Satz 2 AufenthG, dann steht seinem Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auch die Notwendigkeit der Durchführung eines Visumverfahrens nach § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht entgegen, weil in diesen Fällen nach § 39 Satz 1 Nummer 4 der Aufenthaltsverordnung (AufenthV) die Einholung des Aufenthaltstitels im Inland bereits erlaubt ist.

Asylbewerber nach rechtskräftiger Abschluss des Asylverfahrens

Der Gesetzgeber hat eine weitgehend unbeachtete Möglichkeit des Umstiegs aus einem Asylverfahren in den Arbeitsmarkt durch Artikel 2 des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge (Bundesvertriebenengesetz – BVFG) vom 20. Dezember 2023 (BGBl. I Nr. 390 vom 22. Dezember 2023) geschaffen. Die Möglichkeit, nach Beendigung des Asylverfahrens einen Aufenthaltstitel zur Ausübung einer Beschäftigung nach § 18a, § 18b oder § 19c Absatz 2 AufenthG zu erhalten, steht ausschließlich Asylbewerbern zu, die vor dem 29. März 2023 in das Bundesgebiet eingereist sind und ihren Asylantrag zurücknehmen. Um die Attraktivität dieses Angebots zu erhöhen, werden auch Ehegatten und minderjährige (unter 18 Jahren, § 80 Abs. 3 AufenthG) ledige Kinder des Ausländers begünstigt.

Die Neuregelung des § 10 Abs. 3 Satz 5 AufenthG bestimmt:

„Einem Ausländer, der seinen Asylantrag zurückgenommen hat, darf vor der Ausreise ein Aufenthaltstitel nach § 18a, § 18b oder § 19c Absatz 2 nur erteilt werden, wenn er vor dem 29. März 2023 eingereist ist; Gleiches gilt für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach Maßgabe des Abschnitts 6 an den Ehegatten und das minderjährige ledige Kind des Ausländers.“

Asylbewerber, die von der gesetzlichen Möglichkeit Gebrauch machen wollen, müssen ihren Asylantrag – nicht die Asylklage oder den Antrag auf Zulassung der Berufung – zurücknehmen. Infolge der Rücknahme des Asylantrags entfällt das Rechtsschutzinteresse an einer gerichtlichen Entscheidung, sodass das gerichtliche Asylverfahren für erledigt erklärt werden kann.

Damit die in § 10 Absatz 3 Satz 5 AufenthG enthaltene Privilegierung durch das Erfordernis eines für den Aufenthaltszweck erforderlichen Visums nicht leerläuft, musste auch § 5 Absatz 3 AufenthG um einen Satz ergänzt werden. Durch Artikel 2 des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge (Bundesvertriebenengesetz – BVFG) vom 20. Dezember 2023 (BGBl. I Nr. 390 vom 22. Dezember 2023) wurde daher auch § 5 Abs. 3 AufenthG um folgenden Satz ergänzt:

„Von der Anwendung des Absatzes 2 ist bei Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 18a, 18b oder 19c Absatz 2oder nach Abschnitt 6 in Anwendung von § 10 Absatz 3 Satz 5 abzusehen.“

Diese Neuregelung hat erhebliche Auswirkungen auf die Möglichkeit von Asylbewerbern, ein Aufenthaltsrecht zum Zwecke der Ausübung einer Beschäftigung ohne Durchführung eines Visumverfahrens zu erlangen. Insbesondere ist zu beachten, dass eine rechtskräftige Ablehnung eines Antrags auf Zulassung der Berufung zum Wegfall der gesetzlichen geschaffenen Möglichkeit, vom Asylverfahren in den Arbeitsmarkt ohne Durchführung eines Visumverfahrens zu wechseln, führt. Denn § 10 Abs. 3 Satz 4 AufenthG bestimmt, dass ein Aufenthaltstitel nach § 18a, § 18b oder § 19c Absatz 2 einem Ausländer, dessen Asylantrag unanfechtbar abgelehnt worden ist, vor der Ausreise nicht erteilt werden darf.

Begünstigte Titel für den Umstieg

§ 18a AufenthG setzt einen deutschen oder einen in Deutschland anerkannten qualifizierten Berufsabschluss voraus. Qualifiziert ist die Berufsausbildung, wenn sie eine mindestens zweijährige Ausbildungszeit vorausgesetzt. Die Aufenthaltserlaubnis wird für die Ausübung einer qualifizierten Beschäftigung erteilt. Das bedeutet, dass für
diese Tätigkeit Kenntnisse und Fertigkeiten vorausgesetzt werden, die im Rahmen der qualifizierten Ausbildung erworben wurden. Die Tätigkeit muss aber in keinem inhaltlichen Zusammenhang mit der Ausbildung stehen. Für ältere Menschen gibt es eine Sonderregelung. Fachkräfte, die erstmals einen Aufenthaltstitel nach § 18a AufenthG beantragen und bei Antragstellung 45 Jahre oder älter sind, müssen entweder ein Bruttogehalt in Höhe von 55 Prozent der jährlichen Beitragsbemessungsgrenze in der allgemeinen Rentenversicherung (2024: 4.152,50 Euro monatlich / 49.830 Euro im Jahr) oder eine angemessene Altersversorgung nachweisen.

§ 18b AufenthG setzt einen deutschen oder in Deutschland als gleichwertig geltenden Hochschulabschluss für eine qualifizierte Beschäftigung voraus. Die Tätigkeit muss aber in keinem inhaltlichen Zusammenhang mit der akademischen Qualifikation stehen. Auch für diesen Titel gelten die Besonderheiten für ältere Antragsteller.

§ 19c Abs. 2 AufenthG erfasste bis 29. Februar 2024 ausschließlich IT-Spezialisten. Ab dem 1. März 2024 wird es auch in allen anderen Branchen die Möglichkeit geben, eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten, wenn man einen im Ausland anerkannten mindestens zweijährigen Berufsabschluss oder einen Hochschulabschluss hat – auch wenn dieser in Deutschland nicht anerkannt ist. Voraussetzung ist eine mindestens zweijährige einschlägige Berufserfahrung innerhalb der letzten fünf Jahre. Auch für diesen Aufenthaltstitel wird ein Mindesteinkommen vorausgesetzt, das bei  3.398 Euro monatlich bzw. 40.770 Euro jährlich liegt. Für Antragsteller, die erstmalig einen Aufenthaltstitel nach § 19c Abs. 2 AufenthG beantragen, gelten anderen Einkommensgrenzen, wenn sie schon über 44 Jahre alt sind.

Dr. Klaus Dienelt