Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten (Familiennachzugsneuregelungsgesetz)

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Mit dem nun vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten (Familiennachzugsneuregelungsgesetz) vom 11.05.2018 soll der Nachzug zu subsidiär Schutzberechtigten unter Beachtung der bestehenden völkerrechtlichen Verpflichtungen neu geregelt werden. 

Die mit dem Gesetzentwurf vorgenommene Ermöglichung des Nachzugs für ein Kontingent von 1000 Personen monatlich, hat keine Auswirkungen auf mögliche Rechtsansprüche, die sich aus völkerrechtlichen Verpflichtungen ergeben und denen immer über §§ 22, 23 AufenthG Rechnung zu tragen ist Denn sowohl Art. 8 EMRK als auch die Kinderschutzrechtskonvention vermag in Einzelfällen einen Nachzugsanspruch zu begründen. Ein vollständiger Wegfall des Rechts auf Familiennachzug für subsidiär geschützte Personen, ohne dass zugleich ein Vorbehalt zugunsten der völkerrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands (so wie er bislang in § 104 Abs. 13 AufenthG i.V.m. § 22 AufenthG enthalten ist) und dabei namentlich des Kindeswohls in Blick nimmt, wäre mit dem Völkerrecht, insbesondere der Kinderrechtskonvention, unvereinbar. Außerdem ist zu beachten, dass subsidiär Schutzberechtigte wegen der Gefahrenlage für sie im Herkunftsstaat nicht darauf verwiesen werden können, die familiäre Einheit im Herkunftsstaat herzustellen. Auch der Verweis auf einen Drittstaat wird regelmäßig nicht möglich sein.

In dem rechtlichen Spannungsfeld sowie der faktischen Notwendigkeit, die Flüchtlinge langfristig integrieren zu können, bewegt sich der Gesetzentwurf. Denn die Belastung der staatlichen und gesellschaftlichen Aufnahme- und Integrationssysteme besteht trotz des Rückgangs der Asylbewerberzahlen im Vergleich zu 2015/2016 weiterhin. Beispielhaft zeigt sich dies bei den für eine erfolgreiche Integration besonders wichtigen Kriterien, der Verfügbarkeit von Wohnraum, dem Zugang zu Ausbildung oder Erwerbstätigkeit und der Möglichkeit zum Erwerb deutscher Sprachkenntnisse. Die damit verbundenen Schwierigkeiten führten zur Vermeidung von sozialer und gesellschaftlicher Ausgrenzung in derzeit fünf Kommunen zur Einführung von lageangepassten, zuzugshindernden Wohnsitzregelungen für Schutzberechtigte nach § 12a Absatz 4 des Aufenthaltsgesetzes.

Die Bundesregierung erwartet, dass die an Staat und Gesellschaft bezüglich der Integration der großen Zahl anerkannt Schutzberechtigter gestellten erheblichen Herausforderungen bis auf weiteres anhalten. Ein Indikator dafür ist, dass eine große Zahl von Schutzberechtigten bisher keine sozialversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit ausübt (rund 155.000 der rund 594.000 schutzberechtigten Leistungsberechtigten im SGB II sind mit Stand Dezember 2017 im erwerbsfähigen Alter arbeitslos, Quelle: Fluchtmigration: Bundesagentur für Arbeit). Zudem findet weiterhin ein Zuzug von Asylbewerbern statt, der über dem Niveau der Jahre 1994-2013 liegt (im Jahr 2017 186.644 Personen).

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf versucht die Bundesregierung ihrer humanitären Verantwortung gegenüber anerkannten Schutzberechtigten, bei denen eine Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft im Herkunftsstaat nicht möglich ist, gerecht zu werden. Sie beabsichtigt, Familienangehörigen der Kernfamilie (Ehegatte, Eltern von minderjährigen Ausländern und minderjährige ledige Ausländer) von subsidiär Schutzberechtigten einen geordneten und gestaffelten Familiennachzug zu ermöglichen.

Um einen ausgewogenen Ausgleich zwischen der Aufnahmefähigkeit der Bundesrepublik Deutschland und den Interessen der subsidiär Schutzberechtigten an der Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet unter Berücksichtigung von völker-, europa- und verfassungsrechtlichen Anforderungen zu schaffen, wurde der Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten zunächst mit dem Gesetz zur Verlängerung der Aussetzung des Familiennachzuges vom 8. März 2018 (BGBl I, 342) weiter bis zum 31. Juli 2018 ausgesetzt und zugleich bestimmt, dass ab dem 1. August 2018 der Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten aus humanitären Gründen für 1.000 Personen pro Monat gewährt wird. Das Nähere soll durch ein weiteres Bundesgesetz geregelt werden. Der Gesetzentwurf dient dieser Neuregelung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten ab 1. August 2018. Damit wird eine Regelung zur Steuerung des Familiennachzugs zu diesen Personen für die Bundesrepublik Deutschland geschaffen.

Für die Neuregelung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten soll Kapitel 2 Abschnitt 6 des Aufenthaltsgesetzes angepasst werden. Hierzu führt der Gesetzentwurf in seiner Begründung Folgendes aus:

„Ein individueller Anspruch subsidiär Schutzberechtigter, die zunächst ein nur befristetes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet haben, auf Familienzusammenführung in einem bestimmten Staat besteht nicht. Aus Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention und anderen völkerrechtlichen Verträgen lässt sich weder das Recht eines Drittstaatsangehörigen auf Aufenthalt oder Einreise in einen bestimmten Staat noch eine Verpflichtung des Staates ableiten, einen solchen Aufenthalt zu autorisieren oder eine bestimmte Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen. Ist das Recht auf Familienleben berührt, sind die besonderen Umstände der betroffenen Personen zu berücksichtigen und mit dem legitimen Interesse des Staates an der Steuerung von Zuwanderung in einen fairen Ausgleich zu bringen. In Bezug auf beide Kriterien haben die Staaten einen gewissen Beurteilungsspielraum (vgl. bspw. EGMR, 3. Oktober 2014, 12738/10, Case Jeunesse ./. Niederlande). Auch das Bundesverfassungsgericht hat deutlich gemacht, dass der Gesetzgeber Gestaltungsspielraum bei der Bestimmung des rechtlichen Rahmens für den Familiennachzug hat (BVerfGE 76, 1, 51). Der Staat habe dabei die verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgüter von Ehe und Familie, die familiären Belange und die gegenläufigen öffentlichen oder privaten Belange mit dem Ziel eines schonenden Ausgleichs gegeneinander abzuwägen. Mit den Regelungen zum Familiennachzug in den §§ 27 bis 36 des Aufenthaltsgesetzes berücksichtigt der Gesetzgeber den nach Art. 6 Absatz 1 und Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes verfassungsrechtlich gebotenen Schutz bzw. die Förderung der familiären Belange der betroffenen Personen. Diese Regelungen sind für den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten auch vor dem Hintergrund der zunächst befristet erteilten Aufenthaltserlaubnis und unter Berücksichtigung der Aufnahme- und Integrationssysteme der Bundesrepublik Deutschland und seiner Institutionen weiter zu konkretisieren. Dies kann auch durch Festlegung der Anzahl von nachzugsberechtigten Familienangehörigen und den Voraussetzungen für den individuellen Familiennachzug erfolgen, da es das Grundgesetz weitgehend der gesetzgebenden und der vollziehenden Gewalt überantwortet, festzulegen, in welcher Zahl und unter welchen Voraussetzungen der Zugang zum Bundesgebiet ermöglicht wird (vgl. BVerfGE 76, 1, 47). Der Gesetzentwurf regelt entsprechend § 104 Absatz 13 des Aufenthaltsgesetzes näher, unter welchen Voraussetzungen ab dem 1. August 2018 ausländische Familienangehörige der Kernfamilie zu subsidiär Schutzberechtigten in das Bundesgebiet nachziehen können. Im Rahmen der Gewährung des Familiennachzuges nach dem neuen § 36a des Aufenthaltsgesetzes wird sowohl die individuelle Lebenssituation des in der Bundesrepublik Deutschland lebenden subsidiär Schutzberechtigten als auch des im Ausland befindlichen Familienangehörigen berücksichtigt. Die Begrenzung des Familiennachzugs auf 1.000 nachziehende Angehörige der Kernfamilie im Monat entspricht der Personenzahl, zu deren Übernahme sich die Bundesregierung im Rahmen eines gemeinsamen Vorgehens der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union bis März 2018 gegenüber Italien und Griechenland im Rahmen von Relocation-Programmen verpflichtet hatte. Die Begrenzung des Nachzugs Angehöriger der Kernfamilie zu subsidiär Schutzberechtigten nach § 36a des Aufenthaltsgesetzes ist so bemessen, dass die Integration gelingen kann und die Aufnahmesysteme der staatlichen Institutionen die Aufnahme und Integration bewältigen können. Die gesetzliche Neuregelung enthält zudem Fallgruppen, für die der Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten in der Regel ausgeschlossen bleibt. Ehen, die erst nach der Flucht aus dem Herkunftsland geschlossen wurden, berechtigen in der Regel nicht zum Familiennachzug. Gleiches gilt, wenn die Ausreise des subsidiär Schutzberechtigten kurzfristig zu erwarten ist oder es sich um Personen handelt, die schwerwiegende Straftaten begangen haben oder bei denen es sich um sogenannte Gefährder handelt. Weiterhin soll mit dem Gesetzentwurf der Anreiz, dass Minderjährige von ihren Eltern unter Gefährdung des Kindeswohls auf die gefährliche Reise in die Bundesrepublik Deutschland vorgeschickt werden, weiter reduziert werden. Neben dem auf 1.000 Personen im Monat begrenzten Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten bleibt weiter die Möglichkeit bestehen, dass bei Vorliegen insbesondere dringender humanitärer Gründe Familienangehörigen von subsidiär Schutzberechtigten in Einzelfällen eine Aufenthaltserlaubnis nach § 22 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes erteilt wird oder Familienangehörige im Rahmen von Aufnahmeprogrammen des Bundes oder der Länder nach § 23 des Aufenthaltsgesetzes berücksichtigt werden.“

Mit dem Gesetzentwurf wird erstmals geregelt, welche humanitären Gründe insbesondere zum Familiennachzug und welche Aspekte bei der Auswahlentscheidung besonders zu berücksichtigen sind. Anhand der von Auslandsvertretungen und Ausländerbehörden beigebrachten Informationen zu humanitären Gründen und zu berücksichtigender Aspekte trifft das Bundesverwaltungsamt im Rahmen des Visumverfahrens eine intern rechtlich verbindliche Entscheidung, welche Familienangehörigen zu den monatlich bis zu 1.000 Nachzugsberechtigten gehören.

Der neue § 36a AufenthG legt zunächst fest, dass das Kontingent nicht den Nachzug aufgrund der humanitären Regelungen der §§ 22 und 23 AufenthG ausschließt.

Humanitäre Gründe für einen Nachtzug liegen insbesondere vor, wenn

  • die Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft seit langer Zeit nicht möglich ist,
  • ein minderjähriges lediges Kind betroffen ist,
  • Leib, Leben oder Freiheit des Ehegatten, des minderjährigen ledigen Kindes oder der Eltern eines minderjährigen Ausländers im Aufenthaltsstaat ernsthaft gefährdet sind oder
  • der Ausländer, der Ehegatte oder das minderjährige ledige Kind oder ein Elternteil eines minderjährigen Ausländers schwerwiegend erkrankt oder pflegebedürftig im Sinne schwerer Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten ist oder eine schwere Behinderung hat. Die Erkrankung, die Pflegebedürftigkeit oder die Behinderung sind durch eine qualifizierte Bescheinigung glaubhaft zu machen, es sei denn, beim Familienangehörigen im Ausland liegen anderweitige Anhaltspunkte für das Vorliegen der Erkrankung, der Pflegebedürftigkeit oder der Behinderung vor.

Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ist insbesondere ausgeschlossen, wenn die Ehe nicht bereits vor der Flucht geschlossen wurde oder der Ausländer, zu dem der Familiennachzug stattfinden soll, sich strafbar gemacht hat.